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Das härteste Material im Körper. Zahnschmelz (hier eine Bruchstelle unter dem Elektronenmikroskop) ist extrem widerstandsfähig. Der Grund sind Netzwerkstrukturen aus Kristallfasern.

© STEVE GSCHMEISSNER/SCIENCE PHOTO

Mundpflege: Auf den Zahn gefühlt

Zahnseide? Zahnschmelzaufbauende Zahnpasta? Elektrische Zahnbürste? In der Zahnmedizin zählte bisher eher Erfahrung als wissenschaftliche Belege. Das ändert sich allmählich.

„Viktoria! Viktoria! Der kleine weiße Zahn ist da!“ Matthias Claudius jubelt nicht nur als Dichter, sondern auch als Vater über diesen Durchbruch. Über einen großen Moment, mit dem die Sorgen beginnen. Denn der kleine Zahn und seine Nachfolger haben Feinde, die Kinder als Karius und Baktus kennen. Baktus: Kurzkettige Kohlenhydrate wie Frucht- und Haushaltszucker sind ein gefundenes Fressen für Bakterien im Mund, allen voran Streptococcus mutans und Keime aus der Familie der Laktobazillen. Wenn sie Zucker verdauen, scheiden sie Säuren aus, die den Zahnschmelz angreifen. Karius: Bakterielle Zahnbeläge verursachen auf diesem Weg Karies, eine Zahnfäule, von der zuerst Zahnschmelz und Zahnbein befallen sind. Später können sie zu Parodontitis führen, einer Entzündung des Zahnhalteapparats, zu dem außer dem Zahnfleisch auch Kieferknochen, Zahnhals und Wurzel gehören.

Wie kann man sich gegen diese Feinde schützen? Jens Christoph Türp von der Universität Basel, Sprecher der Zahnmedizin im Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin, kritisiert, dass sein Fachgebiet zu wenig solide Forschungsergebnisse zu bieten hat: „Bisher ist die fachwissenschaftliche Fundierung des technisch-praktischen Handelns beschränkt, die Anzahl hochwertiger Studien ist gering.“ Man verlasse sich zu oft auf Traditionen, Autoritäten, Erfahrung oder die Werbung von Herstellerfirmen. Was die Zahnpflege betrifft, so lassen sich dennoch ein paar Erkenntnisse festhalten.

Fegen statt schrubben

Das Radio spielt, im Halbschlaf lässt man die Zahnbürste kreisen und schrubbt. Gedankenverloren. Zähne putzen müsse man mit einer einfachen, einprägsamen Methode, sagt Stefan Zimmer, Inhaber des Lehrstuhls für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin an der Universität Witten-Herdecke. Durch seine Forschung wurde er zum Fachmann für Putztechniken. Er vergleicht das menschliche Gebiss mit einem Heizkörper, der in Lamellenrichtung gereinigt werden muss. Das ist ein Plädoyer für die „Fege-Technik“: Die Borsten der Zahnbürste werden schräg zum Zahnfleisch angesetzt, dann wird von rot nach weiß ausgefegt. Zwar empfehlen andere Fachleute die von Charles Bass entwickelte Technik, bei der zunächst kaum merkliche Rüttelbewegungen zwischen den Zähnen sitzende Speisereste und Beläge lockern. „Doch alles, was schwieriger ist, wird nicht umgesetzt“, sagt Zimmer. „Man landet dann wieder beim unerwünschten Schrubben.“

Wissenschaftlich belegt hat das die Zahnmedizinerin Daniela Harnacke von der Universität Gießen, die 56 Probanden nach ausführlichem multimedialem Training 28 Wochen lang entweder mit der „Bass-Technik“ oder mit fegenden Bewegungen putzen ließ. Danach sahen die Zähne der Teilnehmer, die mit der „Fege-Technik“ gebürstet hatten, deutlich besser aus: am wenigsten Plaque in den Zwischenräumen und am Zahnhals, geringste Neigung zu Zahnfleischbluten.

Weiche Bürsten schonen die Zähne nicht

Einige elementare Fragen beantwortet Forschern heute die Simulation mit der Zahnputzmaschine. In einer klinischen Studie zeigte Zimmers Team, dass harte Bürsten die Zähne deutlich besser reinigen, dafür aber leichter zu Verletzungen am Zahnfleisch führen. Weiche Zahnbürsten schaden eher der Zahnsubstanz. „Darüber haben wir uns erst gewundert. Doch eigentlich ist es logisch“, sagt Zimmer. „Die weicheren Bürsten haben mehr Borsten. Da diese dünner sind, biegen sie sich am Ende um und verteilen so die Zahnpasta flächiger. Sie ist es, die die Hartsubstanz abträgt.“

Langzeitstudien zu Putzwerkzeugen fehlen

Allerdings scheuern die Pasten unterschiedlich stark. „Wer dazu neigt, rabiater zu putzen, sollte eine wenig abschleifende Zahnpasta benutzen“, empfiehlt Zimmer. Sonst seien Putzschäden zu befürchten. „In der Hand eines vorsichtigen Menschen kann eine abrasive Paste dagegen positiv sein, weil sie Beläge und Verfärbungen besser entfernt.“ Wer keine Probleme mit dem Zahnfleisch hat, sollte eine solche Paste auf eine Bürste mit harten Borsten drücken. Studien, in denen die Auswirkungen verschiedener Putzwerkzeuge über einen längeren Zeitraum beobachtet wurden, fehlen noch. Ein Fazit ist aber schon heute erlaubt: Ebenso wenig, wie man alle Menschen über einen Kamm scheren kann, kann man allen raten, mit ein und derselben Zahnbürstenart zu putzen. So haben sich elektrische Zahnbürsten vor allem bei Menschen bewährt, deren Motorik eingeschränkt ist.

Bitte mit Fluorid!

Die Zahnpasta sollte Fluorid enthalten, denn das härtet den Zahnschmelz. Die strenge Cochrane Collaboration, ein Netzwerk von Wissenschaftlern und Ärzten, das sich an den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin orientiert, wertete 70 Studien aus und bestätigte, dass Zahnpasta mit Fluorid vorteilhaft ist. Karies ging dadurch um ein Viertel zurück.

Zu Fluoridgaben per Speisesalz, Tabletten, Zahnpasta, Spülungen und Ähnlichem äußerten sich die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin im letzten Jahr. Die Diskussion zwischen Kinder- und Zahnärzten mündete in eine diplomatische Leitlinie. Kleinkindern, die ihren Mund noch nicht ausspülen können, solle man entweder Fluoridtabletten zum Lutschen geben oder eine Kinderzahnpasta verwenden, die (wenig) Fluorid enthält. Es geht um das richtige Maß. Zu viel Fluorid kann bei Vorschulkindern zu Zahnbildungsstörungen führen.

Zahnpasten, die bei Erwachsenen Zahnschmelz aufbauen sollen, enthalten teilweise gar kein Fluorid. Ein großer Nachteil. „Sie können tatsächlich Mineralien an der Zahnoberfläche ablagern und diese glätten. Das erschwert die Plaqueanlagerung und reduziert schmerzempfindliche Zahnhälse“, sagt Zimmer. „Der Nutzen dieser Pasten ist jedoch nach jetzigem Wissensstand begrenzt.“

Drei Minuten sind meist zu kurz

Zahnputzuhren scheinen national geeicht zu sein. Während in den USA von zweimal zwei Minuten die Rede ist, gelten in Deutschland drei Minuten Putzzeit als genau richtig. Für alle? „Wenn man sich die Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit, ihre Hände und ihre Zähne anschaut, kann das nicht sein“, sagt Zimmer. Jeder solle seine individuelle Putzzeit ermitteln. Und zwar ergebnisorientiert, mit einer Plaque-Färbe-Tablette. Sind die farbig sichtbaren Beläge so gut wie entfernt, dann hat man lange und gründlich genug geputzt. Studien zeigen, dass man dafür etwas mehr als fünf Minuten braucht. „Das ist ein Mittelwert. Je nach Geschick und je nach Zustand des Gebisses kann es länger oder kürzer dauern“, sagt Zimmer.

Zahnseide hilft - vermutlich

Eine Studie der Uni Witten-Herdecke von 2012 zeigt, dass der Durchschnittsdeutsche gerade mal anderthalb Meter Zahnseide pro Jahr verbraucht. In einer Befragung gaben sie sich kooperativer. Nach eigenen Angaben folgen 60 Prozent der Deutschen dem Rat ihres Zahnarztes und reinigen „regelmäßig“ ihre Zahnzwischenräume, zwei Drittel von ihnen auch mit Zahnseide. Zimmer gehört zu den Fans: „Die mechanische Reinigung der Zwischenräume ist der Königsweg.“ Die Studienlage ist jedoch alles andere als überwältigend. Eine systematische Analyse des Cochrane-Instituts, für die zwölf hochwertige Studien genauer ausgewertet wurden, ergab, dass Zahnseide nur einen geringen Schutz gegen Zahnfleischentzündungen bietet. Zu Karies fanden die Forscher überhaupt keine überzeugende Studie. Zimmers eigene Arbeitsgruppe hat im Jahr 2007, damals an der Universität Düsseldorf, herausgefunden, dass eine antimikrobielle Mundspülung etwas besser wirkte als die Zahnseide. „Wir wissen, dass viele Zahnprobleme in den Zwischenräumen entstehen“, sagt Zimmer. „Ich sehe nur eine Konsequenz: Wir müssen die Anwendung der Zahnseide besser erklären und Hilfsmittel empfehlen, mit denen es einfacher wird.“

Professionelle Zahnreinigung hat Vorteile

Das sollte geschultes Personal übernehmen. Dass die professionelle Zahnreinigung nützlich ist, zeigte eine schwedische Langzeitstudie. Im Jahr 1972 gewann Per Axelsson von der Abteilung für Präventive Zahnheilkunde in Karlstad 550 Teilnehmer, die in zwei Gruppen eingeteilt wurden. Die Mitglieder der einen gingen regelmäßig zur Kontrolluntersuchung in die Zahnarztpraxis, die anderen zusätzlich zur Zahnreinigung. Sie schloss bei Bedarf eine Behandlung des Zahnfleischs mit ein, anfangs alle zwei Monate, dann in größeren Abständen. Sechs Jahre später waren die Unterschiede bei neu aufgetretener Karies derart frappierend, dass die Kontrollgruppe aufgelöst und ihre Teilnehmer ebenfalls ermutigt wurden, zur Zahnreinigung zu gehen. Die Nachuntersuchung im Jahr 2002 bezog auch Zahnfleischprobleme, Zahnlockerung und den Verlust von Zähnen ein. Tatsächlich hatten die Teilnehmer, meist nun im Rentenalter, im Verlauf dieser 30 Jahre im Schnitt weniger als einen Zahn verloren.

Im Vergleich dazu klingt schockierend, was in der vierten Mundgesundheitsstudie des Instituts der Deutschen Zahnärzte zu lesen ist. Etwa ein Viertel der Frauen und ein Fünftel der Männer zwischen 65 und 74 Jahren hatten im Jahr 2005 gar keine eigenen Zähne mehr. Die Folgestudie wird gerade ausgewertet. Bis 2020 wollen die Zahnärzte die Rate auf unter 15 Prozent zu drücken. Auch wenn keiner deshalb gleich „Viktoria!“ rufen wird.

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