
© Kurt Desplenter/BELGA/dpa
Weniger Tage bei gleicher Arbeitszeit: Belgien führt Vier-Tage-Woche ein
Freitags statt ins Büro an den Badesee: In Belgien könnte das für Arbeitnehmer:innen bald möglich sein. Die Regierung hat eine Vier-Tage-Woche beschlossen.
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Angestellte in Belgien sollen ihre Arbeit künftig flexibel an vier statt fünf Tagen verrichten können. Die belgische Regierung einigte sich auf eine entsprechende Arbeitsmarktreform, wie Premierminister Alexander De Croo am Dienstag mitteilte.
„Der erste Pfeiler ist, den Arbeitern mehr Flexibilität, mehr Freiheit zu geben“, sagte De Croo.
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Vollzeit-Arbeitnehmer:innen sollen am Tag länger arbeiten dürfen, damit alle erforderlichen Stunden in vier Tagen geleistet werden können. Inwieweit sich die neue Regelung auf die Bezahlung auswirken soll, war zunächst unklar.
Das solle etwa der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben zugutekommen, so De Croo von der Open VLD, einer marktliberalen Partei. Er regiert in Belgien seit Oktober 2020 mit einer Sieben-Parteien-Koalition bestehend aus Liberalen, Sozialdemokraten, Grünen und Christdemokraten.
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Dem Bündnis, das in Europa wohl seinesgleichen sucht, gingen zuvor mehr als 500 Tage ohne Regierung voraus, bevor sich die sieben Parteien zu der ungewöhnlichen Konstellation durchrangen.
Initiativen die sich einer Vier-Tage-Woche annahmen gab es in der Vergangenheit immer wieder.
Gute Erfahrungen in Island
Als Pionierprojekt gilt wohl ein fünfjähriges Feldexperiment in Island aus dem Jahr 2015, bei dem etwa 2.500 Erwerbstätige, circa ein Prozent der berufstätigen Bevölkerung, ihre Arbeitszeit von 40 auf 36 oder 35 Stunden reduzierten – bei gleichem Gehalt.
Auch die finnische Premierministerin Sanna Marin dachte im Sommer 2019 laut über eine Vier-Tage-Woche nach.
Zu der Arbeitsmarktreform in Belgien gehöre auch ein gesetzlich geregelter Zugang zu Weiterbildungen für Arbeitnehmer:innen, sagte De Croo. Außerdem werde es mehr Flexibilität bei den Nachtdienst-Regeln geben, um vor allem den Online-Handel anzukurbeln.
Es soll auch einen besseren Schutz für freie Angestellte von Internet-Plattformen wie Uber geben, etwa eine verpflichtenden Arbeitsunfall-Versicherung. „Wir arbeiten an einer nachhaltigen, innovativen und digitalen Wirtschaft“, sagte De Croo.
Auch Firmen in Deutschland experimentieren mit weniger Arbeitstagen
Auch in Deutschland gibt es Firmen die mit einer Vier-Tage-Woche experimentieren, insbesondere Berliner Start-ups. Die Firma Braineffect zum Beispiel reduzierte letztes Jahr die Arbeitszeit über die Sommermonate und machte damit gute Erfahrungen.
Weniger Krankheitstage, gleichbleibende Produktivität, geringere Angestellten-Fluktuation und für die Mitarbeitende vor allem: Höhere Zufriedenheit und Freitage in der Sonne.
Ausgangspunkt für das Projekt waren laut Firmenchef Fabian Foelsch viele Klagen in der Belegschaft über Erschöpfung nach dem Lockdown im Winter. Er will das Experiment im kommenden Sommer fortführen, im Winter wurde es von der Firma wieder ausgesetzt: „Es würde sich sonst abnutzen und soll etwas besonderes bleiben, worauf sich die Leute freuen können“, erklärt Foelsch.
Bedarf für flexiblere Arbeitszeitmodelle gibt es laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung auch anderswo zuhauf: 50 Prozent der Männer und 41 Prozent der Frauen arbeiten mehr als sie wollen und gehen davon aus, die gleiche Arbeit in weniger Zeit schaffen zu können.
Die Nachrichtenagentur Belga schrieb, Ziel der Reformen in Belgien sei eine Beschäftigtenquote von 80 Prozent bis 2030. Derzeit liegt sie demnach bei 71 Prozent mit großen regionalen Unterschieden. Zum Vergleich: In Deutschland lag die Quote der Erwerbstätigen laut Statistischem Bundesamt zuletzt bei 75,5 Prozent.
Das Resultat der Studienauswertung aus Island liest sich übrigens wie ein voller Erfolg: Gestiegenes Wohlbefinden, weniger Stress, weniger Burn-outs, verbesserte Work-Life-Balance. Auch aus Sicht der Betriebe wirkte sich der Versuch positiv aus: Die Produktivität der Firmen sei gleich geblieben oder habe sich verbessert, schreiben die Forscher:innen.
Die isländischen Gewerkschaften haben in der Folge die Arbeitszeiten neu verhandelt: Heute haben 86 Prozent der Isländerinnen und Isländer einen Rechtsanspruch auf reduzierte Stunden. (mit dpa)
Aljoscha Huber
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