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Wirtschaft: „Schwarzarbeit ist fast überall Teil der Kalkulation“

Friedrich Schneider, Experte in Sachen Schattenwirtschaft, über den Schaden durch illegale Arbeit und die Folgen für den Jobmarkt

Herr Schneider, sind die Deutschen ein Volk von Kriminellen, weil sie so viel schwarz arbeiten?

Auf jeden Fall – denn Schwarzarbeit ist eine Straftat. Jeder Vierte arbeitet hier zu Lande regelmäßig schwarz. Aber für die meisten ist das ein Kavaliersdelikt.

Warum nimmt es unser als korrekt geltendes Land bei der Schwarzarbeit mit dem Gesetz nicht so genau?

Weil die Belastung mit Steuern und Sozialabgaben immer noch so hoch ist. Und weil die Zeiten rau sind. Wegen der mäßigen Wirtschaftslage versuchen viele, sich etwas hinzuzuverdienen.

Wer arbeitet schwarz?

Jeder, der eine Dienstleistung anbieten kann, für die keine teuren Maschinen nötig sind. Umgerechnet gibt es gut zehn Millionen Vollzeit-Schwarzarbeiter. Auf dem Bau sind es der Architekt und der Maurer, beim Handwerk der Fliesenleger und der Maler, in der Kneipe der Koch und der Kellner. Es gibt aber auch der Lehrer Nachhilfestunden, der Rechtsanwalt berät, der Finanzbeamte hilft bei der Steuererklärung.

Es arbeiten nicht nur Malocher illegal?

Nein. Selbst Leute mit einem Monatslohn von 7000 Euro tun es. Wer noch höher liegt, hat zuwenig Freizeit dafür.

Und wer beschäftigt Schwarzarbeiter?

Fast jeder irgendwann. Erst ab einem Monatseinkommen von etwa 10 000 Euro genieren sich die Leute. Weil es sich für einen gut verdienenden Anwalt nicht schickt, die Kinderfrau schwarz zu beschäftigen. Fliegt das auf, droht ihm ein Karriereknick.

Wie bekommt der Staat Schwarzarbeit in den Griff?

Er muss sie unattraktiv machen. Steuern und Abgaben sind zu hoch, das sorgt für Frust bei den Beschäftigten. Hinzu kommt die komplizierte Sozialbürokratie. Wer hin und wieder schwarz arbeitet, hat mit all dem nichts zu tun. Die Politik muss Anreize setzen, um die Leute in die legale Wirtschaft zurückzuholen – mit geringeren Lohnnebenkosten, weniger Mehrwertsteuer für Dienstleistungen, von der Steuer absetzbaren Handwerkerrechungen. Davon profitieren alle. Das Prinzip funktioniert ja – in 2004 ist der Umfang der Schwarzarbeit zum ersten Mal überhaupt leicht zurück gegangen.

Woran liegt das?

An den Arbeitsmarktreformen. Vor allem die Mini-Jobs haben dazu geführt, dass die Leute wieder legal arbeiten. Zudem ist es für Handwerker einfacher, sich selbstständig zu machen. Im kommenden Jahr wird sich der Trend im Zug der Hartz-IV-Reform fortsetzen. Deshalb wird die Schattenwirtschaft, die 2003 noch bei 370 Milliarden Euro lag, bis 2005 auf 346 Milliarden Euro zurückgehen.

Sie loben die Minijobs – andere Ökonomen machen sie für die Streichung regulärer Stellen verantwortlich.

Mag sein. Wäre aber die Schwarzarbeit weiter gewachsen, hätte der Arbeitsmarkt noch mehr gelitten. Wenn man nicht aufpasst, ufert das aus. Der Erfolg der Minijobs zeigt, dass man Schwarzarbeit mit Anreizen in den Griff bekommt. Nicht mit einem System von Polizei und Kontrollen.

Darauf setzt aber die Bundesregierung – sie hat sogar ein neues Gesetz erlassen.

Damit löst man das Problem nicht. Zwar dürfte der Umsatz der Schattenwirtschaft seit Inkrafttreten des Gesetzes im August um eine Milliarde Euro zurückgegangen sein. Das ist aber zu wenig angesichts des hohen Aufwands. Ich bezweifele aber, dass die Politiker die Schwarzarbeit überhaupt stoppen wollen.

Ach ja?

Politiker wissen, dass Schwarzarbeit vielen Bürgern zusätzlichen Wohlstand bringt. Nimmt man ihnen den weg, werden sie rebellisch. Wer Arbeit hat, klagt eben weniger laut als ein Arbeitsloser.

Die Handwerker klagen, die Schwarzarbeiter nähmen ihnen die Aufträge weg.

Das ist ein klarer Fall von Doppelmoral. Bei den meisten Firmen ist Schwarzarbeit Teil der Kalkulation: Ein Teil des Auftrags wird offiziell erledigt, ein Teil schwarz – der Geselle muss nur das Material beim Meister einkaufen. Dann macht jeder seinen Schnitt.

Berlin gilt als Hauptstadt der Schwarzarbeit. Wieso?

Es gibt kaum eine europäische Stadt, in der in den letzten Jahren so viel gebaut worden ist wie in Berlin. Und wo der Bau stark ist, gibt es auch viel illegale Arbeit.

Ist auch die EU-Osterweiterung schuld?

Nein, das lief alles schon vorher. Es gehen aber nur 15 Prozent der Schwarzarbeit auf das Konto von Ausländern, vor allem durch organisierte Kriminalität auf dem Bau. Das ist nicht viel. Putzen, Kinder hüten, anstreichen, gärtnern – aufwändigere Tätigkeiten können zum Beispiel Polen gar nicht anbieten, weil ihnen die Maschinen dazu fehlen. Schattenwirtschaft ist ein urdeutsches Problem, daran sind nicht Ausländer schuld.

Vor 40, 50 Jahren war Schwarzarbeit bei uns kein Thema. Wieso ist es heute anders?

Schwarzarbeit in Deutschland hat erst in den siebziger und achtziger Jahren nennenswert zugenommen. Weil der Faktor Arbeit mit enormen zusätzlichen Abgaben belastet worden ist, auch im Zuge der deutschen Einheit. 1970 lag die Summe der Sozialbeiträge noch bei 26,5 Prozent, heute sind es über 40 Prozent.

Viele Konzerne haben in den vergangenen Jahren ihre Steuerlast auf Null gedrückt. Sinken deshalb auch bei kleinen Leuten die Hemmungen, dem Staat zu schaden?

Der Trend geht dahin. Auch das Bauchgefühl entscheidet darüber, ob jemand schwarz arbeitet. Viele empfinden es als ungerecht, dass das Kapital international mobil ist, die Arbeit aber nicht. Verstärkte Schwarzarbeit könnte eine diffuse Reaktion darauf sein. Zudem gibt es die gefühlte Steuergerechtigkeit. Haben kleine Handwerker den Eindruck, die Last ruht nur auf ihren Schultern, sinkt die Hemmschwelle. Deshalb macht es Sinn, Steuerschlupflöcher zu schließen – dann ändert sich auch beim Normalbürger das Verhältnis zum Fiskus.

Ist Schwarzarbeit grundsätzlich schlecht?

Im Gegenteil. Es entstehen zusätzliche Wertschöpfung und Einkommen, dadurch geht es vielen Leuten besser. Auch der Staat wird nicht so geschädigt wie immer behauptet. Denn das Geld wird oft gleich wieder ausgegeben und führt zu neuen Steuereinnahmen. Im Prinzip ist Schwarzarbeit Kapitalismus pur: Der Markt funktioniert optimal, weil es keine Verzerrungen durch Gesetze und Steuern gibt. Nur Angebot und Nachfrage entscheiden über den Preis, die Qualitätssicherung findet vor Ort statt – wer pfuscht, bekommt keine Aufträge mehr.

Also ein Ideal?

Nein. Die Schattenwirtschaft ist nur ein Reflex. Er zeigt, dass die Leute arbeitswillig sind, nicht faul. Das Sozial- und Steuersystem hindert sie nur daran, viele Dienstleistungen zu einem marktgerechten Preis anzubieten. Sie zeigt zudem, dass den Deutschen nicht die Arbeit ausgeht – höchstens die offizielle.

Es fehlen fünf Millionen Arbeitsplätze.

Mal angenommen, die gesamte Schattenwirtschaft würde auf einen Schlag legal, dann entstünden bis zu neun Millionen Jobs. Das würde Vollbeschäftigung bedeuten. Realistisch ist das allerdings nicht - weil dann viele Menschen zu Niedrigst-Löhnen arbeiten müssten.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup

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