
Hyperaktive Kinder: Bei ADHS den Speisezettel überprüfen
Reis, Gemüse, ein bisschen Obst und nur Wasser: Eine Studie liefert Hinweise, dass Hyperaktivität bei manchen Kindern mit Diät gebessert werden kann.
Bei Kindern, die unter einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, leiden, könnte sich ein Test mit einer Diät lohnen. Zu diesem Schluss kommen Kinder- und Jugendpsychiater im Fachblatt „Lancet“.
Zwar gibt es die Beobachtung, dass eine kleine Gruppe von Kindern mit ADHS besonders unruhig wird, wenn sie Süßigkeiten essen und Softdrinks zu sich nehmen. Immer wieder wurden auch andere Nahrungsbestandteile angeschuldigt, so Phosphat. Studien, die das bewiesen hätten, fehlen jedoch. Umgekehrt haben Nahrungsbestandteile wie Magnesium oder Fischöl wohl nur einen kleinen positiven Effekt.
Auch die Mediziner um Lidy Pelsser von der ADHS-Forschungsgruppe in Eindhoven und Jan Buitelaar von der Uni Nijmegen halten Diät nicht für ein Allheilmittel, das einer Störung Einhalt gebieten könnte, die Kinder, aber auch Erwachsene belastet. Frühere Studien haben sie jedoch zu der Hypothese geführt, dass einige der Kinder auf Nahrungsmittel besonders empfindlich reagieren, die als Allergieauslöser bekannt sind. Nun sind die Forscher der Vermutung erstmals anhand einer größeren Gruppe von Kindern mit ADHS nachgegangen.
100 vier- bis achtjährige Niederländer und Belgier mit ADHS und Störungen des Sozialverhaltens wurden dafür zunächst zwei Gruppen zugeteilt: In der einen Gruppe bekamen die Eltern nur Informationen über gesunde Ernährung, in der anderen wurden sie strikt angehalten, ihren Kindern fünf Wochen lang nur Reis, Gemüse, bestimmte Obstsorten und Getreideprodukte vorzusetzen und sie nur Wasser trinken zu lassen. Die Eltern führten nicht nur darüber genau Buch, sie dokumentierten zudem sehr akribisch das Verhalten ihrer Kinder, das auch anhand einer anerkannten ADHS-Skala eingeschätzt wurde.
41 der 50 Kinder aus der Diätgruppe blieben fünf Wochen lang bei der Stange. Bei 17 von ihnen zeigte sich im Verhalten nach zwei Wochen keine Veränderung, so dass ihre Diät etwas gelockert wurde. Bei deutlich mehr als der Hälfte der ADHS-Kinder aus der Diätgruppe verbesserten sich Konzentrationsstörungen und Unruhe aber statistisch bedeutsam, während es in der Kontrollgruppe keine Veränderungen gab. Ein ebenso deutlicher wie verblüffender Erfolg.
Nur die Kinder, die anscheinend auf die Diät ansprachen, nahmen dann im zweiten Teil der Studie an einem komplizierten Versuch teil. Sie wurden in zufälliger Reihenfolge, über die weder Ärzte noch Eltern informiert waren, zusätzlich zur verordneten Diät mit weiteren Nahrungsmitteln konfrontiert. Einige von ihnen sind dafür bekannt, den Immunkomplex IgG anzukurbeln. Das sind Abwehrstoffe des Immunsystems, die allergische Reaktionen in Gang setzen können.
Die Auswahl der Nahrungsmittel basierte auf dem individuellen IgG-Level, den die Kinder im Bluttest nach dem Genuss verschiedener Lebensmittel hatten. Bei 19 der 30 Kinder, die auch diese zweite Phase der Studie durchzogen, kamen die ADHS-Symptome wieder. Doch auch hier gab es eine Überraschung: Die Lebensmittel, auf die das Immunsystem mit einem Anstieg des IgG reagierte, waren keineswegs häufiger die „Schuldigen“. Die Mediziner schließen daraus: „Auf der Grundlage von IgG-Bluttests eine Diät zu verschreiben, ist nicht sinnvoll.“ Einer „ADHS-Diät“, die sich auf solche Tests stützt, wird eine Abfuhr erteilt. Für die Tests, die die Eltern selbst bezahlen müssen, gebe es einen großen Markt, sagt Oliver Bilke, Kinder- und Jugendpsychiater der Berliner Vivantes-Kliniken in Hellersdorf und Am Friedrichshain.
Für sinnvoll halten es die niederländischen Autoren dagegen, bei ADHS einen vom Arzt begleiteten Versuch mit der Auslass-Diät zu machen. Nur die Kinder, die darauf mit einer deutlichen Besserung reagieren, sollten anschließend weitermachen und ihren Speisezettel nach und nach um einzelne Elemente aufstocken – bis sich herausstellt, dass ein Nahrungsmittel ihr Verhalten negativ beeinflusst. Für alle anderen wäre das ihrer Ansicht nach eine unnötige Zumutung.
In den Familien, die sich auf den Versuch einließen, dürfte sich mehr verändert haben als nur die Zusammensetzung der Mahlzeiten: Um ihren Kindern das Essen schmackhaft zu machen und sie bei der Stange zu halten, haben sich die Eltern wahrscheinlich zugewandter, aber auch strenger gezeigt. „Wir wissen aber, dass alle strukturierenden Maßnahmen, die in einer Familie ergriffen werden, Einfluss haben“, gibt Bilke zu bedenken.
Hans Willner, Kinder- und Jugendpsychiater im Berliner St.-Joseph-Krankenhaus, sieht die Studie als Versuch, „Botenstoffe des Gehirns mit einer Diät so zu beeinflussen, dass ADHS-Symptome verringert werden“. Wie, das ist unklar. Die Studie deutet aber darauf hin, dass verschiedene Arten von ADHS existieren.