Wirtschaft: Umbau der Elektrobranche bietet Rendite-Chancen
Fast alle europäischen Elektrokonzerne befinden sich in einer Phase der Umstrukturierung.Traditionelle Geschäftsgebiete werden aufgegeben oder verkauft, da sie keine ausreichende Rendite mehr versprechen.
Fast alle europäischen Elektrokonzerne befinden sich in einer Phase der Umstrukturierung.Traditionelle Geschäftsgebiete werden aufgegeben oder verkauft, da sie keine ausreichende Rendite mehr versprechen.Neue Aktivitäten rund um das Telefon und das Internet werden aufgebaut oder zum Teil teuer zugekauft.
Ein Musterbeispiel für diesen Trend ist Siemens.Seit Jahren kritisieren Analysten und Anleger den drittgrößten deutschen Industriekonzern, daß die Rendite viel zu gering sei.Das im Geschäftsjahr 1992/93 gestartete "Top"- Programm hat zwar über 50 000 Arbeitsplätze eingespart und dadurch die Produktivität stark gesteigert, der enorme Preisverfall in vielen Bereichen hat die Fortschritte aber wieder aufgefressen.Die Kritik verstummte nicht.Erst das im vergangenen Sommer verkündete "Zehn-Punkte-Programm" hat viele Analysten umgestimmt.In der Tat hat Siemens-Chef Heinrich von Pierer eine Art Kulturrevolution in Gang gesetzt: Jedes Geschäftsfeld muß seine Gesamtkapitalkosten von durchschnittlich 8,5 Prozent verdienen, aus dem Bereich Bauelemente zieht sich Siemens völlig zurück.
Seit sich das Shareholder-Value-Denken durchgesetzt hat, sehen viele Analysten die Siemens-Aktie positiver.Von "underperformer" (Kursentwicklung hält nicht mit dem Markt Schritt) auf "marketperformer" (marktkonforme Entwicklung) hat die WestLB die Siemens-Aktie kürzlich heraufgestuft.Analyst Adrian Hopkinson hebt dabei die guten Aussichten des Geschäftsbereiches Netzwerke hervor.Siemens habe eine starke Position bei den weltweit installierten Vermittlungssystemen und Unternehmensnetzen.Die Hypovereinsbank bewertet Siemens sogar als "outperformer" (entwickelt sich besser als der Markt) wegen der Neuaufstellung des Konzerns und den Kostensenkungen.Jochen Klusmann von der Bank Julius Bär sieht die Siemens-Aktie bereits seit längerem als "strong buy" (starker Kauf) aufgrund der positiven Effekte aus dem Umstrukturierungsprogramm.
Eine ähnliche Radikalkur wie Siemens durchläuft seit einigen Jahren die niederländische Elektronikfirma Philips.Der seit drei Jahren amtierende Vorsitzende Cor Boonstra verordnete dem Traditionskonzern eine konsequente Strategie als Anbieter von Konsumelektronik rund um das Fernsehen.Was nicht der Stärkung der Marke dient, wird verkauft wie die Musiktochter Polygram.Kostensenkung steht auch hier auf dem Programm.Ziel ist eine Rendite von 24 Prozent auf das Betriebskapital.
Diese Strategie wird von den meisten Analysten honoriert, doch warten viele noch auf ein schlüssiges langfristiges Konzept.Der Fehlschlag der Kooperation mit dem US-Telefonriesen Lucent hat für Verstimmung gesorgt, auch ist noch nicht klar, wie das Geld aus dem Verkauf von Polygram angelegt werden soll.Im Urteil der Analysten überwiegt die Bewertung "hold" (halten) oder "marketperformer".Der Kurs der Aktie ist seit September kontinuierlich gestiegen, allerdings ziemlich im Gleichklang mit dem Aktienindex.Die BHF-Bank bewertet die Aktie mit "A3", was fundamental positiv, aber hohes Risiko bedeutet."Die Aktie erfordert ein Glaubensbekenntnis", sagt Analyst Kai Franke.Der derzeit hohe Kurs beruhe zu einem großen Teil auf einem Vertrauensvorschuß in die Person Cor Boonstra.Die BHF-Bank erwartet bei Philips 1999 eine Rückkehr zu wieder zweistelligen Wachstumsraten beim operativen Gewinn.Die Konsolidierungsphase gehe in eine Expansionsperiode über.Die Hypovereinsbank sieht Philips bereits seit November als "outperformer", weil der Konzern sich auf profitable Geschäftsfelder konzentriere.
Umstrukturierung steht auch beim französischen Elektrokonzern Alcatel auf dem Plan.Der ehemalige Staatskonzern konzentriert sich auf die Telekommunikation: Die gemeinsam mit der britischen GEC gehaltene Tochter Alstom wurde an die Börse gebracht, die Engineering-Tochter Cegelec an Alstom verkauft.Unternehmenschef Serge Tchuruk hat seit seinem Amtsantritt 1995 bereits 30 000 Stellen gestrichen, weitere 12 000 sollen in diesem und im nächsten Jahr folgen.Zur Zeit beschäftigt Alcatel noch 120 000 Personen.
Die Analysten honorieren diesen Kurs mit Kaufempfehlungen.Dabei sehen viele die Aktie als unterbewertet an.Im September verlor das Papier nach einer als zu spät eingeschätzten Gewinnwarnung an einem Tag rund 40 Prozent des Wertes.Von diesem Rückschlag hat sich der Kurs noch nicht erholt.Die BHF-Bank sieht die Aktie jetzt als fundamental positiv aber mit hohem Risiko.Honoriert wird vor allem die starke Stellung in der Internet-Technologie, die durch Käufe in den USA verstärkt wurde.Die WestLB stuft Alcatel seit einigen Wochen als "Kauf" ein, vor allem wegen der zukunftsträchtigen ADSL-Technologie, für die Alcatel erst diese Woche einen Auftrag über 800 Mill.Dollar von Bell Atlantic erhalten hat.
Einen Konzernumbau macht auch der schwedisch-schweizerische Konzern ABB durch.Die Bahntechnik wurde an Daimler-Chrysler abgegeben, vor kurzem die Stromerzeugung mit dem französischen Alstom-Konzern zusammengelegt.Dafür hat ABB Elsag Bailey übernommen und so die Sparte Automatisierungstechnik gestärkt.Gut angekommen bei den Analysten ist auch die Entscheidung, künftig Einheitsaktien für eine an der Börse notierte ABB-Holding auszugeben und so von den bisher gehandelten vier verschiedenen Papieren abzugehen.Die Analysten empfehlen ABB mehrheitlich als Kauf.Bank Julius Bär hat die Aktie erst vergangene Woche wegen der erfolgreichen Umstrukturierung auf "strong buy" hochgestuft.Die BHF-Bank stuft ABB als fundamental positiv ein, hat das Risiko aber höher eingestuft wegen des Kursanstiegs der vergangenen Wochen.
WOLFGANG GILLMANN (HB)