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FREIE Sicht: Bildung verpflichtet

Wer Menschen, eine Institution oder gar eine Stadt verlässt, ist versucht, den Zurückbleibenden auf dem Bahnsteig, im Büro oder auf dem Ku’damm Worte guten Wünschens zu hinterlassen. Das könnte man auch mit dem Berliner Bildungswesen machen und vor allem mit denen, die in ihm lernen oder ausgebildet werden.

Wer Menschen, eine Institution oder gar eine Stadt verlässt, ist versucht, den Zurückbleibenden auf dem Bahnsteig, im Büro oder auf dem Ku’damm Worte guten Wünschens zu hinterlassen. Das könnte man auch mit dem Berliner Bildungswesen machen und vor allem mit denen, die in ihm lernen oder ausgebildet werden.

„Werde, der du bist!“, dieses klassische Bonmot wäre so ein Satz. Das will ja wohl heißen: Du Schülerin oder Schüler, du Lehrerin oder Lehrer und vielleicht sogar du Bildungspolitiker(in) bist eigentlich schon etwas, aber es tritt nicht zutage. Das Eigentliche an dir ist in dir noch nicht zu dem geworden, was es sein könnte. Das bedeutet also: Der Mensch ist immer schon Mensch – Rousseau meinte sogar, er sei von Natur aus gut –, es bedarf aber eines Vorgangs, der dazu führt, dass er es auch wirklich wird. Gemeint ist damit: Bildung. Man könnte den Zurückbleibenden also auch zurufen: Seid gebildet! Macht etwas, damit ihr gebildet seid. Oder: Macht etwas, damit man eure Bildung auch sieht und dass sie wirkt.

Das klingt ja zunächst anmaßend: Sind wir etwa nicht gebildet? So ist das nicht gemeint. Bildung ist ein lebenslanger Prozess. Bildung im Sinne von Lernen ist unvermeidlich, aber Bildung ist mehr als Lernen. Was könnte es also heißen, wenn man den kleiner werdenden Punkten am Horizont zuruft: Werdet, die ihr seid?

Vielleicht dieses: Ihr Schüler und Studentinnen, Lehrerinnen und Politiker seid wunderbare Menschen. Ihr habt Substanz, ihr seid begabt, euch ist etwas gegeben, ihr seid voller Chancen. Das ist nicht nur freundlich, sondern wahr und gilt für so viele Menschen dieser Stadt. Aber: Aus diesem „Besitz“ erwächst auch eine Verpflichtung. Ihr müsst annehmen, was euch gegeben ist, ihr müsst euch anstrengen, damit es sich entfaltet, und ihr müsst die so sich täglich neu gewinnende Bildung allen zur Verfügung stellen durch die Kraft, die ihr dadurch gewonnen habt. Damit jene euch fragen können, ob sie sich ein wenig anlehnen dürfen, für eine Zeit, an eure Bildung, müsst ihr diese zeigen, in eurem Verhalten, jeden Tag, überall. Es gibt eine Sozialverpflichtung von Bildung.

Wer also in dieser Stadt, und nicht nur hier, auf der einen oder anderen Seite, ist ein Pflichtenträger und nicht Mitglied einer selbst ernannten Elite, die aus ihrem Status Kapital schlagen möchte? Gebildet zu sein in Berlin könnte heißen: als Schüler Zuhören zu lernen und Schularbeit nicht nur als Last, sondern als Schritt auf einem Weg verstehen zu können. Dazu müssen Lehrer in der Lage sein zu zeigen, welche Wege es in das Leben gibt. Dazu müssen Studierende kritisch fragen wollen und Bildungspolitiker müssen eigentlich nicht mehr tun, als den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie an Bildung glauben und dass für sie nichts wichtiger ist, als Bedingungen dafür zu schaffen, dass Bildung gedeiht. Das ist auch Geld, sicher, das sind offene Strukturen, in denen sich das Vertrauen in die Menschen spiegelt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, ohne dass sie gesetzlichen Bildungszwängen unterliegen. Kurz, Bildungspolitiker müssen zuallererst eines sein: gebildet.

Nicht zufällig spielt die Metapher des Bildes im deutschen Bildungsdenken eine so große Rolle: Ursprünglich als Nachlebenwollen des Bildes Gottes gedacht, hat sich eine Bilderkaskade für jene Prozesse entwickelt, die Bildung ausmachen. Bildung ohne Vor-Bilder kann es deshalb nicht geben. Es ist die Aufgabe der so Gebildeten, Vorbild zu sein, das es erstrebenswert für jene macht, die noch werden müssen, was sie sind.

Mit diesem Beitrag beendet Dieter Lenzen seine Kolumne. Am 1. März tritt der Erziehungswissenschaftler sein neues Amt als Präsident der Universität Hamburg an.

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