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Geringer Nutzen. Das Medikament verkürzt das Leiden nur um einen halben Tag.

© Reuters

Umstrittene Grippemittel: Fraglicher Nutzen von Tamiflu und Relenza

Studie: Die Grippemittel sind kaum besser als ein Placebo. Erstmals wurden Daten von Roche berücksichtigt, die der Pharmakonzern lange unter Verschluss gehalten hatte.

Wenn ein neues Grippevirus auftaucht, gegen das noch kein Impfstoff schützt, dann sind sie bisher die einzigen Hoffnungsträger: „Tamiflu“ (Wirkstoff Oseltamivir) und „Relenza“ (Wirkstoff Zanamivir). Millionenfach werden sie weltweit eingelagert. Die Neuraminidasehemmer sollen ein Eiweiß auf der Oberfläche des Virus blockieren und so verhindern, dass sich neue Viruskopien von den Zellen des Wirts lösen können. „Zähme die Grippe“, so lautet die Übersetzung von Tamiflu.

Ob die beiden Medikamente das wirklich können, ist seit über zehn Jahren umstritten. Jetzt attestieren ihnen zwei umfassende Studien der Cochrane Collaboration einen höchst bescheidenen Nutzen. Im Vergleich mit einem Scheinpräparat verkürzen sowohl Tamiflu als auch Relenza die Zeit, in der Patienten unter den typischen Grippesymptomen leiden, nur um etwas mehr als einen halben Tag.

Bescheidener Nutzen, aber Übelkeit und Erbrechen

Bei vier von hundert Grippekranken ist das mit Übelkeit und Erbrechen erkauft, schreiben Forscher um den britischen Epidemiologen Tom Jefferson im Fachblatt „British Medical Journal“. Dass die Mittel die Ansteckungsketten unterbrechen können, sei ebenfalls fraglich. Vor allem aber fanden die Wissenschaftler keine ausreichenden Belege dafür, dass Tamiflu und Relenza Erwachsene oder Kinder vor ernsten Folgen einer echten Influenza – etwa Krankenhauseinweisungen wegen einer Lungenentzündung oder schwerer Bronchitis – bewahren.

Für ihre Analyse haben die unabhängigen Forscher 46 Studien mit über 24000 Teilnehmern ausgewertet. Erstmals konnten sie ausführliche klinische Studienberichte der Firma Roche einbeziehen, die zuvor unter Verschluss gehalten worden waren. Die Kommentatorin des „British Medical Journal“ bezeichnet die Tamiflu-Studie deshalb als „Höhepunkt einer viereinhalb Jahre währenden Schlacht um den Zugang zu Rohdaten von industriegeförderten Studien zu einem Medikament, für das die Welt Milliarden von Dollar ausgegeben hat“. Allein in Deutschland können bei einer Pandemie 20 Prozent der Bevölkerung aus den Beständen der Länder versorgt werden, 7,5 Millionen Therapieeinheiten Tamiflu hält das Bundesgesundheitsministerium bereit.

Zugang zu allen publizierten und unpublizierten Daten

Die Verantwortlichen sollten Nutzen und Risiken dieser Medikamente erneut abwägen, bevor sie ihre Lager auffüllen, fordert die Cochrane-Gruppe. Um sich ein möglichst unverzerrtes Bild zu machen, sollten künftig die Entscheider Zugang zu allen publizierten und unpublizierten Daten haben.

Mehr Transparenz sei wichtig, pflichten andere Forscher bei. Doch nicht alle teilen die vernichtende Kritik an Tamiflu. Nguyen Van-Tam von der Universität Nottingham betont, dass sich die Cochrane-Gruppe vor allem auf die saisonale Grippe bezieht. Bei Pandemien könnte es anders sein. Im Fachjournal „Lancet“ berichteten er und seine Kollegen, dass Tamiflu das Risiko, an der „Schweinegrippe“ zu sterben, um fast ein Fünftel senkte, sofern das Mittel in den ersten beiden Tagen nach Auftreten der Symptome eingenommen wurde. Die Forscher um analysierten rückwirkend Daten von Erkrankten, die während der Pandemie 2009-2010 ins Krankenhaus gekommen waren.

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