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Mit dem schwindenden Eis siedeln sich Mikroben in der Antarktis an. Hier ist das Panorama der Landschaft in den Larsemann Hills in der Ostantarktis zu sehen.

© Dirk Wagner, GFZ

Die Antarktis erwacht : Was Forscher unter dem schmelzenden Eis entdeckt haben

Wenn sich Gletscher der Antarktis zurückziehen, hinterlassen sie zunächst eine Steinwüste. Nun zeigt eine Studie, wie Bakterien, Pilze und Mikroalgen im Teamwork daraus ein Lebensumfeld machen.

Von Simone Humml, dpa

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In einem bislang unbekannten Teamwork besiedeln kälteresistente Arten den steinigen Boden der Antarktis, den das schmelzende Eis freigibt. Bei Minusgraden bilden stickstoffbindende Bakterien, winzige Algen und Pilze die Vorhut für eine weitere Besiedlung, wie ein Team um Dirk Wagner vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geowissenschaften und der Universität Potsdam berichtet. Die Gruppe hatte das Leben im verwitterten Gestein vor einem Gletscher in der Antarktis untersucht.

Extreme Lebensbedingungen

Die Lebensbedingungen in den analysierten Larsemann-Bergen der Ostantarktis sind hart: Die Lufttemperatur betrage im Winter etwa minus 18 bis minus 29 Grad und im Sommer rund 0 Grad, schreibt das Team im Journal „Frontiers in Microbiology“. Das Gebiet sei zwar zum Teil seit Jahrtausenden eisfrei, doch extrem trocken, kalt und nährstoffarm. Die Permafrostböden tauen nur im Sommer bis in durchschnittlich 0,7 Meter Tiefe auf. An einigen Stellen liegen noch geschrumpfte Gletscher.

„Hier zeigen wir eine unerwartet reiche und vielfältige mikrobielle Gemeinschaft“, sagt Wagner, was darauf hindeute, dass die Biodiversität in antarktischen Böden bisher stark unterschätzt wurde. Darüber hinaus liefere die Studie erste wichtige Einblicke in die Vielzahl von Interaktionen zwischen Bakterien und höheren Organismen unter diesen extremen Bedingungen. Insgesamt seien Hinweise auf etwa 3000 Arten gefunden worden, sagte er auf Anfrage.

Ein Team entdeckte am Rande sich zurückziehender Gletscher unter anderem eine zuvor unbekannte Verbindung zwischen Bakterien und höheren Organismen wie Grünalgen.

© imago/Aurora Photos

Im Rahmen einer Expedition mit dem deutschen Forschungsschiff „Polarstern“ hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Antarktis Bodenproben genommen, die zwischen null und 80 Meter vom Rand eines sich langsam zurückziehenden Gletschers entfernt lagen. Sie stammten aus Tiefen zwischen null und 30 Zentimetern. Mithilfe von DNA-Analysen ermittelte die Forschungsgruppe die einzelnen Arten. Mit einem neuen Verfahren konnten sie dabei zwischen toten und lebenden Organismen unterscheiden.

Teamwork von Mikroorganismen

Das Team entdeckte mit dieser Technik beispielsweise eine zuvor unbekannte Verbindung zwischen Bakterien und höheren Organismen wie Grünalgen, die möglicherweise dem Nährstoffaustausch dient und so zu dem komplexen antarktischen Bodenökosystem beitragen könne.

„Außerdem beobachteten wir eine wiederkehrende Koexistenz bestimmter Pilze und Aktinobakterien, was darauf hinweist, dass die Pilze durch den Abbau organischer Substanz Kohlenstoff für die Bakterien bereitstellen könnten“, erklärte Wagner.

An den Pionierstandorten direkt am Gletscherrand oder kurz davor leben demnach mikrobielle Gemeinschaften, die an die dort herrschenden harten Bedingungen mit geringer Nährstoffverfügbarkeit und hohem Salzgehalt angepasst sind. Reichlich vorhanden waren bestimmte Cyanobakterien (Blaualgen), die Stickstoff aus der Luft fixieren können. Sie leiten ihn nach Annahme von Forschenden an andere Mikroorganismen weiter.

Cyanobakterien (Blaualgen) können Stickstoff aus der Luft binden. Nach Forscherannahmen leiten sie diesen an andere Mikroorganismen weiter. Das Bild zeigt einen Teppich aus Blaualgen im von der Havel gespeisten Stößensee.

© dpa/Soeren Stache

Zudem fungieren die Cyanobakterien und einige Grünalgen auch hier als Primärproduzenten, indem sie Kohlendioxid in Kohlenstoffverbindungen umwandeln. Kälteliebende Pilze verwerten wiederum die so produzierten organischen Verbindungen.

Sie spielen nach Annahmen der Forschenden auch eine Schlüsselrolle beim Abbau organischer Substanzen und im Nährstoffkreislauf. Auch Bakterien, die dafür bekannt sind, in extremen Umgebungen und nährstoffarmen Nischen zu gedeihen, seien wichtig für die anfängliche Bodenentwicklung an diesen Standorten.

Bemerkenswert ist der Forschungsgruppe zufolge, dass sich dasselbe Besiedlungsmuster aus speziellen Arten in der Nähe des Gletschers über verschiedene Bodentiefen hinweg fand – von der Oberfläche bis in tiefere Schichten von etwa 20 Zentimetern. Dies deute auf robuste Interaktionen zwischen den Mikroorganismen in den Anfangsphasen der ökologischen Entwicklung hin.

Stärke durch Gemeinschaft

Das Forschungsteam zeichnete eine Entwicklung von Pioniergemeinschaften hin zu komplexeren mikrobiellen Gemeinschaften nach. In etwas Entfernung zum Gletscher fanden sich flechtenbildende Pilze und in 80 Meter Entfernung sogar eine Laubmoos-Art, zudem stieg die Zahl der Bakterienarten.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Überleben von Mikroorganismen in extremen antarktischen Lebensräumen durch eng verbundene Artengemeinschaften ermöglicht wird, die eine optimale Ressourcennutzung sicherstellen“, sagte Wagner.

Die Studie habe sich sowohl auf aktuelle als auch auf frühere Mikrobenlinien konzentriert und dadurch gezeigt, wie Besiedlung und Umweltveränderungen dazu beigetragen hätten, „den extremen Lebensraum der Larsemann-Berge in der Antarktis zu verändern und ihn allmählich für die derzeitige beträchtliche Vielfalt des Lebens zugänglicher zu machen“, so Wagner. (dpa)

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