zum Hauptinhalt
Knapp bemessen. In 90 Minuten sollen die Waren einer Palette eingeräumt sein. Dann können die Kunden zugreifen.

© dapd

Lebensmittelhandel: Weniger Brutto bei Netto

Ein Dienstleister, der für die Supermarktkette Regale einräumt, soll tarifwidrige Verträge verwenden, sagen Arbeitsrechtler.

35 Stunden im Monat stand Andreas Döhler in einem Berliner Netto- Markt. Er packte die angelieferten Paletten aus und räumte die Ware in die Supermarktregale ein. Bezahlt und beschäftigt wurde Döhler nicht vom Supermarkt Netto Marken-Discount selbst, sondern von der Leipziger Firma Combera Handels Service GmbH. Das, was früher die Netto-Mitarbeiter selbst erledigt haben, macht nun ein Dienstleister. Als Döhler seine Gehaltsabrechnung am Ende des Monats bekam, standen dort aber nicht 35, sondern nur 15,48 Stunden aufgelistet. Döhler fragte bei Combera nach einer transparenten Abrechnung – ohne Erfolg.

Zwar war mit Döhler eine Bezahlung von 6,40 Euro vereinbart worden, allerdings pro Sollstunde. „Sollzeiten sind Zeiten, die ein Einzelner oder eine Gruppe zur Erledigung einer bestimmten Arbeitsmenge zur Verfügung hat“, erklärt Combera in einem Beiblatt zum Vertrag. Es handele sich um eine Akkordlohnvereinbarung. „Diese Sollzeiten gelten dann für den Einzelnen als Grundlage der Berechnung der Arbeitszeit und der Lohnabrechnung.“ Die Firma rechnet auch ein Beispiel vor: Für eine Palette sind 90 Minuten vorgesehen, das Team im Supermarkt besteht aus neun Leuten. Werden zehn Paletten angeliefert hat das Team pro Person 100 Minuten Zeit, sie abzuräumen.

Was außerhalb dieser jeden Tag festgelegten Sollzeit liegt, werde nicht bezahlt, klagt Döhler. „In der Praxis war diese Vereinbarung nicht einzuhalten, was aber nicht an der Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter, sondern an logistischen, strukturellen Problemen liegt“, erzählt er. So seien immer wieder Nebenarbeiten wie das Bekleben von Flaschen mit Sicherheitsetiketten angefallen. „Auch die Teamleiter haben häufig gewechselt, und manchmal sind sie gar nicht aufgetaucht“, sagt Döhler. Ab und zu hätten Netto-Mitarbeiter bei Combera angerufen und sich diesbezüglich beschwert. Weil Döhler nur knapp 16 Stunden angerechnet bekam, wurde sein Lohn mehr als halbiert, sagt er. „Faktisch entsprach das einem Stundenlohn von zwei bis 2,60 Euro, dieser war nicht die Ausnahme, sondern die Regel“, sagt Döhler. Das bestätigt auch ein Mitarbeiter, der namentlich nicht genannt werden möchte. „Zu Beginn war ich langsamer, weil ich mich im Markt noch nicht auskannte, da lag ich bei 2,50 Euro pro Stunde“, sagt er. Auch heute schaffe er die Zeitvorgaben nicht. „Auf mehr als 3,50 Euro pro Stunde komme ich nicht“, klagt er.

Bei der Combera Handels Service ist man erstaunt. Man sei vom Tüv zertifiziert, die Mitarbeiter erhielten eine „korrekte Abrechnung nach Tarif“. „Im konkreten Fall unserer Zusammenarbeit mit Netto bezahlen wir sogar übertariflich 6,00 Euro plus 0,40 Euro übertarifliche Zulage“, teilte der Geschäftsführer Henry Wieder am Freitag mit. Auf die Schilderung des Falls hin erklärte Combera, es seien „in einer Organisation ab einer gewissen Größenordnung auch Fehler möglich“. Die Firma bedauere das. „Definitiv ist dies nicht gewollt oder gar eine Zielstellung! Unser Außendienstmitarbeiter hat hier vermutlich versagt und seinen Teamleiter falsch geführt“, räumte Combera ein. „Löhne unter Tariflohn sollen nicht zustande kommen“, sagte Wieder. Man wolle den Fall in Berlin nun klären.

Eine Sprecherin von Netto Marken-Discount erklärte, man halte sich „im Rahmen des bestehenden Dienstleistervertrages mit Combera an geltendes Recht“. In neun der 4000 Filialen setze man „zur Entlastung unseres Stammpersonals“ Fremdpersonal der Firma Combera ein. Der externe Vertragspartner garantiere, „dass er sein Personal entsprechend des gesetzlichen Mindestlohns bezahlt“, erklärte die Firma. Das würde regelmäßig geprüft.

Der Arbeitsrechtler Peter Schüren von der Universität Münster hält die Regelung für einen Trick. „Ein tariflicher Stundenlohn wird nur für Arbeitszeit gezahlt und nicht für ein Ergebnis“, sagt er. Akkordlohnvereinbarungen könnten genutzt werden, um erhöhte Leistung zusätzlich vergüten. „Es muss aber sichergestellt werden, dass in jedem Fall mehr erzielt wird als die tarifliche Stundenvergütung“, sagt Schüren. Die Mitarbeiter müssten den Akkordrichtsatz ohne Probleme erbringen können. „Akkord darf nicht als Mittel benutzt werden, den tariflichen Mindeststundenlohn zu unterlaufen“, sagt Schüren. Im Combera-Vertrag sei zudem nicht erkennbar, wie der Lohn errechnet werde. „Das ist nicht zulässig.“ Mängel im Arbeitsvertrag sieht auch die Gewerkschaft Verdi: „Es fehlt zum Beispiel jeglicher Hinweis auf einen Urlaubsanspruch im Vertrag“, sagt Rainer Kuschewski, Bundesfachsekretär für den Handel.

Unklar ist, wie viele Mitarbeiter der Firma durch die Regelung schlechter bezahlt werden als nach Tarif. „Ist das die Regel, dann ist es vonseiten der Combera ein Instrument zu rechtswidrigem Lohndumping“, sagt Schüren. Hier müsse dann der Zoll einschreiten.

Der durchsuchte vergangene Woche die Logistikzentren von Netto Marken-Discount und Kaufland. Nach eigenen Angaben ist Combera hiervon nicht betroffen. Der Vorwurf der Fahnder: Womöglich haben die Supermarktketten mit illegalen Scheinwerkverträgen die Tariflöhne erheblich unterschritten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false