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Studierende vor der Rostlaube der Freien Universität (FU) an der Habelschwerdter Allee in Berlin-Dahlem.

© Thilo Rückeis

Debatte um Anwesenheit an der Uni: Dabei sein ist für Studierende nicht alles

NRW will zurück zur Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen - gegen den Protest von Studierenden. Eine Umfrage in Berlin, wo es die "Präsenzquote" gibt.

Vor dem Landtag in Düsseldorf protestieren in diesen Tagen regelmäßig Studierende: Sie wehren sich dagegen, dass die schwarz-gelbe Landesregierung die 2014 abgeschaffte Anwesenheitspflicht für Studierende wieder einführen will. Den NRW-Hochschulen soll es künftig freistehen, die Anwesenheit der Lernenden nach eigenem Ermessen zu überprüfen. Das neue Hochschulgesetz soll zum Wintersemester 2019/20 in Kraft treten.

Von den Änderungen erwartet die Landesregierung langfristig weniger Studienabbrüche. Schon jetzt besteht an nordrhein-westfälischen Hochschulen bei Veranstaltungen, von denen Prüfungsergebnisse und Leistungsnachweise abhängen, oft die Pflicht zur Anwesenheit. Dazu zählen Praktika, Sprachkurse und praktische Übungen. Mit dem neuen Gesetz wäre eine Ausweitung auf weitere Veranstaltungen, etwa Vorlesungen, möglich.

Was im Berliner Hochschulgesetz steht

Das Berliner Hochschulgesetz überlässt es den Hochschulen, eine Anwesenheitspflicht zu verhängen oder nicht. So darf in Studien- und Prüfungsordnungen eine Präsenzquote vorgegeben werden. Diese liegt durchschnittlich bei 75 bis 85 Prozent. „Studierende, denen die aktive oder regelmäßige Teilnahme nicht bestätigt werden kann, da der vorgesehene Arbeitsaufwand bzw. die erforderliche Anwesenheitszeit nicht erbracht wurde, können das betroffene Modul nicht abschließen“, heißt es dazu seitens der Freien Universität Berlin. Vorlesungen sind davon, wie bislang auch in NRW, nicht betroffen. Wie gehen die Berliner Hochschulen mit der Präsenzquote um? Wir haben Studierende und Dozierende gefragt, was sie von einer generellen Anwesenheitspflicht halten.

Julian von Bülow, FU Berlin, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft

Julian von Bülow.
Julian von Bülow.

© Privat

„Ich halte nichts von einer Anwesenheitspflicht für Studierende. Wer sein Studium ernst nimmt, wird eigenverantwortlich zu Sitzungen und Vorlesungen erscheinen, so gut es machbar ist. Ein Zwang zur Anwesenheit wäre meiner Meinung nach reine Bevormundung. Wer will, dass junge Menschen viel lernen, muss sie von klein auf dazu befähigen, statt autoritäre Scheinlösungen einzuführen. In Vorlesungen, in denen keine Anwesenheitspflicht besteht, sind bei uns im Semester fünf Vorlesungsprotokolle abzugeben oder zwischendurch kleine Tests zu schreiben.

Freifahrtschein zum Langweilen

Warum? ,Im Semesterverlauf nimmt sonst die Anwesenheit immer so stark ab’, heißt es. Man munkelt, es könnte auch daran liegen, dass Dozierende die Inhalte zu dröge vermitteln. Für eine 90-minütige Zusammenfassung dessen, was ich selbst gelesen habe, muss ich keine Dreiviertelstunde nach Dahlem fahren. Durch Verhängen einer Anwesenheitspflicht haben die Lehrenden aber einen Freifahrtschein zum Langweilen, denn die Studierendenschaft muss ja da sein, ob sie will oder nicht. Ohne Anwesenheitszwang sind Dozierende hingegen in die Pflicht genommen, ihre Lehre so zu gestalten, dass sie studentisches Interesse wecken.“

Lisa Schumacher, HWR Berlin, Wirtschaftsrecht

Lisa Schumacher.
Lisa Schumacher.

© Privat

„An meiner Hochschulen verhängen die Dozierenden zwar lediglich in Kursen, in denen wir eine Hausarbeit als Prüfungsleistung schreiben müssen, eine Anwesenheitspflicht. Aber gerade in diesen Kursen ergibt es selten Sinn, wirklich jede Sitzung wahrzunehmen. Die benotete Prüfungsleistung am Ende besteht aus einer Hausarbeit. Die schreibe ich dann zu einem Thema, das zwar grob in der Veranstaltung behandelt wurde, zu dem ich mir die Expertise aber eigentlich selbstständig aneigne.

Stress, sich irgendwie zur Uni zu schleppen

Mit der umfangreichen Recherche und der Suche nach geeigneter Literatur steht man dann am Ende alleine da. Die Anwesenheit, die ich zuvor im Kurs erfüllt habe, hilft mir im Endeffekt nicht, meine Prüfungsleistung gut zu erbringen. Also wird keine Anwesenheitspflicht dem Grundsatz eines selbstständigen Studiums gerecht. Die Pflicht zur Anwesenheit erschwert es Studierenden nur, sowohl alle Kurse als auch Nebenjobs und sonstigen Aktivitäten unter einen Hut zu bekommen. Meist werden nicht mal attestierte Fehlzeiten als entschuldbar akzeptiert. Das bereitet einem den dauernden Stress, sich trotzdem irgendwie zur Uni zu schleppen, weil man sonst fürchten muss, den Kurs nicht zu bestehen. Daher: Abschaffen!“

Oliver U., HU Berlin, Japanologie

Oliver U.
Oliver U.

© Rabea C. Westarp

„Ich sehe eine generelle Pflicht zur Anwesenheit an der Uni zwiegespalten. Einerseits: In vielen Seminaren stehen die Dozierenden vorne und lesen ihre Präsentationen ab. Das ist trocken und genau das kann ich mir auch von zuhause aus beibringen – vielleicht effektiver. Ich kann andererseits aber auch verstehen, dass es für Dozierende total frustrierend ist, im halbleeren Hörsaal oder vor einem zehnköpfigen Seminar zu referieren. Da könnten eigentlich gleich alle zuhause bleiben, die Dozierenden laden ihre Präsentation hoch und fertig.

Profs müssen Lehre peppiger gestalten

Aus Respekt den Lehrkräften gegenüber ist man deshalb als Student irgendwie verpflichtet, zu erscheinen. Dafür sehe ich aber auch die Profs in der Pflicht, die Lehre peppiger zu gestalten. Ich weiß, das geht vielleicht nicht immer, weil einige Fächer einfach wirklich trockenen Stoff beinhalten. Da ist es fast unmöglich, aufmerksam zu bleiben. Im Endeffekt sind also beide Seiten in einer Bringpflicht; ob mit oder ohne Pflicht zur Anwesenheit.

Ausbleibende Anwesenheitskontrollen sind kein Freifahrtschein, aus Bequemlichkeit der Uni fernzubleiben. Dafür will ich aber auch, dass sich der einstündige Fahrtweg lohnt und ich mir am Ende nicht denke, ,das hätte ich nun auch von zuhause aus lernen können’. Bringen beide Seiten diese Leistung, ist eine Pflicht zur Anwesenheit idealerweise gar nicht notwendig.“

Georg Till, FU Berlin, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Filmwissenschaft

Georg Till.
Georg Till.

© Privat

„Ich bin derzeit in meinem dritten Studienjahr und von Beginn an hat sich meine Meinung zur Anwesenheitspflicht eigentlich kaum verändert, auch wenn ich sie manchmal verfluchte – wie jeder Studierende, der schon einmal ein Freitagsseminar belegte. Aus zwei Gründen bin ich grundsätzlich dafür: Meine allgemeine Auffassung vom Menschen ist, dass er bequem ist. Das sehe ich an mir selbst am besten.

In gewisser Weise ist die Anwesenheitspflicht ein Zwang zum Glück; hierbei gehe ich davon aus, dass die Seminare in welcher Form auch immer „gut“ sind. Ich weiß, dass ich weniger Vorlesungen besuche, wenn in diesen keine Anwesenheitsliste im Saal herumgereicht wird. Die beste Vorlesung, der ich je zuhören durfte, hatte keine Anwesenheitspflicht und ich bereue zutiefst, dass ich nicht zu jeder Veranstaltung gegangen bin, schlichtweg, weil ich nicht musste.

Anwesenheitspflicht sichert Mitdiskutanten im Seminar

Zusätzlich sehe ich die Anwesenheitspflicht auch insofern als relevant, dass Seminargrößen und Studienplätze beschränkt sind. Ich persönlich finde es ungerecht, wenn Studierende in Seminaren angemeldet sind und somit einen Platz beanspruchen, diesen aber nicht nutzen. Wer den Veranstaltungen fernbleibt, verschwendet Ressourcen.

Zu guter Letzt kommt eine Anwesenheitspflicht mir persönlich zu Gute. Generell diskutiere ich sehr aktiv in Seminaren und die Pflicht stellt sicher, dass immer auch mehrere andere Studierende anwesend sind, die sich ebenfalls am Gespräch beteiligen. Das wertet die Veranstaltungen wesentlich auf.“

Martina Merker, Professorin für Wirtschaftsrecht an der HTW

Martina Merker.
Martina Merker.

© Annette Koroll

„Im Zweifel bin ich für eine generelle Anwesenheitspflicht in den Veranstaltungen. Diese ist bei einer geringeren Kursstärke, wie an unserer Hochschule, sicher leichter einzuhalten als an Universitäten. Eine Anwesenheitspflicht mag dem Gedanken des von der Selbstverantwortung der Studierenden getragenen Studiums zwar nicht entsprechen. Die akademische Wirklichkeit zeigt aber, dass konstante Anwesenheit zu besseren Prüfungsergebnissen führt und das Studium zügiger absolviert wird.

Keine Beiträge außer "Aufrechterhaltung der Vitalkräfte"

Online zur Verfügung gestellte Materialien verführen vielleicht dazu, sich die Vorlesungen zumindest zum großen Teil zu ersparen. Mir ist bewusst, dass die Finanzierung des Studiums den jungen Leuten oft abfordert, einen oder mehrere Jobs zu haben. Das macht die Anwesenheit schwierig – und erfordert eine besondere Disziplin und Planung. Auch ist es sinnlos, Menschen durch Anwesenheitspflicht in die Hörsäle zu zwingen, die dort außer dem Aufrechterhalten ihrer Vitalfunktionen keine Beiträge leisten.

Auf der anderen Seite sind die Studierenden heute viel jünger als früher – und umso mehr Anleitung benötigen sie. Letztendlich geht es im Studium auch um den intellektuellen Austausch und wissenschaftlichen Diskurs mit den Lehrenden und anderen Kommilitonen. Bei gleichzeitiger Anwesenheit aller Beteiligten geht das wesentlich besser als im virtuellen Raum. Und mehr Spaß macht es auch. Ich mag meine Studierenden sehr und freue mich, wenn sie echte Lebenszeit mit mir verbringen und sich begeistern lassen.“

Protokolle: Rabea C. Westarp

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