Wirtschaft: US-Geldpolitik: Im Grenzbereich
Jahrelang stiegen die Kurse an der New Yorker Technologiebörse Nasdaq kometenhaft. Die US-Wirtschaft glänzte mit dem eindrucksvollsten Boom der Nachkriegsgeschichte.
Jahrelang stiegen die Kurse an der New Yorker Technologiebörse Nasdaq kometenhaft. Die US-Wirtschaft glänzte mit dem eindrucksvollsten Boom der Nachkriegsgeschichte. Beides wäre ohne Alan Greenspan, den Chef der amerikanischen Notenbank Fed, nicht möglich gewesen. Seit einem Jahr geht es an Wall Street steil bergab. Die Konjunktur bricht ein. Die Wachstumsprognosen für die amerikanische Wirtschaft wurden in den vergangenen Monaten immer bescheidener. Wurde noch im Oktober mit einer Expansion um 3,5 Prozent in diesem Jahr gerechnet, erwarten die Ökonomen im Durchschnitt nur noch 1,6 Prozent.
1999 wurde selbst Greenspan, der als begeisterter Börsianer gilt, mulmig angesichts schwindelerregend hoher Aktienkurse, des unbeschreiblich starken Optimismus der Konsumenten und einer sensationell niedrigen Arbeitslosenquote. Greenspan zog die Zinsbremse. Das nehmen ihm heute alle Übel: die Investoren und Zocker, die in der Baisse an der Wall Street mehr als vier Billionen Dollar verloren, die Unternehmer, für die Kapital knapp und teuer wird und die Arbeitnehmer, die immer öfter um ihren Arbeitsplatz zittern. Die Furcht vor einer Rezession geht um im Wirtschaftswunderland. Die New Economy ist nicht immun gegen steigende Zinsen, verschärften Wettbewerb und das Auf und Ab der Konjunkturzyklen. Bittere Konsequenz: Die Gewinne schrumpfen und die Aktienkurse rutschen.
Auch die neue Ökonomie ist gegen das Auf und Ab traditioneller Konjunkturzyklen nicht gefeit - im Gegenteil verschärft sie sogar die Schwankungen von Wirtschaftswachstum und Börsenkursen. Denn nicht nur die vor Optimismus sprühenden Erfolgsmeldungen werden schneller transportiert, auch die Nachrichten von stockender Nachfrage verbreiten sich rascher. Flexible Produktion ermöglicht es, darauf sofort zu reagieren.
Und so richten sich wieder gespannt aller Augen auf Alan Greenspan: Er soll Börse und Wirtschaft durch kräftige Zinssenkungen eine harte Landung ersparen. In der Vergangenheit war billiges Geld eine gute Medizin. Sie sollte auch diesmal wirken, wenn sich der gegenwärtige Abschwung nicht wesentlich von den Konjunkturflauten unterscheidet, die die USA seit 1945 erlebt haben. Das Muster ist immer das gleiche: Nach Jahren des Aufschwungs wächst die Nachfrage schneller als das Angebot. Das führt zu wachsender Inflation. Die Fed erhöht die Zinsen, die Nachfrage geht zurück. Die Unternehmen bleiben auf ihren Produkten sitzen und bauen hohe Lagerbestände auf. Die Wirtschaft rutscht in eine Rezession, die die Notenbank verschuldet hat. Zinssenkungen führen sie aus der Talsohle.
Die Zweifel wachsen jedoch, ob der Trick mit der lockeren Geldpolitik diesmal so einfach funktioniert. Im Unterschied zu früheren Zyklen wurde der jüngste Boom nicht von einem rapiden Anstieg der Inflation begleitet. Das ist auch der Grund dafür, dass die US-Notenbank die Zinsen zwischen dem Sommer 1998 und dem Zinshöhepunkt nur um einen Prozentpunkt erhöhte. Nicht Alan Greenspan würgte die Nachfrage ab. Investitionen und privater Verbrauch brachen ein, weil enttäuschende Gewinne und abstürzende Aktienkurse die Nation schockierten. Der Freude über unbegrenzte Profite an der Börse folgte die Ernüchterung, dass die unternehmerischen Risiken unterschätzt wurden. Die Baisse trifft die US-Wirtschaft so hart wie niemals zuvor in der Geschichte, weil die Börsenkapitalisierung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) noch nie so hoch war. Jeder zweite Amerikaner besitzt heute Unternehmensanteile, doppelt so viele wie beim Börsencrash 1987. Wurden damals Aktien im Wert von 20 Prozent des BIP vernichtet, sind es heute bereits 40 Prozent. Die Konsequenzen sind schmerzvoll. Der Index des Verbrauchervertrauens lag zuletzt so tief wie seit Jahren nicht mehr. Die Investitionen schrumpfen. Das wiederum bekommen vor allem die High-Tech-Unternehmen zu spüren, die neben den Verbrauchern der wichtigste Wachstumsmotor in den USA sind.
Eine alternative Erklärung für das Entstehen und Platzen von Blasen stammt vom Ökonomen Joseph Schumpeter. Das Bemerkenswerte an seiner Theorie: Die Geldpolitik spielt keine entscheidende Rolle. Im Zentrum stehen findige Unternehmer, die innovative Produkte entwickeln. Das weckt die Begehrlichkeit der Konsumenten und verspricht den Entrepreneuren hohe Gewinne und haussierende Aktienkurse. Der Profit lockt neue Hersteller an, der Wettbewerb nimmt zu, die Produktion wird billiger - und die Renditen samt der Aktienkurse sinken. Irgendwann wird der Konkurrenzkampf ruinös. Die ersten Unternehmen kapitulieren. Die Blase platzt, und ein reinigender Konjunkturabschwung kommt in Gang. Falls diese Diagnose auf die USA zutrifft, ist eine Therapie schwierig.
Japan ist erschreckendes Beispiel dafür. Mehr als eine Dekade nach dem Platzen der Spekulationsblase am Aktien- und Immobilienmarkt kämpft das Land mit den Folgen. Obwohl die Zinsen praktisch nahe null liegen, kommt die Wirtschaft nicht auf die Beine. Die Japaner haben den Glauben an den Aktienmarkt und das Vertrauen in die Geldpolitik schon lange verloren. So schlimm muss es in den USA nicht kommen, denn Geldpolitik ist eine Vertrauenssache. Sie ist nur so gut wie das Vertrauen der Anleger und Unternehmer in den Notenbanker groß ist. Gelingt es Greenspan auch diesmal, die Märkte davon zu überzeugen, dass seine magischen Kräfte auch diesmal wirken, könnte er das Ruder herumreißen. Fassen die Investoren wieder den Mut, Aktien zu kaufen und nutzen die Manager die zusätzliche Liquidität für Investitionen, droht den USA nicht das Schicksal Japans.
Catherine Hoffmann