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IPCC-Bericht 2022 zur Klimakrise: 3,6 Milliarden Menschen schon heute hochgradig gefährdet
UN-Generalsekretär wirft Staaten "kriminelles" Versagen beim Klimaschutz vor. Das Zeitfenster für effektives Handeln schließt sich. Der Blog zum Nachlesen.
Stand:
Bei der Vorstellung des neuesten IPCC-Berichts zur Klimakrise mit Fokus auf die Auswirkungen der Erderhitzung auf Menschen und Biodiversität hat UN-Generalskretär Antonio Guterres den Staaten ein "kriminelles" Versagen beim Klimaschutz vorgeworfen. Der Ko-Vorsitzende der zuständigen IPCC-Arbeitsgruppe, der Meeresbiologe Hans-Otto Pörtner, warnt vor dem sich schließenden Zeitfenster, innerhalb dessen die Menschen die schlimmsten Entwicklungen noch verhindern können. Lesen Sie hier wichtige Aussagen des Berichts und Einordnungen bei der Vorstellung an diesem Montag nach:
Zeitfenster im Kampf gegen die Klimakrise schließt sich
Der neue Bericht des Weltklimarats IPCC ist ein eindringlicher Weckruf: Bei jeder weiteren Verzögerung bei Maßnahmen für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel werde sich "das Fenster der Gelegenheit schließen, eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern", mahnt der neue IPCC-Sachstandsbericht, der am Montag in Berlin veröffentlicht wird. Schon jetzt sei knapp die Hälfte der Menschheit durch den Klimawandel "hochgradig gefährdet".
Lesen Sie im Folgenden wichtige Aussagen des Berichts und Einordnungen bei dessen Vorstellungen an diesem Montag:
Hälfte aller Lebensräume unter Schutz zu stellen, kann der Menschheit nutzen
Naturschutz und Transformation von Städten kann Klimaschäden verringern, sagt Forscherin
Klimaforscherin Debra Roberts lehnte am Montag die Behauptung ab, der neue Klimabericht verbreite ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit. „Der Klimabericht gibt uns einen sehr ernsten Realitätscheck darüber, wo wir stehen und in welche Richtung es gehen könnte. Der Bericht gibt uns auch den Hinweis, dass wir selber für Veränderungen verantwortlich sind.“
Die meisten bevorstehenden Herausforderungen könnten bewältigt werden, wenn die Welt nachhaltiger und gerechter gestaltet werden würde. „Dazu gehört Naturschutz, aber auch die Orte zu ändern, wo die meisten Menschen leben – also unsere Städte.“
Menschheit hat verschiedene Optionen, Klimarisiken zu begegnen
Im neuen Klimabericht geht es auch darum, wie sich die Menschheit an die Folgen des Klimawandels anpassen kann. Klimaforscher Hans-Otto Pörtner erklärte bei einer virtuellen Pressekonferenz am Montag, wie die Ernährungssicherheit verbessert werden kann. „Dazu gehört zum Beispiel, widerständigere Pflanzen- und Tierarten zu nutzen, Agroforstwirtschaft zu betreiben und Bauernhöfe zu diversifizieren.“
Alle diese Maßnahmen könnten die Ernährung, Gesundheit und den Wohlstand betroffener Menschen verbessern. Pörtner ging auch auf die Anpassung von Städten ein. „Bis 2050 könnten zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben.“ Auch dort gäbe es Möglichkeiten, größeren Überschwemmungsrisiken zu begegnen. Dazu gehöre zum Beispiel, die Abflusssysteme an Straßen auszubauen und Platz für Wasser in Städten zu schaffen.
Schwerwiegende Konsequenzen für Europa
Der neue IPCC-Bericht sagt auch für Europa schwerwiegende Konsequenzen der Erderwärmung voraus. Bereits die bisherige Erwärmung um 1,1 Grad habe "Auswirkungen auf natürliche und menschengemachte Systeme in Europa", heißt. So seien Hitzewellen und Dürren häufiger geworden.

"Junge Generation" spielt entscheidende Rolle
Ganz besonders kritisch in diesen Tagen: Multilaterale Zusammenarbeit ist extrem wichtig beim Klimaschutz und im Kampf gegen die Klimakrise, sagt Hans-Otto Pörtner. Und er betont die Bedeutung von "Fridays for Future": Die Mobilisierung der "jungen Generation" ist "ein ganz entscheidender Hebel, um politische Beschlüsse zu erreichen, besonders auch in meinem Land" - Deutschland.
Eine Milliarde Menschen bis 2050 durch Meeresspiegelanstieg gefährdet
Klimaforscher Hans-Otto Pörtner hat bei der virtuellen Pressekonferenz am Montag die Risiken des Klimawandels dargelegt. „Bei einer Erderwärmung von zwei Grad Celsius würden Regionen, die abhängig von Schmelzwasser sind, 20 Prozent weniger Wasser für ihre Landwirtschaft nach 2050 haben.“ Zudem seien eine Milliarde Menschen bis 2050 durch den Meeresspiegelanstieg infolge der globalen Erwärmung gefährdet. Dies betreffe Menschen in niedrig liegenden Städten und in Siedlungen in Küstennähe.
Klimakrise befördert das Artensterben
Klimaforscher Hans-Otto Pörtner stellte am Montag bei einer virtuellen Pressekonferenz die Ergebnisse des Teilberichts vor. „Jeder Anstieg der Erderwärmung wird höhere Risiken für Mensch und Natur bedeuten – in allen Regionen der Erde.“ So werde das Artensterben und der Verlust von ganzen Ökosystemen wie tropischen Korallenriffen und Feuchtgebieten voranschreiten, wenn das Klima die 1,5-Grad-Grenze auch nur vorübergehend für wenige Jahrzehnte überschreitet.
„Das Risiko des Artensterben steigt um das zehnfache, wenn die Erderdwärmung von 1,5 Grad auf 3 Grad steigt.“ Dies sei gefährlich für Menschen auf der ganzen Welt und besonders für indigene Gemeinschaften, weil Vorteile von intakten Ökosystemen wie Bestäubung durch Bienen oder eine ausreichend Nahrungsgrundlage durch Fischbestände gefährdet seien.

„Unsere Atmosphäre ist auf Steroiden“
Petteri Taalas, Generalsekretär der Weltwetterorganisation (WMO), sagte am Montag bei der virtuellen Pressekonferenz des Weltklimarats: „Unsere Atmosphäre ist auf Steroiden, gedopt mit fossilen Energien. Dies führt bereits zu stärkeren, längeren und häufigeren Extremwetterereignissen.“ Klimawandelbedingte Katastrophen zögen große menschliche und wirtschaftliche Schäden nach sich.
„Mehr als vier von zehn Menschen auf der Welt leben in Gebieten, die sehr verletzlich sind gegenüber dem Klimawandel.“ Die Hotspots des Klimawandels liegen laut Taalas in Teilen Afrikas, im südlichen Asien, pazifischen Inselstaaten und Zentral- und Südamerika.
"Vielerorts wird irgendwann das Wasser ausgehen"
Wenn wir die Erderwärmung nicht begrenzen, "werden wir immer weniger Möglichkeiten haben, die Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren", sagt auch die deutsche Biologin Daniela Schmidt, die an der britischen Universität Bristol forscht. Mit steigenden Temperaturen werde in der Landwirtschaft vielerorts "irgendwann das Wasser ausgehen". Dem IPCC-Bericht zufolge dürften Anpassungsmaßnahmen wie künstliche Bewässerung in der Landwirtschaft künftig durch zunehmenden Wassermangel beschränkt werden.

„Kohle und andere fossile Energien ersticken die Menschheit“
António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat am Montag den globalen Kohleausstieg gefordert. „Kohle und andere fossile Energien ersticken die Menschheit“, sagte Guterres auf einer virtuellen Pressekonferenz des Weltklimarats mit Blick auf den neuen Bericht zu den Folgen des Klimawandels. „Alle Regierungen der G20-Staaten haben zugesagt, die Kohlefinanzierung im Ausland zu beenden.
Nun müssen sie das auch in ihrem eigenen Land dasselbe tun und ihre Kohlekraftwerke abbauen.“ Unternehmen, die Kohleenergie finanzierten, müssen laut Guterres zur Verantwortung gezogen werden. Öl- und Gasunternehmen seien ebenso in der Verantwortung. „Man kann nicht behaupten, grün zu wirtschaften, wenn die eigenen Pläne und Projeke das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 gefährden und die großen Emissionsminderungen ignorieren, die noch in diesem Jahr stattfinden müssen.“
"Wir haben keine Zeit mehr zu warten"
Klimaforscher Hans-Otto Pörtner und Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe weist auf einen erheblichen Rückstand beim Klimaschutz hin: "Die große Lücke in der Umsetzung gilt es zu schließen". Er verweist auf klare Grenzen der Anpassungsmöglichkeiten, wenn die Erwärmung ein bestimmtes Ausmaß überschreitet.
„Die größten Verschmutzer haben unser einziges Zuhause in Brand gesteckt“
UN-Generalsekretär António Guterres sagte in einer Videobotschaft am Montag: „Ich habe viele wissenschaftliche Berichte in meinem Leben gesehen, aber noch nie einen solchen wie diesen.“ Der Bericht des Weltklimarats sei das Zeugnis von fehlendem politischen Führungswillen beim Klimaschutz.
„Mit jedem Fakt legt dieser Bericht offen, dass die Menschheit und unser Planet vom Klimawandel geschädigt werden“, sagte Guterres. Fast die Hälfte der Menschheit lebe aktuell in der Gefahrenzone des Klimawandels. Viele Ökosysteme seien nun an einen Punkt der Unumkehrbarkeit gelangt.
Die Fakten seien unumstritten. „Dieser Verzicht auf politisches Handeln ist kriminell. Die größten Verschmutzer dieser Welt tragen Schuld daran, unser einziges Zuhause in Brand gesteckt zu haben.“ Die Wissenschaft sage, die 1,5-Grad-Grenze könne nur eingehalten werden, wenn die globalen Emissionen bis 2030 um 45 Prozent sinken und die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf netto null sinken.
Knapp die Hälfte der Menschheit schon jetzt hochgradig gefährdet
Knapp die Hälfte der Menschheit ist laut dem neuen Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC schon jetzt hochgradig gefährdet durch die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels. Susanne Elehrding schreibt dazu:
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