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Geist und Exzellenz: Doktoren fürs Nirwana

Nicht jeder, der einmal Reiseleiter wird, muss promoviert sein, sagt die Historikerin Ute Frevert. Produzieren die Unis zu viele Doktorierte? Eine Debatte über die Geisteswissenschaften und die Exzellenzinitiative

Als Jörg Baberowski, Professor für osteuropäische Geschichte an der Humboldt-Universität (HU), vor einiger Zeit seine Historiker-Kollegen von der Universität Tübingen traf, waren diese gerade aus der Exzellenzinitiative ausgeschieden. Betrübt waren sie darüber nicht, im Gegenteil: „Endlich werden wir wieder in Ruhe gelassen“, hätten sie gesagt.

Baberowski erzählte diese Anekdote jetzt bei einer Diskussion im Grimm-Zentrum der HU, weil sie zeigt, was er von großen Drittmittelprojekten hält: „Forscher werben dabei ohne Sinn und Verstand Geld ein. Das hält sie vom Wichtigen ab: dem Nachdenken und Schreiben.“ Fünf Vertreter des Wissenschaftsapparats diskutierten darüber, ob geisteswissenschaftliche Forschung und die Exzellenzinitiative zusammenpassen.

Baberowski fühlt sich durch den ständigen Druck, Drittmittel einwerben zu müssen, wie in einem Hamsterrad. Dabei bräuchten Geisteswissenschaftler nur einen Schreibtisch und viel Zeit zum Nachdenken, um gute Forschung hervorzubringen. Weil es ihm daran mangele, habe er sein Buch über Stalins Gewaltherrschaft hauptsächlich am Wochenende geschrieben: „Auf die Exzellenzinitiative hätte ich gerne verzichtet“, sagte er.

„Das ist egoistisch von Ihnen“, erwiderte die Historikerin Ute Frevert, Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Der Geisteswissenschaftler, der alleine in der Bibliothek vor sich hin arbeitet, sei eine Chimäre. „Kollaborationen sind wichtig.“ Auch wenn er die Exzellenzinitiative grundsätzlich befürwortet – HU-Präsident Jan-Hendrik Olbertz kann Baberowskis Kritik durchaus nachvollziehen: „Manche Forschungsthemen werden allein nach den Kriterien der Beantragbarkeit erdacht, nicht nach Relevanz oder Interesse.“

Daneben stritten die Diskutanten darüber, ob Drittmittelprojekte nicht noch ein ganz anderes Problem hervorbringen: Durch die vielen Sonderforschungsbereiche, Cluster und Graduiertenkollegs würden viel zu viele Doktoranden ausgebildet, sagte Stefan Hornborstel vom Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (IFQ). Nur ein Bruchteil könne später eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen, „der Rest wird ins Nirwana geschickt“. Obwohl Jörg Baberowski selbst 28 Doktoranden betreut, pflichtete er Hornborstel bei: „Es werden zu viele Doktoranden auf einen Markt geworfen, den es gar nicht gibt.“

„Welche Schlüsse sollen wir daraus ziehen?“, fragte Olbertz: „Sollen wir selbst dem exzellenten Nachwuchs eine Promotion verwehren, nur weil eine Minderheit von ihnen später Professor werden kann?“ Ute Frevert plädiert für eine Beschränkung: Durch die Flut an Doktoranden werde der Bachelor- und der Masterabschluss entwertet: „Wir müssen auch junge Leute ausbilden, die später Reiseführer bei Studiosus werden. Dafür braucht man keine Promotion.“

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