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Wirtschaft: Stromkonzernen droht Kündigungswelle

MANNHEIM (AP).In einem Prozeß mit Signalwirkung für den Wettbewerb auf dem Strommarkt hat die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) eine Niederlage gegen die Stadt Waldshut-Tiengen erlitten.

MANNHEIM (AP).In einem Prozeß mit Signalwirkung für den Wettbewerb auf dem Strommarkt hat die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) eine Niederlage gegen die Stadt Waldshut-Tiengen erlitten.Das Landgericht Mannheim erklärte am Freitag den langfristigen Stromliefervertrag zwischen dem viertgrößten Energieversorger Deutschlands und der Kommune wegen kartellrechtswidriger Klauseln für nichtig.Damit kann die Kreisstadt an der Schweizer Grenze nun wesentlich billigeren Strom aus dem Nachbarland beziehen.

Der Streit beschäftigt auch das Bundeskartellamt in Berlin.Auf viele Energiekonzerne könnte eine Kündigungswelle bestehender Stromlieferverträge zurollen.

Zentraler Punkt des Prozesses war die Frage, ob die in zahlreichen Stromlieferverträgen enthaltenen Abgrenzungen von Liefergebiet und Kundenkreis rechtmäßig sind.Damit war die Stadt Waldshut-Tiengen verpflichtet, ihren gesamten Strombedarf für die Dauer des 1996 abgeschlossenen Vertrages bis zum Jahr 2006 ausschließlich von der EnBW zu beziehen.

Vor der Liberalisierung des Strommarktes im April 1998 waren solche Klauseln für die Energiewirtschaft noch erlaubt.Nach der Liberalisierung und der Reform des Kartellrechts zu Beginn dieses Jahres stellten derartige Klauseln jedoch "wettbewerbshindernde Abreden" dar, sagte der Vorsitzende Richter.Die Klauseln bezweckten nach Auffassung des Gerichts in erster Linie die Aufteilung des Marktes und die Abwehr von Konkurrenz durch andere Unternehmen.

"Das ist die erste grundsätzliche Entscheidung, die nach dem neuen Recht zu diesen Versorgungsverträgen getroffen worden ist", sagte einer der Anwälte der südbadischen Stadt.Nach Schätzungen der Stadt sind rund 600 Stadtwerke in Deutschland durch ähnliche Verträge an ihre Versorger gebunden.Diese seien nun in einem "vertragslosen Zustand".EnBW überlegt, in die Berufung zu gehen.

Das Urteil ist bereits vorläufig vollstreckbar und dürfte gewaltige Kreise ziehen."Bis zu 600 Stadtwerke in Deutschland sind mit dem Urteil nun in vertragslosem Zustand", sagte Karl-Heinz Schilling, kaufmännischer Betriebsleiter der Stadt Waldshut-Tiengen.Sie seien nicht mehr an festgelegte Versorgungsgebiete gebunden.Etwa 30 Prozent des in Deutschland verkauften Stromes entfielen auf diese Stadtwerke, erklärten auch die Rechtsvertreter der Stadt.Die Anwälte der Stadt erklärten, schon heute könnten die Stromweiterverteiler den Stromlieferanten wechseln und von erheblichen Preissenkungen auf dem entstehenden Strommarkt profitieren.Ungebundene Stadtwerke haben nach Angaben der Anwälte aufgrund des Wettbewerbs unter den Lieferanten bereits Preisnachlässe von bis zu 30 Prozent aushandeln können.Wir wollen die günstigeren Strombedingungen an die Verbraucher weitergeben", sagte Schilling.Der Strompreis werde sich dann für den Endkunden um etwa zehn bis 20 Prozent verringern.Auch in vielen Gasabnahmeverträgen von Stadtwerken seien die für unwirksam erklärten Vertragsklauseln enthalten, berichteten die Vertreter der Stadt weiter.Nach dem Urteil seien nun viele Stadtwerke auch nicht mehr an ihre Gaslieferanten gebunden.Nicht zuletzt könnte das Urteil für den ostdeutschen Flächenversorger Veag AG, Berlin, Auswirkungen haben, der eine Reihe von Stadtwerken in den neuen Bundesländern zu seinen Kunden zählt.Eine Reihe dieser Stadtwerke hatten sich bereits gegenüber der Veag zu Nachfrage-Gemeinschaften zusammengeschlossen.

"Wir sind nicht sehr glücklich über das Urteil", sagte Bernhard Beck, Justitiar der EnBW.Da es um eine für die ganze Branche wichtige Frage gehe, werde das Unternehmen sehr wahrscheinlich Rechtsmittel einlegen.Voraussichtlich werde man bis zum Bundesgerichtshof gehen.Das Verfahren könne dann noch drei bis fünf Jahre dauern.

Gegen die EnBW läuft auch beim Bundeskartellamt ein Verfahren wegen Verdachts auf mißbräuchliche Verweigerung der Stromdurchleitung.Die EnbW hatte die Stromweiterleitung von der Aare Tessin AG zur Stadt Waldshut-Tiengen abgelehnt.Beck kündigte nach dem Urteilsspruch an, daß die Stromweiterleitung jetzt wahrscheinlich gestattet werde.

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