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Wirtschaft: Weniger Paragraphen pauken

Anwalt oder Richter wollen nicht alle Jura-Studenten werden. Weiterbildungen können eine Alternative zum zweiten Staatsexamen sein – oder es ergänzen.

Von Ronja Ringelstein

Sie sitzen einfach immer in der Bibliothek, täglich zehn Stunden, sogar sonntags: Jurastudenten vor ihrem ersten Staatsexamen. Der Stoff des Jurastudiums ist umfangreich, der psychische Druck groß, besonders kurz vor der Examensprüfung. Sehnenscheidenentzündungen in der Schreibhand, Gewichtsschwankungen und Panikattacken kommen nicht selten vor . Ist das erste Staatexamen endlich bestanden, wollen die wenigsten jemals wieder einen solchen Lernaufwand haben. Doch da wäre eigentlich noch ein zweites Examen zu absolvieren.

Einige beschließen, darauf lieber zu verzichten. So auch Charlotte Baum (Name geändert), die Jura an der Viadrina in Frankfurt (Oder) und an der Humboldt Universität in Berlin studiert hatte. Seit einigen Jahren verleihen Universitäten Absolventen wie ihr gegen eine Verwaltungsgebühr den Titel „Diplom-Jurist“. Ein Titel, der von den Volljuristen, also von jenen, die auch ihr zweites Examen abgelegt haben, überwiegend belächelt wird. „Ich rate jedem sein zweites Examen zu machen. Das gibt einem Sicherheit und die Möglichkeit sich schließlich als Anwalt niederzulassen", sagt Matthias Pechstein, Dekan der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina. Denn den wirklichen Beruf eines Juristen erlernt man erst als Referendar, wenn sie innerhalb von zwei Jahren verschiedene Stationen wie Gericht und Kanzlei durchlaufen.

Doch es gibt eine Alternative: Weiterbildung, etwa einen Master-Studiengang. Charlotte Baum hat sich statt für das zweite Staatsexamen für eine Weiterbildung entschieden, einen Master der European Studies an der Viadrina, ein interdisziplinärer Studiengang, der Recht mit Kultur, Politik und Wirtschaft vereint. Den Stundenplan können sich die Studenten selbst zusammenstellen und damit ihren eigenen Schwerpunkt setzen. „Endlich hatte ich wieder Spaß an der Materie", sagt Baum. Denn für all das, was in der Examensvorbereitung auf der Strecke geblieben war, war endlich wieder Raum: angeregte Diskussionen und die Frage nach dem Warum. Endlich war das sture Auswendiglernen vorbei. Der Master ist sehr international ausgerichtet, seine Absolventen arbeiten etwa als Experten für Migration, Klimapolitik, europäische Regionalpolitik oder EU-Außenbeziehungen und europäische Integration.

Dabei entscheiden sich bislang nicht viele Juristen für diesen Studiengang. Charlotte Baum fiel eines sehr schnell an ihren Kommilitonen auf: Das waren richtige Macher. Viele hatten schon Kontakte zur gewünschten Branche geknüpft oder erste Berufserfahrungen gesammelt. Dieser Studiengang war für einige nur das I-Tüpfelchen auf ihren schon sehr ausgefeilten Lebensläufen. Nebenqualifikationen seien aber schließlich meistens das, was einen von anderen Bewerbern unterscheidet. Als Diplomjurist hat man vor allem dann gute Aussichten, wenn man sich eine Nische schafft, sich spezialisiert.

Typische Arbeitsfelder für Diplom-Juristen sind etwa der öffentliche Dienst, wie zum Beispiel beim Jobcenter einer Arbeitsagentur oder im Finanzwesen, etwa als Steuerberater. Auch als Sachberater in Rechtsabteilungen von Firmen kann es Platz für Juristen mit nur einem Staatsexamen geben. Vor allem aber in der Wirtschaft können sie einen Arbeitsplatz finden. Doch oft wird es dort ohne Weiterbildung nicht klappen. Selbst wenn man einen Job in der Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst finden sollte, sind die Aufstiegsmöglichkeiten gering. Eine Expertise aufzubauen ist deshalb ratsam. Vor allem kommt da der „ Master of Laws“ infrage, kurz L.L.M. Im Ausland abgelegt, bescheinigt er einem gute Sprachkenntnisse. Ein L.L.M. dauert ein bis zwei Jahre und muss meist privat bezahlt werden, die Fachrichtung ist wählbar. „Der L.L.M. ist aber kein Ersatz für das zweite Examen, nur zusätzlich hebt er einen von anderen Bewerbern positiv hervor", sagt Pechstein, Dekan der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina. Tatsächlich kann das zweite Examen nicht ersetzt werden, um schließlich doch noch Anwalt werden zu können. Er kann einen aber für Firmen in nicht anwaltschaftlicher Tätigkeit interessant machen.

Vier Semester dauert etwa der Master in „Tax Law“ an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald. Er richtet sich an diejenigen, die an einer beruflichen Zukunft in der steuerlichen und wirtschaftlichen Unternehmensberatung interessiert sind oder in Stabsfunktionen von Unternehmen tätig sein wollen. Der Studiengang beinhaltet eine vertiefte Ausbildung im Bereich der Rechtswissenschaft mit einem Schwerpunkt im Steuerrecht. Kenntnisse im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich sollen in den Ökonomiemodulen erweitert und vertieft werden. Steuerrecht und Wirtschaft liegt schließlich nah beieinander. Wer beides kann, hat bei Unternehmen gute Chancen. Eine andere Möglichkeit bietet die Uni Greifswald mit dem Master-Programm „Health care Management“. Auch hier wird auf eine breitgefächerte Materie gesetzt: Ziel der Ausbildung ist der Erwerb vertiefter Kenntnisse in Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, Gesundheitsmanagement und Gesundheitsökonomik sowie weiterer Fächer, beispielsweise Epidemiologie. Die Absolventen sollen Gesundheitssysteme gestalten und Gesundheitsdienstleister, wie etwa Krankenhäuser, führen können. Der Abschluss nach vier Semestern ist ein Master of Science.

Eine neuere Weiterbildung für Diplom- und Volljuristen ist die zum Mediator. Mediation ist die außergerichtliche Streitschlichtung durch eine neutrale Vermittlungsperson zwischen zwei sich zankenden Parteien. Diese können aus dem privaten Umfeld oder dem Bereich der Wirtschaft stammen. Es ist ein Trend aus den USA, wo Mediatoren oft vor dem Anwalt angerufen werden, um etwa innerbetriebliche Konflikte zu lösen. Der Vorteil einer Mediation anstelle eines gerichtlichen Verfahrens ist der geringere Aufwand an Zeit und Kosten. In Deutschland ist das Verfahren noch neuer, erst im Juli 2012 trat das Mediationsgesetz in Kraft. Dies deutet zumindest darauf hin, dass Mediation als Streitschlichtung beliebter wird. Noch ist es aber anscheinend schwierig, in Deutschland als Mediator seinen Lebensunterhalt zu bestreiten – und die Weiterbildung ist teuer. Sie wird von verschiedenen Universitäten und Schulen angeboten. Bei einigen erhält der Absolvent ein Zertifikat, an anderen einen Titel, wie an der Fernuni Hagen, den Master of Mediation. Für die Ausübung des Berufs reicht es aus „zertifizierter Mediator“ zu sein, so das Gesetz. Die Mediation steht damit allen offen: jenen, die beide Examina haben und auch denen, die durch das zweite durchgefallen sind oder von vornherein nur eines absolvieren wollten.

Am Anfang des Jurastudiums hören die Sudenten oft, dass man mit Jura alles machen könne. Schwieriger ist es, das Richtige für sich zu finden. Praxisnähe durch Praktika in Verbindung mit den oben genannten Weiterbildungen tragen aber dazu bei, den eigenen Horizont zu erweitern und für den Arbeitsmarkt als ein Jurist mit Weitblick attraktiv zu werden.

Charlotte Baum hat ihren Masterstudiengang schließlich nicht beendet, sondern doch noch das Referendariat begonnen. Es war eine Kopfentscheidung für sie: „Es fiel mir nicht leicht, dieses Studium abzubrechen, weil es so Spaß gemacht hat.“ Trotzdem tat sie es, weil sie Sorge hatte, damit nicht weit genug zu kommen: „Wenn man mit Mitte Zwanzig immer noch nicht weiß, was man eigentlich arbeiten will, ist es nicht die klügste Idee diesen Master zu machen, denn er wiegt weniger als das Referendariat. Und ich habe schließlich auch im Master wieder nur Jura gemacht.“ Fast ohne es zu merken, hatte sich Charlotte Baum ihren Stundenplan im Masterprogramm wieder überwiegend mit Jurakursen belegt. Das während der Examensphase verlorengegangene Interesse war zurückgekehrt. Und somit auch der Wunsch Volljuristin zu werden.

Sollte sie das zweite Examen nicht bestehen, ist für sie trotzdem nicht alles verloren: Das zweijährige Referendariat vor dem zweiten Examen ist damit schließlich absolviert. Es ist eine staatlich finanzierte Ausbildung. Diese zwei Jahre sind als erste Arbeitserfahrung ein weiterer Pluspunkt bei der Jobbewerbung. Beispielsweise im Bereich Personalwesen, kann man hiermit bei einigen Firmen schon Jobzusagen ergattern. Die Aufgaben können hier etwa Recruiting, also Personalbeschaffung, sowie Personalplanung und die Bearbeitung arbeitsrechtlicher Fragen sein.

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