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Wirtschaft: "Wir brauchen in Ostdeutschland die 35-Stunden-Woche"

TAGESSPIEGEL: Herr Düvel, wann wird im wichtigsten deutschen Wirtschaftszweig nur noch 32 Stunden die Woche gearbeitet?DÜVEL: Wir werden bei den kommenden Tarifrunden im Westen den Schwerpunkt bei der Erhöhung der Einkommen setzen.

TAGESSPIEGEL: Herr Düvel, wann wird im wichtigsten deutschen Wirtschaftszweig nur noch 32 Stunden die Woche gearbeitet?

DÜVEL: Wir werden bei den kommenden Tarifrunden im Westen den Schwerpunkt bei der Erhöhung der Einkommen setzen.Und im Osten wollen wir weitere Angleichungsschritte gehen, also von der heute noch gültigen 38-Stunden-Woche in Richtung 35 Stunden, wie sie im Westen bis Ende 2000 festgeschrieben sind.Vom Jahr 2000 an werden bei den Tarifverhandlungen weitere Schritte einer generellen Arbeitszeitverkürzung angestrebt.

TAGESSPIEGEL: Mit der 32-Stunden-Woche fährt die IG Metall einen riskanten Kurs, die eigene Gewerkschaftsbasis lehnt diese Form der Arbeitszeitverkürzung ab.

DÜVEL: An einer deutlichen Verkürzung der Arbeitszeit kommen wir nicht vorbei, nur die Frage des Wie ist umstritten.Die Differenz zwischen dem Arbeitsvolumen in Deutschland und dem Produktivitätsfortschritt wird größer.Ohne Arbeitszeitverkürzung werden wir also das Beschäftigungsproblem nicht in den Griff bekommen.Der Widerstand, der im Moment dagegen aufgebaut wird, ist vor allem ideologischer Natur.Nehmen wir doch das Beispiel VW mit der 28,8-Stunden-Woche.Da ist es eben nicht so, daß das Unternehmen in seiner Gestaltungsfreiheit eingeschränkt wird.Im Gegenteil: jede Arbeitszeitverkürzung bringt mehr Flexibilität.Das Unternehmen bekommt also ein Instrument in die Hand, um die Betriebsnutzungszeiten zu verlängern.

TAGESSPIEGEL: VW ist ein schlechtes Beispiel, weil dort die Vier-Tage-Woche im Einvernehmen zwischen Unternehmen und IG Metall eingeführt wurde, um Massenentlassungen zu verhindern.

DÜVEL: Beide Seiten haben bei VW geschaut, welche Vorteile sie durch eine Arbeitszeitverkürzung haben.VW wollte natürlich die hohen Sozialplanaufwendungen sparen, die bei der Entlassung von bis zu 30 000 Mitarbeitern fällig geworden wären.Aber das Unternehmen bekam auch ganz andere Arbeitszeitverteilungsmöglichkeiten und konnte entsprechend die Arbeitsprozesse flexibel gestalten.

TAGESSPIEGEL: Die Vier-Tage-Woche bei VW fußt auf einem Firmentarifvertrag, der die spezifischen Anforderungen des Unternehmens berücksichtigt.Genau das ist nicht möglich bei einer flächendeckend geltenden 32-Stunden-Woche.

DÜVEL: Eine Arbeitszeitverkürzung ist für jedes Unternehmen eine Bereicherung, wenn die Arbeitszeit intelligent verteilt wird.Dann bekommen die Arbeitgeber ein Instrument in die Hand, das ihnen mehr organisatorische Möglichkeiten gibt.Da kann man sich vieles vorstellen.Ein Projektentwickler zum Beispiel kann ja für die Dauer des Projektes 40 Stunden arbeiten.Über das Jahr gesehen sollte er jedoch bei 35 Stunden oder vielleicht demnächst bei 32 Stunden die Woche liegen.

TAGESSPIEGEL: Sie schildern Vorteile für die Arbeitgeber.Ihre Klientel jedoch ist kaum an weniger Arbeit interessiert.

DÜVEL: Im Moment wollen alle Beschäftigte mehr Geld und Beschäftigungssicherheit.Viele haben Angst um den Arbeitsplatz.Ferner hat dem Einzelnen über neun Jahre hinweg netto kaum mehr Geld zur Verfügung gestanden.Deshalb werden die nächsten Tarifrunden Geldrunden.Aber grundsätzlich gilt: Wenn die Tarifpolitik nicht auch Solidarität übt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitslosen, dann geht sie kaputt.

TAGESSPIEGEL: Wollen Sie Solidarität von oben verordnen?

DÜVEL: Gewerkschaftsarbeit mit Verordnung geht gar nicht.Bei uns wird diskutiert und dann entschieden.Wir werden jedenfalls niemals ein Konzept verfolgen, von dem wir nicht sicher sind, ob es streikfähig ist.Solidarische Tarifpolitik ist für mich, daß für alle Beschäftigten das Arbeitsvolumen gleichmäßig sinken muß.Und zwar mit dem Ziel, zusätzlich Stellen zu schaffen und Azubis nach der Ausbildung eine Perspektive zu geben.Wie soll denn eine Gewerkschaft legitimieren, daß ein Drittel der Gesellschaft so viel schuften kann wie es will, und die anderen fallen immer weiter runter, schlimmstenfalls eben bis zur Null-Stunden-Woche?

TAGESSPIEGEL: Warum nehmen Sie sich nicht den Tarifvertrag bei Debis zum Vorbild, wo - je nach Lebensalter - zwischen 35 und 40 Stunden gearbeitet werden kann? So kommt Luft in den Flächentarif.

DÜVEL: Luft gibt es jetzt schon reichlich.Von einem starren Tarifkorsett kann gar keine Rede sein.Das wird nur immer behauptet von Leuten, die den Flächentarifvertrag insgesamt kaputtmachen wollen.Wir wissen doch auch, daß eine Fahrradbude oder ein Motorradhersteller in bestimmten Monaten mehr arbeiten muß, in anderen weniger.

TAGESSPIEGEL: Wenn Sie die Leute von Arbeitszeitverkürzungen überzeugen wollen, dann sollten Beschäftigungseffekte sichtbar sein und die Arbeitnehmer müssen auf mehr Lohn verzichten.

DÜVEL: Jede Arbeitszeitverkürzung wird aus dem Verteilungsspielraum genommen; eine Stunde Arbeit macht etwa 1,4 Prozent Lohnzuschlag aus.Wenn wir also mit fünf Prozent abschließen würden, dann könnte die Arbeitszeit um eine Stunde reduziert und gleichzeitig könnten Löhne und Gehälter um 3,6 Prozent angehoben werden.

TAGESSPIEGEL: Vielleicht locken Sie die Arbeitgeber damit, daß es künftig einen Acht-Stunden-Tag gibt; verteilt auf vier Tage die Woche macht das 32.Gleichzeitig gibt die Gewerkschaft den Arbeitgebern den Sonnabend als zuschlagsfreien Regelarbeitstag.

DÜVEL: Am Sonnabend wird doch schon gearbeitet, und die Zuschläge werden verkraftet von den Unternehmen.Das soll auch so bleiben, um das Wochenende zu schützen.

TAGESSPIEGEL: Unter anderem wegen der Leistungsverdichtung - die Beschäftigten müssen das gleiche Pensum in weniger Zeit schaffen - lehnen viele Arbeitnehmer Arbeitszeitverkürzungen ab.

DÜVEL: Das ist dann kein Problem mehr, wenn man Arbeitszeitverkürzung mit Personalbemessung koppelt.Wenn also eine Größenordnung festgelegt wird, wieviel zusätzliche Arbeitsplätze eine Arbeitszeitverkürzung bringt.Aber um diesen Punkt, der die Sache auch komplizierter macht, gibt es heftigen Streit.Wenn wir kräftig genug sind, dann kriegen wir das geregelt, denn am Ende geht es immer um eine reine Machtauseinandersetzung.

TAGESSPIEGEL: Für den Westen wird die 32-Stunden-Woche erwogen, im Osten arbeiten die Metaller noch 38 Stunden.Welche Schwerpunkte legt die IG Metall hier in der nächsten Tarifrunde Ost?

DÜVEL: Es geht schlichtweg darum, den Angleichungsprozeß abzuschließen.Dabei ist die Arbeitszeit ein Punkt.Insgesamt sind es etwa acht Bereiche, darunter der besondere Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer, vermögenswirksame Leistungen oder auch Kurzarbeitergeld.Hier stehen die Ostarbeitnehmer deutlich schlechter da als ihre Kollegen im Westen.Der Angleichungsprozeß stockt inzwischen seit zwei Jahren.Wenn wir aber die soziale Einheit wollen, dann müssen wir weitermachen.

TAGESSPIEGEL: Nun wird die Ostkonjunktur gegenwärtig vom Westen weiter abgehängt und die Lohnstückkosten sind noch immer deutlich über Westniveau.

DÜVEL: Das stimmt so nicht.In der Metall- und Elektroindustrie haben wir in den neuen Ländern eine Produktivitätssteigerung um 16,9 Prozent im vergangenen Jahr gehabt, allein im zweiten Halbjahr waren es mehr als 20 Prozent.Wir werden demnächst eine Studie vorlegen, in der 30 Betriebe aus Ost und West mit ähnlicher Größe und ähnlichen Produkten verglichen werden.Bereits jetzt zeichnet sich ab: Wenn wir die Härtefall-Betriebe rausnehmen, haben wir im Osten eine bessere Produktivät als im Westen.Deshalb werden wir auch in diesem Jahr in bezug auf die Lohnstückkosten mit den westlichen Metallbetrieben gleichziehen.Das rechtfertigt weitere Angleichungsschritte, zumal die Effektiveinkommen im Osten noch rund 18 Prozent unter denen im Westen liegen.

TAGESSPIEGEL: Wie ist die Schrittfolge?

DÜVEL: Im Oktober werden wir wissen, wie die betriebswirtschaftliche Entwicklung in unserem Bereich ist.Dann werden wir voraussichtlich die gleichen Lohnforderungen wie im Westen stellen und darüber hinaus weiter angleichen, also aufholen.Der wichtigste Punkt dabei ist die 35-Stunden-Woche.Wenn wir zum Beispiel in Sachsen nichts machen bei der Arbeitszeit, dann steht jeder fünfte Arbeitsplatz zur Disposition.Deshalb verspreche ich mir mit der Angleichung auf 35 Stunden auch kaum neue Arbeitsplätze; es geht um die Rettung der bestehenden Jobs.Die Alternative wäre sonst in Ostdeutschland: Weiteres Wachstum bei weiter steigender Arbeitslosigkeit.Wer will das gesellschaftlich verantworten?

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