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Schwere Verwerfungen. „Kritische Geister“ seien am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) nicht mehr erwünscht, meint eine Gruppe von Professorinnen und Professoren.

© Christoph Eckelt/HWR promo

HWR Berlin: „Die Hochschule wird aus politischen Gründen ruiniert“

26 Professoren werfen ihren Kollegen vor, die Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht auf konservativen und wirtschaftsliberalen Kurs bringen zu wollen.

Was sollen Studierende an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) lernen, was Professorinnen und Professoren lehren? Darüber gibt es an der HWR, einer von Berlins großen Fachhochschulen mit Sitz in Schöneberg und Lichtenberg, schwere Verwerfungen. 16 aktive und zehn Professorinnen und Professoren im Ruhestand werfen dem Dekan des großen Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften und seinen Mitstreitern vor, in einem autoritären und intransparenten Verfahren das Profil in Forschung und Lehre so ändern zu wollen, dass sie der eigenen politischen Agenda entspricht: „Den Studierenden soll nur noch (scheinbar) unmittelbar verwertbares Wissen vermittelt werden. Sie sollen nicht fragen, kritisieren, reflektieren oder wissenschaftliche Neugier entwickeln, sie sollen vor allem funktionieren“, heißt es in einem Brief vom 22. Oktober an den Vorsitzenden des Kuratoriums der HWR, Steffen Krach, Berlins Staatssekretär für Wissenschaft.

Entwickelt sich die HWR zu einer „bloßen Management-Schule“, in der die Studierenden nur noch lernen, wie man wirtschaftliche Prozesse in Unternehmen optimiert? Die Kritiker, eine Minderheit, werfen der Mehrheit der Professoren und dem Dekanat vor, bei Berufungen und bei der Gestaltung des Curriculums „rigoros“ die eigene politische Linie durchzusetzen. Diese Linie charakterisieren sie mit Begriffen wie „rechts“, „konservativ“ und „wirtschaftsliberal“. Sei es früher gute Sitte gewesen, eine „Kompromisskultur“ zu pflegen, „akademische Argumente auszutauschen“ und auch der Minderheit die Durchsetzung von Interessen zu gewähren, regiere die Mehrheit im Fachbereichsrat seit ein paar Jahren „durch“, berichten eine Professorin und ein Professor dem Tagesspiegel. „Die Hochschule wird aus politischen Gründen ruiniert“, sagt der Professor. Beide wollen anonym bleiben. Sie fürchten nicht nur die Feindseligkeit der Kollegen, sondern auch Disziplinierungsmaßnahmen durch die Leitung. Entsprechende Drohungen gegen Einzelne habe es bereits gegeben. „Ich traue allen alles zu“, sagt die Professorin. Die Stimmung sei „furchtbar“. Allerdings weist HWR-Präsident Andreas Zaby die Aussage, Mitarbeitern seien Disziplinarmaßnahmen angedroht worden, als falsch zurück.

Der Konflikt berührt den Kern der HWR

Der Konflikt berührt den Kern der HWR. Denn der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften stellt wegen seiner Größe ihr Zentrum dar: 84 von insgesamt 213 Professuren gehören ihm an, und 4400 Studierende von insgesamt 11300 sind hier eingeschrieben.

Dass es seit Monaten eine dermaßen harte politische Auseinandersetzung am Fachbereich gibt, ist nach Meinung des Professors ein eher zufälliger Effekt der Berufungspolitik der vergangenen Jahre und der handelnden Personen. Die Professorin hingegen sieht in dem Streit den aktuellen Zeitgeist widergespiegelt: „Das Klima wird überall härter“, sagt sie. Es sei durchaus denkbar, dass sich die Hochschulen im Zuge der aktuellen gesellschaftlichen Polarisierung repolitisieren, sich Ähnliches bald auch andernorts zutragen könne.

Bislang für das Profil der HWR wichtige Professuren mit Schwerpunkten auf Nachhaltigkeit, Sozialpolitik oder Gender drohten gar nicht oder mit einer ganz anderen Ausrichtung wiederbesetzt zu werden, schreiben die Kritiker an den Staatssekretär und listen sechs betroffene Professuren auf. Sie gehen aber davon aus, dass es bei diesen sechs nicht bleibt. Die HWR wäre dann bald eine andere.

So sei die Wiederbesetzung einer Professur als VWL-Professur für internationale Makroökonomik mit einem Schwerpunkt Entwicklungsökonomik „mehr als anderthalb Jahre lang blockiert“ worden. Als die Stelle schließlich doch noch ausgeschrieben worden sei, sei die Berufungskommission mit auf dem Gebiet nicht ausgewiesenen Mitgliedern besetzt gewesen. Keynesianisch oder heterodox (also von der herrschenden Lehre abweichend) orientierte Professorinnen und Professoren aus dem Bereich der Makroökonomik oder der internationalen Ökonomik seien „ausgeschlossen worden“. Entsprechend seien „wirtschaftspolitisch progressive Bewerberinnen bei der näheren Auswahl“ nicht berücksichtigt worden.

Der Dekan Otto von Campenhausen weist alle Vorwürfe zurück

Entsprechendes befürchten die Kritiker für drei weitere Professuren. Gefährdet sei weiterhin die Wiederbesetzung der Professuren „Verteilung und Sozialpolitik“ sowie „Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Wirtschaft und Geschlechterverhältnisse“. Gebe es für letztere keine Neubesetzung mit vergleichbarem Profil, werde das eine weitere spürbare Lücke am bundesweit einzigartigen Harriet Taylor Mill-Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung der HWR reißen. Schon die Professur „Makroökonomie mit Schwerpunkt Verteilung und Sozialpolitik“, die ebenfalls Gender als einen Schwerpunkt hatte, bleibe offenbar unbesetzt. Inne hatte sie die frühere HWR-Vizepräsidentin Friederike Maier, die maßgeblich an der Gründung des Mill-Instituts beteiligt war. Weitere Vorwürfe: In mehreren Studiengängen seien sozialwissenschaftliche Bereiche zu abwählbaren Modulen herabgestuft oder ganz gestrichen worden.

Der Dekan des Fachbereichs, Otto von Campenhausen, weist alle Vorwürfe zurück. Das Ziel der Berufungspolitik des Fachbereichs sei es im Gegenteil ja gerade, „Vielfalt hinsichtlich wissenschaftlicher und methodischer Kompetenz, fachlicher Ausrichtung und berufspraktischer Erfahrung sicher zu stellen“, teilt er dem Tagesspiegel auf Anfrage schriftlich mit. „Ernsthaftes Ringen um gute Kompromisse ist in hochschulpolitischen Fragen selten ganz konfliktfrei möglich. Wie überall haben auch an Hochschulen Menschen unterschiedliche Werte und verschiedene Vorstellungen von gesellschaftlichen Prioritäten“, schreibt Campenhausen weiter. „Wir betonen aber, dass Berufungen von Professorinnen und Professoren nicht nach politischen Erwägungen, sondern nach dem Prinzip der Bestenauslese erfolgen. Insbesondere sollten alle Professorinnen und Professoren in ihrer Dienstausübung parteipolitisch neutral bleiben.“

Auch der Vorwurf, die Berufungskommission für die Besetzung der Professur Makroökonomik sei auf dem Gebiet nicht ausgewiesen, sei falsch. Die beiden VWL-Vertreter in der Kommission seien sowohl auf dem Gebiet der Makroökonomie als auch in internationaler Ökonomik ausgewiesen.

Die HWR bekennt sich zur Interdisziplinarität, erklärt Campenhausen

In einem Brief vom 21. August an Staatssekretär Krach hatte Campenhausen bereits erklärt, die HWR bekenne sich ausdrücklich zur Interdisziplinarität, zur Einbeziehung von Gender Studies sowie zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsstudien. Diese Querschnittsthemen, zusätzlich auch Entrepreneurship und Digitalisierung, sollten aber in Zukunft noch enger mit der betriebswirtschaftlichen Ausbildung verzahnt werden. Darum sollten die Profile (der Professuren) immer so angelegt sein, „dass auch ein grundständiges Fach im Bachelor unterrichtet werden kann und soll“.

Wo Studieninhalte „moderat“ umgestaltet worden seien, sei dies auf Wunsch der Studierenden geschehen. Viele wirtschaftswissenschaftliche Masterstudiengänge in Berlin und Brandenburg, in die die Studierenden womöglich im Anschluss wechseln wollten, verlangten einen höheren Anteil von „quantitativen Modulen“. Die sozialen Folgen globaler Wertschöpfungsketten würden selbstverständlich weiter gelehrt.

Campenhausen kündigt sogar die Ausschreibung von zwei Professuren in den Bereichen Nachhaltigkeit und Genderforschung noch im laufenden Wintersemester an. Das Harriet Taylor Mill-Institut werde „seine Arbeit auf hohem Niveau fortführen können“, beteuert er.

Sein Schreiben an Staatssekretär Krach schließt er mit einem Zitat von Peter-André Alt, dem Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, aus der „FAZ“: „Zweifellos wächst die Moralisierung des akademischen Diskurses mit hohen Erregungsgraden gegenüber Meinungen, die einem nicht passen.“

Im Stile eines Orwellschen Wahrheitsministeriums

Die Kritikerinnen und Kritiker werfen Campenhausen vor, in seinem Brief die Tatsachen im Stile eines Orwellschen Wahrheitsministeriums zu verkehren. Zwar betrachten sie es als Erfolg ihrer Gegenwehr, dass der Dekan nun „urplötzlich“ – nämlich ohne Abstimmung mit den Fachkolleginnen und -kollegen – zwei Professuren auf dem Gebiet Gender/Diversity und Nachhaltigkeit angekündigt hat. Allerdings sei dies bloß ein Manöver und keine echte Kehrtwende. So sei die angekündigte Professur für „Diversity Management“ etwas anderes als die nötige breit angelegte sozialwissenschaftliche Genderforschung. „Man will den Blick aufs Ganze einfach nicht mehr“, sagt die bereits zitierte Professorin. Im Übrigen sei zu befürchten, dass für die beiden neuen Professuren die Berufungskommissionen wiederum so besetzt würden, dass „kritische Geister“ bei der Berufung keine Chance haben: „Die Bastion soll geschleift werden.“

Geht es nach den kritischen Professorinnen und Professoren, würde ein neuer Fachbereich mit Sozialwissenschaften, Teilen der VWL und der BWL aus dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften ausgegliedert werden, um die Pluralität an der HWR zu retten. Doch das hat Campenhausen bereits abgelehnt: Dies würde der Interdisziplinarität schaden. „Außerdem erscheint es wenig überzeugend, Probleme durch Spaltung zu lösen“, schreibt er an Staatssekretär Krach.

Spaltet sich die HWR in zwei politische Lager? Davon kann keine Rede sein, sagt HWR-Präsident Zaby: „Es wird um die Stellung wissenschaftlicher Disziplinen gerungen – was an Hochschulen üblich ist.“ Er fügt allerdings hinzu: „Es ist aber ungewöhnlich, dass so hart gerungen wird.“ Eine Ausgliederung von Teilen des Fachbereichs hält Zaby wie der Dekan angesichts der angestrebten Interdisziplinarität „nicht für zielführend“.

Die Kritiker hoffen nun auf das Kuratorium. Dessen Vorsitzender, Staatssekretär Krach, hat bereits in der Einladung zur nächsten Sitzung am 8. November angekündigt, dort würden die mit der Stellenstruktur der HWR zusammenhängenden Themen ausführlich behandelt. „Ob im Nachgang der Sitzung weitere Beratungen notwendig sind, muss das Kuratorium entscheiden“, teilt Krach auf Anfrage mit.

Das Recht, in die Berufungspolitik einzugreifen, hat das Kuratorium jedenfalls nicht.

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