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Nervige Kinder. Die Eltern sollen weder Gleichgültigkeit ausstrahlen noch zu heftig reagieren, raten Pädagogen. Gelegentliche Gefühlsausbrüche seien aber erlaubt. Foto: vario-images

© Westend61 / vario images

Neue Ratgeber für Eltern: Klare Ansagen und viel Liebe

Erziehungswissenschaftler und Familientherapeuten sehen in der Unentschiedenheit vieler Eltern eine der Hauptursachen für den Autoritätsverlust vieler Eltern. Was zwei neue Ratgeber Eltern empfehlen.

Würde Jesus von Nazareth heute leben, würde er seine Rede wohl so einleiten: „Also, wenn ihr wollt, hört mir bitte mal kurz zu, das wäre echt supernett von euch, wirklich.“ Doch wie sprach Jesus stattdessen zu seinen Jüngern? So, wie er es von seinen Zeitgenossen immer wieder forderte: „Eure Rede sei ja, ja, nein, nein.“ Jesus wollte Klartext hören, kein Wischiwaschi.

Kinder- und Familientherapeuten – darunter der Däne Jesper Juul und der deutsche Erziehungswissenschaftler Wolfgang Bergmann – sehen in der Unentschiedenheit und im Erklärungswahn vieler Eltern eine der Hauptursachen für Streitigkeiten in der Familie und den Autoritätsverlust vieler Eltern.

In seinem neuen Buch „Geheimnisvoll wie der Himmel sind Kinder. Was Eltern von Jesus lernen können“ rät Bergmann, selbst Vater dreier Kinder: „Redet nicht so viel, begründet nicht zu viel, erklärt nicht zu viel – eure Erklärungen klingen ohnehin fast immer wie Entschuldigungen.“ Der Leiter des Instituts für Kinderpsychologie und Lerntherapie in Hannover findet, „dass junge Menschen ein Recht haben auf die Klarheit des ,Ja, ja, nein, nein‘“.

Erziehen wie Jesus – das ist ein ungewöhnlicher Ansatz für einen modernen Ratgeber. „Wer Kinder liebt und sich ihnen zuwendet, wie es Jesus tat, der ist selbst dem Geheimnis des Lebens und der Liebe nahe. Dies können wir lernen – von Jesus ebenso wie von unseren Kindern“, meint Bergmann. So hält er zwar Einiges von Disziplin, aber wenig von disziplinarischen Maßnahmen oder Strafen. Vehement stellt er sich – auch in Fernsehtalkshows oder Zeitungsdisputen – gegen die Ansichten des Pädagogen Bernhard Bueb („Lob der Disziplin“), der für eine Erziehung aus „Führen und Wachsenlassen, Disziplin und Liebe, Kontrolle und Vertrauen“ wirbt, aber eben auch für kindlichen Gehorsam.

Allerdings sieht auch Bergmann durchaus ein Führungsgefälle zwischen Eltern und Kindern: „Kinder wollen nicht gleichberechtigt sein, sie wollen beschützt werden.“ Fehle dieser Schutz oder relativierten Eltern ihre Aussagen und Haltungen fortwährend, „dann werden Kinder fordernd und manchmal fast hochmütig, wohinter sich aber oft Traurigkeit verbirgt“.

Entscheidend aber sei eine Erziehung in Liebe, „alles andere geht schief“. Kinder müssten sich in ihrem aufkeimenden Selbst stets bei ihren Bezugspersonen vergewissern. Dazu müssten diese sie achtsam anschauen: wie Jesus gemeinhin verachtete Prostituierte angeschaut habe, so dass diese sich erkannt fühlten. „Wenn Kinder nicht ausreichend Geborgenheit finden bei ihren Eltern oder anderen vertrauten Menschen, dann werden sie unruhig, reißen sich los und stolpern ziellos vorwärts, stürzen und schreien und haben keine Zuflucht“, schreibt Bergmann. Traurige Beispiele seien hyperaktive Kinder, „die alles wollen und an nichts Freude finden“. Ihre Zahl wachse „dramatisch“, wie bei einer „Epidemie“.

Eltern sollten wahrhaftig sein gegenüber ihren Sprösslingen, echte Menschen mit Gefühlen eben, auch unangenehmen. So bricht Bergmann für ehrlichen Zorn eine Lanze, wie ihn Jesus zeigte, als er die Händler aus dem Jerusalemer Tempel scheuchte. Auch Kindern imponiere ein eindeutiges Wort: „Der Zorn eines Vaters über ein rücksichtsloses oder gemeines Verhalten seines Kindes ist ebenfalls ein Zorn der Wahrhaftigkeit.“

Ähnliche Ansichten vertritt der dänische Familientherapeut Jesper Juul in seinem Buch „Pubertät – Wenn Erziehen nicht mehr geht“. Natürlich sei es Eltern erlaubt, laut zu werden, „zu schreien, alles Mögliche“. „Kinder brauchen lebende Eltern. Sie brauchen keine Schaufensterpuppen.“

Allerdings sei es für eine nachgeholte „Turbo-Erziehung“ in der besonders konfliktträchtigen Pubertät zu spät. Die Eltern müssten die Fundamente für eine gute Beziehung schon vorher legen: „99 Prozent der Jugendlichen nehmen die Meinung ihrer Eltern sehr ernst, wenn sich die Eltern die ersten Jahre in der Familie auch nur ein bisschen qualifiziert haben“, hat Juul festgestellt. Selbst wenn Jugendliche es manchmal nicht zugäben, um Gesicht zu wahren, sei es ihnen bedeutsam zu wissen, was die Eltern denken. Bei der Erziehung mache der Ton die Musik – und das gute Vorbild. Ein zu scharfer, kommandierender Ton lasse Kinder oft widerspenstig und zu Lügnern werden. „Auf der anderen Seite kann ein gleichgültiges und nachlässiges Elternhaus den Kindern das Gefühl vermitteln, sie seien den Eltern ebenfalls gleichgültig“, warnt Juul.

Von Strafen hält er wie Bergmann nichts. Sie zählten „zur Kategorie Machtmissbrauch“ und seien im Übrigen „auf längere Sicht vollkommen wirkungslos“. Die „fruchtbarste Methode“ sei es, sich als Sparringspartner seiner Kinder zu begreifen. Ein Sparringspartner biete „maximalen Widerstand und richtet minimalen Schaden an“. Tatsächlich aber richteten Eltern ihr Verhalten zu oft daran aus, was ihnen selbst ein gutes Gewissen verschaffe – unabhängig davon, was für dieses ihr Kind in diesem Moment das Beste, nämlich Förderlichste sei: „Wenn ich mir beispielsweise überlege, ob mein 13-jähriger Sohn für die Wahl seiner Freunde selbst verantwortlich sein kann, worum geht es mir dann?“, fragt Juul. „Geht es wirklich nur um das Wohl des Kindes? Oder geht es um mich? Um mein Selbstbild? Um mein Image in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Schule?“

Juul macht Müttern und Vätern Mut, ihren Kindern mehr Eigenverantwortung zuzutrauen, statt sie ständig überwachen und umsorgen zu wollen. Er beklagt eine Hyperaktivität vieler Eltern, die notwendigerweise eine Unteraktivität der Kinder zur Folge habe. Den größeren Kindern die Verantwortung für die Schulaufgaben zu überlassen, zumindest probehalber, fordere Mütter und Väter heraus. Über ihre Sorgen dürften sie aber nicht mit ihren Sprösslingen sprechen, rät Juul, sie sollten sich lieber mit anderen Erwachsenen austauschen. Ab und an sollten sie dann in geeigneten Momenten an die Zimmertüren ihrer Kinder klopfen, um sich eine Rückmeldung zu holen: „Ich versuche, dich zu unterstützen. Gelingt mir das?“

Juuls Fazit: „Was unsere Kinder in der Pubertät von uns brauchen, ab zwölf, 13, 14 Jahren, ist eigentlich nur das: zu wissen, auf dieser Welt gibt es einen oder zwei Menschen, die wirklich glauben, dass ich o. k. bin.“ Doch die Haltung „Mein Kind ist in Ordnung“ sei in Mitteleuropa nicht üblich: „Wir verhalten uns eher wie Lehrer, sitzen mit einem Rotstift da und schauen, was noch nicht richtig ist.“

Wolfgang Bergmann: „Geheimnisvoll wie der Himmel sind Kinder. Was Eltern von Jesus lernen können“, 160 Seiten, Kösel-Verlag (2010), 14,95 Euro. – Jesper Juul: „Pubertät – Wenn Erziehen nicht mehr geht. Gelassen durch stürmische Zeiten“, 208 Seiten, Kösel-Verlag (2010), 16,95 Euro.

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