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Um mit alten Prüfungsfragen für das zweite Staatsexamen, die „Hammerprüfung“, lernen zu können, müssen Medizinstudenten Geld bezahlen – unnötigerweise.

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Exklusiv

Kasse machen auf Kosten von Studierenden : Das Geschäft mit Prüfungsfragen

Bald lernen Medizinstudierende wieder für das zweite Staatsexamen – mit alten Prüfungsfragen. Aber die gibt es nur für Geld: Ein steuerfinanziertes Prüfungsinstitut verkauft die Lizenzen an Verlage.

Stand:

Das Medizinstudium ist für seine schweren Prüfungen bekannt. Besonders berüchtigt ist das zweite Staatsexamen, auch als „Hammerexamen“ bezeichnet. Jahr für Jahr bereiten sich darauf Tausende Studierende mithilfe alter Prüfungsfragen vor, an die sie über die Plattform „Amboss“ oder „via medici“ gelangen – für Geld. Im Fall von Amboss für 11,99 Euro pro Monat.

Aber warum eigentlich? Wieso sind die alten Prüfungsfragen nicht öffentlich und kostenlos zugänglich, obwohl sie von einer öffentlich finanzierten Bundesbehörde, dem Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), mit rund 13,5 Millionen Euro Steuergeld pro Jahr erstellt werden?

185.110
Euro zahlen Verlage für die Lizenz, die Prüfungsfragen des 2. medizinischen Staatsexamens (M1 und M2) des Vorjahres vermarkten zu dürfen.

Tatsächlich veröffentlicht das IMPP die alten Fragen nicht, sondern verkauft stattdessen die Lizenzen an die Verlage Amboss SE und die Georg Thieme Verlag KG. Die Verträge liegen dem Tagesspiegel vor. Das IMPP musste sie nach einer Klage nach dem Landestransparenzgesetz von Rheinland-Pfalz vor dem Verwaltungsgericht Mainz herausgeben. Für die medizinischen Prüfungsfragen eines Jahres zahlt ein Verlag 185.110 Euro – keine hohe Summe im Vergleich zum jährlichen Budget des IMPP. Dennoch meint das IMPP, den Steuerzahler damit zu „entlasten“.

Eine Exklusivitätsklausel enthalten die Verträge nicht. Das IMPP könnte die alten Prüfungsfragen also für die nicht-kommerzielle Nutzung herausgeben, etwa an die medizinischen Fakultäten und Studierende, und zwar zusätzlich zur kommerziellen Verwendung durch die Verlage. Andere staatliche Prüfungsfragen, etwa Abiturprüfungen, werden in einigen Bundesländern nach Abschluss der Prüfung veröffentlicht. Wieso geschieht das nicht auch mit den Informationen zu vergangenen „Hammerexamen“?

Das IMPP teilt auf Nachfrage des Tagesspiegels mit, dass die Prüfungsaufgaben zu Prüfungszwecken eingesetzt werden und nicht zu Lernzwecken oder zur Prüfungsvorbereitung entwickelt wurden. Das ist zwar richtig, doch die Verlage, die die Prüfungsfragen vom IMPP lizenzieren, verkaufen sie zu eben diesem Zweck an Studierende und Hochschulen: zur Prüfungsvorbereitung.

Hohe Kosten für medizinische Fakultäten

Damit die Studierenden die Kosten für den Zugang zu den Lernplattformen nicht zahlen müssen, schließen viele Fakultäten sogenannte Campus-Lizenzen für Amboss ab. Laut Amboss SE haben 90 Prozent der Universitäten in Deutschland eine Campus-Lizenz erworben, wodurch alle Studierenden die Plattform der Firma kostenfrei nutzen können.

Studierende der Medizin im Anatomie-Kurs an der Humboldt-Universität Berlin.

© Tagesspiegel/Kitty Kleist-Heinrich

Dadurch entstehen den Fakultäten hohe Kosten. Wie viel genau, ist unbekannt. Frank Wissing, Generalsekretär des Medizinischen Fakultätentages, betont jedoch: „Campuslizenzen stellen generell einen erheblichen Kostenpunkt für die Fakultäten dar, der je nach Studierendenzahl und Art der Lizenz in die Hunderttausende geht.“

Dieses Geld, das in die individuelle Prüfungsvorbereitung fließt, fehle den Fakultäten an anderer Stelle spürbar, so Wissing: „Es mindert beispielsweise die Mittel für Neuanschaffungen, für den Einsatz von Schauspielpatient:innen und das noch schnellere Vorantreiben von Innovationen in der Lehre.“ Hinzu komme, dass die Campuslizenzen oft nur sehr pauschal und unflexibel erworben werden können und kaum nutzergerecht anpassbar seien.

Campuslizenzen stellen einen erheblichen Kostenpunkt für die Fakultäten dar: bis in die Hunderttausende.

Frank Wissing, Generalsekretär des Medizinischen Fakultätentages

Somit dürften die Fakultäten also ein Vielfaches dessen für die Campuslizenzen zahlen, was das IMPP von den Verlagen einnimmt.

Herausgabe von Prüfungsfragen

Das IMPP sitzt in Rheinland-Pfalz. Dort gilt das Landestransparenzgesetz, das Behörden zu Transparenz verpflichtet und Auskunftsansprüche regelt, ähnlich wie das Informationsfreiheitsgesetz für Bundesbehörden. Bürgerinnen und Bürger können demnach die Herausgabe der Prüfungsfragen vom IMPP verlangen, auch wenn das IMPP diese nicht selbst veröffentlicht.

Bis zu einer Anfrage für die Recherche zu diesem Artikel wurden solche Anfragen jedoch stets abgelehnt.

Das IMPP gab als Grund an, dass einer Herausgabe die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Verlage entgegenstehen würden, die die Lizenzen für die Prüfungsfragen erworben haben. Urheber der Prüfungsfragen ist jedoch das IMPP und nicht die Verlage. Erst nach einem Widerspruchsverfahren und Vermittlung durch den Landesbeauftragten für Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz gab das IMPP alte Prüfungsfragen heraus. Seitdem ist es grundsätzlich möglich, alte Prüfungsfragen nach dem Landestransparenzgesetz beim IMPP anzufragen, etwa über die Plattform FragDenStaat.

Das Geld, das die Medizin-Fakultäten für Lizenzen ausgeben, kann nicht für die Unterstützung anderer Bereiche der Medizin-Ausbildung investiert werden.

© Getty Images/E+

Eine Veröffentlichungspflicht schreibt das Landestransparenzgesetz allerdings nur für andere Dokumente wie Haushaltspläne, Gutachten, Verträge etc. vor, nicht für Prüfungsfragen. Wer sie lesen möchte, muss selbst anfragen, denn wer die Prüfungsfragen angefragt hat, darf sie nicht weitergeben oder veröffentlichen. Das verbietet das Urheberrecht, das beim IMPP liegt.

Schluss mit Lizenzen

Im Januar 2024 gab das IMPP bekannt, ab 2025 keine Prüfungsfragen mehr lizenzieren zu wollen. Damit soll die hohe Qualität der Staatsexamina bewahrt werden. Die Lizenzierung der Prüfungsfragen habe dazu geführt, dass diese nur zu einem sehr geringen Teil wiederverwendet werden konnten. Später ergänzte das IMPP, dass die Prüfungshefte des jeweiligen Prüfungstages außerdem am Ende des Tages nicht mehr mitgenommen werden dürfen, sondern einbehalten werden.

Pascal Lemmer, Präsident der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland, begrüßt die Entscheidung der Behörde: „Tatsächlich haben sich die Noten der M2 Prüfung über die Jahre verändert. Es gibt weniger sehr gute Noten. Das liegt auch daran, dass die Fragen immer detaillierter und spezieller wurden. Deshalb begrüßen wir den Schritt des IMPP, neue Fragen zu erstellen, die dann auch mehrfach gestellt werden.“

Einige der Fragen sollen nun tatsächlich auch veröffentlicht werden. Das IMPP möchte in Kürze auf seiner Internetpräsenz für eine Übergangszeit von zwei Jahren eine Auswahl von etwa zehn Prozent der neuen Fragen zur Verfügung stellen, damit Prüflinge einen Eindruck von den Fragen sowie Prüfungsformaten erhalten können.

Fraglich bleibt jedoch, ob das IMPP die restlichen Prüfungsfragen wird geheim halten können oder ob es diese ebenfalls nach Landestransparenzgesetz wird herausgeben müssen.

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