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Machtmissbrauch passiert nicht nur in den Köpfen derer, die die Macht innehaben, sondern auch in den Köpfen derer, die sich dieser Macht anpassen, sagt Geraldine Rauch.

© Yuri Arcurs/stock.adobe

Machtmissbrauch in der Wissenschaft: Lasst uns mehr Solidarität wagen!

Machtmissbrauch in der Wissenschaft beginnt schleichend. Es ist höchste Zeit, dem entgegenzutreten: für mehr Solidarität und weniger Partikularinteressen.

Geraldine Rauch
Ein Gastbeitrag von Geraldine Rauch

Stand:

Den allermeisten Professor*innen, die ich kenne, liegen ihre Mitarbeitenden sehr am Herzen und sie wünschen sich gute Zukunftsperspektiven für „ihren“ Nachwuchs. Gleichzeitig herrscht aber auch eine weit verbreitete Haltung, dass es die nächste Generation nicht einfacher oder besser haben sollte als man selbst. Warum sollte man etwas ändern, das lange etabliert ist.

Machtmissbrauch – das fängt nicht da an, wo „böse“ Professor*innen auf dem Rücken ihrer Mitarbeitenden Erfolge einheimsen. Machtmissbrauch beginnt viel schleichender. Und Machtmissbrauch passiert nicht nur in den Köpfen derer, die die Macht innehaben, sondern auch in den Köpfen derer, die sich dieser Macht anpassen.

Das, was eigentlich unsozial oder sogar illegal ist, wird als normal akzeptiert. Es geht lange nicht nur um Gesetzgebung und Budgets – es geht um einen kulturellen Wandel.

Wenn ich mich in Diskussionen für bessere Beschäftigungsverhältnisse für wissenschaftliche Mitarbeitende ausspreche, höre ich immer wieder Argumente wie: „bevor wir mehr Dauerstellen schaffen, muss mehr Geld ins System“, „die Drittmittelgeber und Industriepartner finanzieren eben oft nur kurze Vertragslaufzeiten“, „die wissenschaftlichen Mitarbeitenden selbst freuen sich auch über kurze Verträge mit interessanten Aufgaben“, „eine Promotion ist eben zu gewissen Teilen auch ein Eigeninteresse, das in der Freizeit verfolgt wird“.

Begleitet werden diese Argumente meist von Erzählungen wie „auch in meiner wissenschaftlichen Ausbildung bin ich durch solche Verträge gegangen und habe es trotzdem zu etwas gebracht“.

In einer wissenschaftlich hochkarätig besetzen politischen Themensitzung ist mir sogar einmal folgendes Argument begegnet: „Postdocs nach Abschluss der Promotion bekommen eine 100 Prozent-Stelle mit Eingruppierung E13. Damit das fair ist, müssen Promovierende weniger verdienen. Da der Tarifvertrag das nicht zulässt, ist eine prozentuale Anstellung auf 50-65 Prozent bei 100 Prozent Arbeitsleistung der faire Weg, um eine Steigerung im Gehalt zu ermöglichen.“ Ich lasse diese frei zitierten Argumente bewusst unkommentiert.

Machtmissbrauch: viele Gesichter, viele Ausprägungen

Machtmissbrauch in der Wissenschaft hat viele Gesichter und viele Ausprägungen – von kurzen Vertragslaufzeiten, halben Stellen bei voller Arbeit, Stipendien, die den Mindestlohn umgehen, bis hin zu Dauerstellen, die als persönliches „Geschenk“ von Professor*innen an verlesene Wissenschaftler*innen aus dem eigenen Team vergeben werden und Abhängigkeitsverhältnisse begünstigen.

Machtmissbrauch abzubauen und zu verhindern, das ist weder als betroffene*r Mitarbeitende*r, noch als Politiker*in, noch als Universitätspräsident*in ein einfacher Weg – denn immer wieder prallen gegensätzliche Interessenvertretungen aufeinander.

Dabei gibt es in der eigentlichen Sache gar keine Interessenkonflikte – Universitäten haben ein Interesse daran, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu binden und zu halten. Die Gesellschaft hat ein Interesse daran, wissenschaftliche Fachkräfte auszubilden. Die Industrie hat ein Interesse daran, den wissenschaftlichen Nachwuchs einzustellen. Die Politik hat ein Interesse daran, den Wissenschaftsstandort Deutschland zu stärken.

Wir sitzen also alle im selben Boot. Aber ein Boot mit Leck eignet sich halt nicht für eine Überquerung stürmischer Gewässer – und die Zeiten sind nun einmal stürmisch. Wir sollten daher weniger nach Schuldigen suchen, sondern einfach anfangen, sozial verträgliche Beschäftigungsverhältnisse als Normalität zu etablieren.

Daher lasst uns alle vorangehen – für mehr Solidarität und weniger Partikularinteressen. Denn am Ende sind wir alle in Abhängigkeitsverhältnissen gebunden. Weil wir eine Gemeinschaft sind. Keine Gesellschaft, keine Universität und keine Industrie funktioniert ohne Menschen. Abhängigkeit impliziert Verantwortungsübernahme füreinander. Lasst uns diese Verantwortung annehmen!

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