Wirtschaft: „Stoiber ist oberflächlich“
Gesamtmetallpräsident Martin Kannegiesser wehrt sich gegen Kritik am Tarifabschluss und lobt die IG Metall
Herr Kannegiesser, der bayerische Ministerpräsident Stoiber hat die Metallarbeitgeber scharf attackiert: Sie machen einen teuren Tarifabschluss, verlagern dann Arbeitsplätze ins Ausland und klagen anschließend über die Politik, die hier zu Lande die falschen Rahmendaten setzt. Warum hat sich Gesamtmetall auf den Tarifkompromiss eingelassen?
Die Kritik von Ministerpräsident Stoiber ist oberflächlich. Ich erinnere daran, dass der Bayerische Ministerpräsident unsere Forderungen nach mehr Gestaltungsspielraum für die Betriebsparteien ausdrücklich unterstützt hat. Die Politik hat aber dann den Weg einer gesetzlichen Öffnungsklausel mit Vetorecht der Tarifparteien eingeschlagen, der nicht über das hinausging, was wir in dem Pilotabschluss in Pforzheim vor zwei Wochen vereinbart haben.
Dann ist die Politik schuld am Tarifabschluss?
Grundsätzlich sollte sich die Politik aus der Tarifpolitik raushalten. Aber zurück zur jüngsten Tarifrunde: Worauf es ankommt, ist die praktische Umsetzbarkeit einer Vereinbarung. In den tarifgebundenen Unternehmen sind über die Hälfte der Betriebsräte nun einmal gewerkschaftlich eingebunden, ob einem dies nun passt oder nicht.
Also haben die Arbeitgeber so gut wie keine Durchsetzungschance?
Wir haben den Vorschlag gemacht, im Rahmen von Flächentarifverträgen die Gestaltungsspielräume von Betrieben zu erweitern. Dieser Weg – das stellte sich im Verlauf des Konflikts heraus – wäre nur um den Preis verbrannter Erde möglich gewesen.
Und da haben Sie klein beigegeben?
Bei mancher Kritik habe ich den Eindruck, dass sie sich Streiks auf Teufel heraus geradezu herbeiwünscht. Ein wochenlanger Arbeitskampf hätte für beide Seiten bestenfalls Salbe aufs ohnehin zerkratzte Gesicht schmieren können, inbegriffen des Risikos, jahrelange Blockaden bei vielen Betriebsräten aufzubauen. Raufen kann auch in Passau kein Wert an sich sein, zumal am Ende nur Flurschäden stehen.
Und was haben Sie ohne Raufen erreicht?
Die IG Metall hat sich erstmals dazu verpflichtet, mit den Betriebsparteien Abweichungen von tariflichen Normen zu vereinbaren. Das ist nicht wenig. Zu den Bereichen, die dafür geöffnet werden, zählt auch die Ausweitung von Arbeitszeit ganz oder nur mit teilweisem Lohnausgleich.
Es sind aber unverbindliche Vereinbarungen.
Der Bezirksleiter in Baden Württemberg, Jörg Hofmann, hat die eingegangene Verpflichtung der IG Metall bestätigt: „Die Gewerkschaft bekennt sich zu einer stärkeren Berücksichtigung der betrieblichen Ebene.“ Künftig werden also Betriebs- und Tarifparteien im Schulterschluss auch vom Tarifvertrag abweichende Regelungen treffen, um Innovationen zu erleichtern, Investitionen zu fördern und Beschäftigung zu sichern.
Also ist der Tarifabschluss ein großer Erfolg?
Wir müssen dieser neuen Weichenstellung eine Chance geben. Auch wenn wir nicht auf das Lohnniveau von Billigländern absinken können, müssen wir unsere Lohnstückkosten um ein gewisses Maß reduzieren - zum Beispiel durch Gestaltung von Arbeitszeit.
Auch Ihr alter Freund, Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, hat den Abschluss kritisiert.
Die Lohnerhöhung in der ersten Stufe von 1,5 Prozent zuzüglich einer Einmalzahlung von 0,7 Prozent entspricht der Empfehlung sämtlicher Wissenschaftler und Fachleute. In der 2. Stufe ab 1. März 2005 ist das Ergebnis – aus heutiger Sicht – mit einer Lohnerhöhung von 2,0 Prozent plus 0,7 Prozent Einmalzahlung um einige Zehntel zu hoch ausgefallen. Dies war aber abzuwägen gegen die Vorteile einer Laufzeit von 26 Monaten, davon die ersten beiden Monaten ohne jegliche Lohnerhöhung.
Und Sie meinen, das überzeugt Herrn Stoiber?
Der Bayerische Ministerpräsident wird die Gesamtsituation im Rahmen seiner bevorstehenden Lohnverhandlungen mit Verdi hautnah nachvollziehen können.
Können die Betriebe im Osten mit der zusätzlichen Belastung leben?
In vier ostdeutschen Tarifgebieten können auf Antrag der Betriebsparteien die Tarifvertragsparteien vereinbaren, dass die Einmalzahlungen ganz oder teilweise entfallen.
Und was ist mit den Sachsen?
Die Ostverbände haben eine gemeinsame Linie gefunden, und vier dieser Verbände haben inzwischen einen Abschluss, der den regionalen Gegebenheiten entspricht. Ob die Tarifparteien in Sachsen ihren Weg finden, kann ich nur hoffen. Es wäre aber bedauerlich, wenn es keinen Abschluss gäbe, denn die Differenzen scheinen nicht mehr sehr groß.
Schalten Sie sich noch ein?
Nein.
Wenn es keinen Abschluss gibt, dann macht die IG Metall Haustarife. Damit wäre in Sachsen der Flächentarif kaputt und der regionale Arbeitgeberverband am Ende.
Das wäre eine der möglichen Konsequenzen, aber nicht die, die sich Gesamtmetall wünscht.
Das Gespräch führte Alfons Frese.
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