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Orca auf Island, die größte - und auch eine der wenigen -, Anlagen überhaupt, die CO2 aus der Atmosphäre filtern, das dann im Boden mineralisiert, beziehungsweise quasi zu Stein wird.

© imago images/Cover-Images

Atmosphäre und Klimakrise: „Eine Idee ist, durch gezielte CO2-Entnahme die Temperatur wieder abzusenken“

Wer Klimaneutralität will, kommt um Kohlenstoffdioxid-Speicherung nicht herum, sagt Oliver Geden, Leitautor des Weltklimarates. Er sieht aber auch eine Gefahr.

Oliver Geden ist Sozialwissenschaftler und forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zu Klima- und Energiepolitik. Er ist Leitautor des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates, dessen dritter Teil am Montag, den 4. April 2022, vorgestellt wird. Darin liegt der Fokus auf der Minderung der Klimakrise, die Abscheidung von Kohlenstoffdioxid und Speicherung spielt dabei eine entsprechende Rolle. Das Interview, das Sie hier in Auszügen lesen können, wurde für den Tagesspiegel-Klimapodcast Gradmesser geführt. Die Gradmesser-Folge können Sie hier hören.

Herr Geden, Sie sagen: Wenn man das Ziel der Klimaneutralität ernst nimmt, kommt man an negativen Emissionen, also an der Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre, nicht vorbei. Warum ist das so?
Das Ziel Klimaneutralität bedeutet: Diejenigen Emissionen, die sich nicht vermeiden lassen, sollen künftig neutralisiert werden. Zum Beispiel in der Landwirtschaft wird sich auch langfristig der Austritt von Methan nicht vermeiden lassen, Lachgas fällt bei der Düngung an. In der Industrie und beim Luftverkehr entstehen möglicherweise noch in Jahrzehnten Treibhausgase. Dafür braucht es dann Methoden, die CO2 aktiv aus der Atmosphäre ziehen können. Deutschland und die EU streben also eine Netto-Null bei den Emissionen an.

Sie beschäftigen sich auch für den Weltklimarat mit dem Thema CO2-Entnahme aus der Atmosphäre. Was für eine Rolle spielen denn da die verschiedenen Ansätze, wenn es darum geht, die Erderwärmung noch auf deutlich unter zwei Grad zu beschränken?
Im Grunde gibt es zwei politische Ansätze. Über das Ziel der Netto-Nullemissionen habe ich gerade gesprochen, grob gesagt lässt sich damit der Temperaturanstieg stabilisieren. Allerdings geht aus dem IPCC-Bericht vom vergangenen August hervor, dass wir die Schwelle von 1,5-Grad Erderwärmung wahrscheinlich schon in den 2030er Jahren überschreiten werden. Da kommt der Ansatz der Netto-Negativemissionen ins Spiel.

Dahinter steckt die Idee, wir könnten der Atmosphäre mehr CO2 entziehen, als wir emittieren und damit die Temperatur auch wieder absenken. Beide Strategie werden von Wissenschaftlern durchgerechnet, mit verschiedenen Ansätzen und Techniken, die man dabei einsetzen könnte.

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Das Ziel Klimaneutralität haben sich viele Staaten bereits gesetzt, Deutschland will sie bis 2045 erreichen, die EU bis 2050, und das stellt auch niemand mehr infrage. Dagegen finden viele Beobachterinnen und Beobachter die Idee, irgendwann mehr Treibhausgase aus der Atmosphäre heraus zu nehmen als man hineingibt, ein bisschen dubios.

Warum?
Die Gefahr liegt darin, dass man sich einreden könnte, irgendwann in der Zukunft alles in Ordnung zu bringen. Statt kurzfristig drastisch Emissionen zu reduzieren, würde man sich darauf ausruhen, das Kohlenstoffdioxid der Atmosphäre später wieder zu entnehmen. Das ist die Befürchtung, vor allem in globalen Debatten, in denen meist auch unklar bleibt, wer denn eigentlich für Netto-Negativemissionen verantwortlich wäre.

Man kann aber auch pragmatisch sagen: Wenn wir in Europa für das Erreichen der Klimaneutralität in einem gewissen Umfang ohnehin die Entnahme von CO2 brauchen, werden wir nach und nach Erfahrungen mit den verschiedenen Möglichkeiten sammeln. Wenn die Erfahrungen positiv sind, können wir das ausbauen. Möglicherweise sehen wir aber auch, dass es schwieriger ist als gedacht, oder wir stoßen auf unerwünschte Nebeneffekte. Kurzum: Wir müssen in dem Bereich Erfahrungen sammeln.

Oliver Geden forscht zur Klima- und Energiepolitik in der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Er ist Leitautor des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates, dessen dritter Teil am Montag, den 4. April 2022, vorgestellt wird.
Oliver Geden forscht zur Klima- und Energiepolitik in der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Er ist Leitautor des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates, dessen dritter Teil am Montag, den 4. April 2022, vorgestellt wird.

© promo

Wie berechtigt sind diese Sorgen im Blick auf die technische Kohlenstoffdioxid-Entnahme und wie könnte ihnen entgegengewirkt werden?
Die Gefahr besteht, dass man in einer Hype-Diskussion über vorgeblich vielversprechende Methoden landet, die dann später die Erwartungen nicht erfüllen. Das kann, wie gesagt, den falschen Eindruck auslösen, wir müssten uns jetzt nicht so anstrengen bei der Emissionsreduktion.

Dem könnte man durch politische Teilziele begegnen: Zum Beispiel kann man gesetzlich festlegen, dass 90 oder 95 Prozent unserer Treibhausgasemissionen durch klassische Emissions-Reduktion vermieden werden müssen. Nur ein bestimmter Rest dürfte dann durch gezielte CO2-Entnahme ausgeglichen werden. Damit wäre ein klares Signal gesetzt, wo die Priorität liegt. Im zweiten Schritt ginge es darum, welche Methoden zur deutschen Klimawende passen, und was damit für Nebeneffekte oder auch Vorteile verbunden sein können. Diese Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse beginnen in der EU allerdings gerade erst.

Was für eine Entwicklung im Blick auf technische CO2-Entnahme halten Sie denn für realistisch?
Bei Technologien zur CO2-Entnahme stehen wir ziemlich am Anfang, da ist die Entwicklung noch schwer einzuschätzen. Direct Air Capture kombiniert mit CO2-Speicherung , also das direkte Filtern von CO2 aus der Umgebungsluft, betreiben bisher nur ganz wenige Unternehmen, auf Island steht aktuell die weltweit größte Anlage. Für diese Methode braucht es sehr große Mengen Energie, und damit in der Bilanz überhaupt netto negative Emissionen rauskommen, muss diese zudem CO2-arm sein. Auf Island kann dabei Geothermie genutzt werden.

Dampf steigt vom Thermalkarftwerk Hellisheidi auf. Auf dem Geläde seht eine Anlage der Firma Climeworks, die der Luft CO2 entziehen kann.
Dampf steigt vom Thermalkarftwerk Hellisheidi auf. Auf dem Geläde seht eine Anlage der Firma Climeworks, die der Luft CO2 entziehen kann.

© picture alliance/dpa/CarbFix

Andere Techniken, die diskutiert werden, sind in einem noch viel früheren Entwicklungsstadium. Bei den ökosystembasierten Methoden wie der Wiederaufforstung sieht das anders aus. Da ist eher die Frage, wie realistisch die dort angenommenen Potenziale künftig noch sein werden. Denn Aufforstung hat nicht nur einen hohen Flächenverbrauch. Wälder sind sehr anfällig für die Folgen der Erderwärmung, und bei Schädlingsbefall oder Waldbränden entweicht das gebundene CO2 wieder in die Atmosphäre.

Direct Air Capture verbraucht nicht nur sehr viel Energie, die Technik ist auch sehr teuer. Climeworks auf Island ruft 1000 Euro pro Tonne CO2 auf.
Ja, aber die 1000 Euro liegen sicher schon weit über den eigentlichen Produktionskosten. Grundsätzlich muss hier das passieren, was wir bei Solar- und Windenergie auch gesehen haben. Wir brauchen eine technologische Lernkurve, und wir müssen den Anlagenbau industrialisieren. Ziemlich sicher werden die Kosten dann stark sinken, Schätzungen gehen in Richtung 100 bis 300 Euro pro Tonne. Aber niemand kann letztlich mit Sicherheit sagen, wie hoch die Kosten ausfallen würden, wenn die Zahl und Kapazität der Anlagen deutlich gesteigert würde.

Sie haben es gesagt, Deutschland muss laut eigenem Klimagesetz bis zum Jahr 2045 treibhausgasneutral sein. Wir werden aber im Jahr 2045 selbst nach optimistischen Schätzungen aus Landwirtschaft und Industrie immer noch etwa 60 Millionen Tonnen Treibhausgase emittieren. Wie sind wir denn darauf vorbereitet?
Nicht wirklich gut. Allerdings sind es bis dahin ja auch noch 23 Jahre. Schon heute haben die CO2-Entnahme auf der Grundlage der Waldbewirtschaftung, das bringt in guten Jahren 20 Millionen Tonnen Netto-CO2-Entnahme, schwankt aber stark. Aber wie gesagt: Mit steigenden Temperaturen wird es immer schwieriger werden, mit Aufforstungsmaßnahmen CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen.

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Bereits heute ist in den entsprechenden Klimaschutzgesetzen festgelegt, dass nach 2050 in Deutschland sowie in der EU Netto-Negativemissionen erreicht werden sollen. Und es könnte sein – Indien macht Andeutungen in diese Richtung – dass die Entwicklungsländer die EU, USA oder Japan in der Pflicht sehen, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts durch Negativemissionen ihre früheren Emissionen auszugleichen und mehr Raum für die Entwicklungsländer zu lassen. Die Voraussetzung dafür wäre aber, dass die entsprechenden Methoden überhaupt funktionieren.

Muss sich Deutschland auf eine neue Endlagerdiskussion einstellen – und zwar für Kohlenstoffdioxid?
Das ist ein bisschen verkürzt. Als vor zehn Jahren über Kohlenstoffdioxidlager diskutiert wurde, ging es darum, dass Kohlekraftwerke ihr bei der Stromgewinnung entstehendes CO2 unterirdisch gelagert hätten. Das wurde aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Weil es Kritik an der Speicherung selbst gab, sowie an der Vorstellung, dass dann Kohlekraftwerke weiterlaufen würden, obwohl mit den Erneuerbaren Energien saubere Alternativen zur Verfügung stehen.

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Dass man unter deutschem Boden CO2 speichern wird, scheint derzeit noch schwer vorstellbar, es wird aber auch erforscht, es unter dem Meeresboden einzulagern. Fände sich ein Weg wie in Island, wo dieses CO2 mineralisiert wird und damit quasi versteinert, wäre die Ablehnung wohl geringer. Doch dafür braucht es entsprechende Gesteinsformationen. Im Moment wird bei dem CO2, das man etwa bei der Zementherstellung abscheiden müsste, eher darüber diskutiert, es nach Norwegen oder die Niederlande zu transportieren, wo solche Speicherprojekte vorangetrieben werden. In jedem Fall braucht Deutschland hier eine Strategie.

Was raten Sie der Bundesregierung?
Die Bundesregierung weiß, dass sie um CO2-Abscheidung und Speicherung in bestimmten Branchen nicht herumkommt, auch wenn sie es im Koalitionsvertrag etwas verklausuliert ausdrückt. Es wird dann auch diskutiert werden müssen, wie CO2-Transportnetzwerke aussehen könnten. Es braucht dann wie bei Stromtrassen und Windenergieanlagen die Bereitschaft der Bevölkerung und lokaler politischer Akteure, diese Infrastruktur auch auf- und aus bauen zu lassen. Aber wenn wir das Ziel der Treibhausgas-Neutralität ernst nehmen, müssen wir uns um die nicht vermeidbaren Restemissionen kümmern.

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