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Blaue Knopfquallen (Porpita) sind keine Quallen, sondern gehören zur Familie der Nesseltiere.

© Denis Riek, The Global Ocean Surface Ecosystem Alliance

Blaue Schönheit: Der größte Müllstrudel der Welt steckt voller Leben

Im Großen Pazifischen Müllstrudel treiben nicht nur Zehntausende Tonnen Plastik. Sondern auch ganz spezielle Lebewesen. Das hat Auswirkungen auf die Beseitigung des Mülls.

Von Alice Lanzke, dpa

Der Große Pazifische Müllstrudel beherbergt neben Zehntausenden Tonnen Kunststoff auch eine Fülle schwimmender Meeresorganismen direkt unter der Wasseroberfläche. Wie ein Forschungsteam im Fachblatt „PLOS Biology“ berichtet, ist deren Zahl in Gebieten mit besonders viel Plastikmüll auch besonders hoch. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befürchten daher, dass ausgerechnet Versuche, den Müll aus den Ozeanen zu fischen, eine Gefahr für diese Ökosysteme darstellen könnten.

Das sogenannte Neuston, nach dem Griechischen „Das Schwimmende“, ist eine besondere maritime Lebensgemeinschaft. Es bezeichnet die Gesamtheit der Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen. Viele dieser Lebewesen haben eine auffällige blaue oder violette Färbung, von der vermutet wird, dass sie vor UV-Strahlen schützt oder als Tarnung vor Fressfeinden dient.

Ein Exemplar der Schneckenart Janthina baut ein Floß aus Blasen, indem sie ihren Körper in die Luft taucht und eine Blase nach der anderen einfängt, die sie dann mit Schleim umhüllt und an ihren Schwimmer klebt.

© dpa/Denis Riek

Entsprechend werden die Tiere auch „blaue Flotte“ genannt. Neuston-Gattungen finden sich weltweit, aber derzeit ist mit der Sargassosee östlich von Florida nur eine Meeresregion bekannt, in der sie in hohen Dichten vorkommen.

Sie sind Ökosysteme, nicht wegen, sondern trotz des Plastiks.

Forschungsteam der Georgetown University

Da die Neuston-Organismen Strömungen nutzen, um sich im offenen Ozean fortzubewegen, vermutete ein Team um Biologin Rebecca Helm, dass sie auch massenhaft in den großen Müllstrudeln der Weltmeere zu finden sind. Solche Plastikwirbel entstehen, wenn Oberflächenströmungen die Kunststoffverschmutzung von den Küsten in Regionen treiben, in denen rotierende Strömungen die schwimmenden Objekte einfangen.

Segelquallen (Velella) sehen aus wie ein rundes blaues Floß mit einem undurchsichtigen Segel. Sie werden wegen ihres Baus auch „Segler vor dem Wind“ genannt.

© Denis Riek, The Global Ocean Surface Ecosystem Alliance

Weltweit gibt es mindestens fünf solcher mit Plastik verseuchter Wirbel. Der ausgedehnteste ist der Große Pazifische Müllstrudel zwischen Hawaii und Kalifornien. Hier sollen einer 2018 veröffentlichten Studie zufolge knapp 80.000 Tonnen Plastik treiben.

Die Wissenschaftler um Helm, die an der US-amerikanischen Georgetown University forscht, begleiteten 2019 den französischen Rekord-Langstreckenschwimmer Ben Lecomte, der im Rahmen der Aktion „The Vortex Swim“ in 80 Tagen durch den Pazifischen Müllstrudel schwamm, um auf die Umweltverschmutzung der Meere aufmerksam zu machen.

Blaue Ozeanschnecken (Glaucus) leben an der Meeresoberfläche und fressen gerne Nesseltiere.

© Denis Riek, The Global Ocean Surface Ecosystem Alliance (GO-SEA) Field Guide

Während der Tour sammelte das Team von Helm täglich Proben und fand dabei mehr neustonische Meereslebewesen innerhalb des Nordpazifikwirbels als an dessen Rändern. Dabei korrelierte das Vorkommen von Plastikmüll besonders mit der Häufigkeit dreier Gattungen: Segelquallen (Velella), die wie ein rundes blaues Floß mit einem durchsichtigen Segel aussehen, violette Veilchenschnecken (Janthina) und Blaue Knopfquallen (Porpita), die eigentlich keine Quallen sind, sondern zur Familie der Hydrozoen gehören.

80.000
Tonnen Plastik treiben im Pazifischen Müllstrudel zwischen Hawaii und Kalifornien

Ihre Studie könne nur stichprobenartige Ergebnisse liefern, schreiben die Forschenden selbst. Nichtsdestotrotz lege ihre Arbeit nahe, dass dieselben Meeresströmungen, die den Plastikmüll in den Ozeanwirbeln konzentrierten, für die Lebenszyklen der schwimmenden Meeresorganismen von entscheidender Bedeutung sein könnten, da sie diese zur Nahrungsaufnahme und Paarung zusammenführten. Tatsächlich wiesen die Meeresbiologen in mindestens einer Probe Segelquallen-Nachwuchs nach.

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Menschliche Aktivitäten könnten sich jedoch negativ auf diese Begegnungsstätten auf hoher See und die von ihnen abhängige Tierwelt auswirken. So dienten die Neuston-Organismen etwa Seevögeln, Fischen und Schildkröten als wichtige Nahrungsquelle, heißt es in der Studie.

Blaue Knopfquallen (Porpita) sind keine Quallen, sondern gehören zur Familie der Nesseltiere.

© Denis Riek, The Global Ocean Surface Ecosystem Alliance

Unter menschlichen Aktivitäten fallen für Rebecca Helm nicht zuletzt Projekte wie „The Ocean Cleanup“, bei dem mit riesigen Fangvorrichtungen Abfälle aus dem Meer geholt werden. In der Vergangenheit hatte Helm sich bereits mehrfach kritisch dazu geäußert: 2019 erklärte sie etwa bei einem Symposium der University of Liverpool zu dem Projekt, dieses könne eine Gefahr für die „blaue Flotte“ darstellen – eine Warnung, die „The Ocean Cleanup“ zufolge auf falschen Annahmen beruhe.

Vor allem gebe es keine Hinweise darauf, dass sich Plastikmüll und Neuston am selben Ort befänden, so Projektgründer Boyan Slat in einem online veröffentlichten Kommentar. Für Helm und ihr Team liefert ihre Studie hier nun neue Informationen.

Zwar seien noch mehr und bessere Daten nötig, um Schlüsse über die genaue Neuston-Verteilung im Nordpazifikwirbel und anderen Meereswirbeln zu ziehen, doch schon jetzt liege nahe, dass diese nicht nur Sammelbecken für Kunststoffabfälle seien: „Sie sind Ökosysteme, nicht wegen, sondern trotz des Plastiks.“

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