Hochschule: Meine Uni, mein Club
Nie mehr allein an der Hochschule: Studierende gründen Vereine für jeden Geschmack, vom Kendo bis zum Tretbootfahren. Nicht jeder Club gilt jedoch als harmlos
Hörsaal, Bibliothek, Mensa – so weit so gut. Aber wer will schon allein für die Uni leben? Wäre es nicht schön, den studentischen Alltag um einen Hauch Eigenwilligkeit zu bereichern und der Einsamkeit an der Massenuni ein Schnippchen zu schlagen? Eine ganze Reihe Berliner Studierender tut genau das: Sie haben an ihrer Hochschule einen Verein gegründet.
Thebin Lee (31) ist schon seit 2009 dabei. Seine Leidenschaft: Kendo, eine japanische Kampfsportart. „Kôbukai – Kendoverein an der Freien Universität Berlin e.V.“ lautet der Name des Vereins, unter dessen Dach sich derzeit 30 Mitglieder versammeln. Inzwischen seien sie der drittgrößte Kendo-Verein Berlins, erzählt Lee, der Vorsitzende, stolz. Damals habe man mit gerade mal zehn Gründungsmitgliedern angefangen. „Wir sind eine bunte Truppe“, sagt Lee. Alle Studienfächer, auch FU-Alumni und Post-Docs seien vertreten. Er selbst hat an der TU Berlin Technische Informatik studiert und promoviert derzeit.
Die Verflechtung von professionellem Uni- und privatem Vereinsleben findet Lee wichtig: Die Philosophie des Kendo, „Wille und Stärke zu zeigen, nicht auf halber Strecke abzubrechen, eine 90-minütige Trainingseinheit knallhart durchzuziehen“, helfe ihm auch, die Doktorarbeit zu bewältigen. Der Cocktail nach dem Training allerdings nicht minder: „Wir haben ein intensives und ausgiebiges Vereinsleben“, schmunzelt er.
Den Anstoß zur Vereinsgründung gab der frühere FU-Präsident Dieter Lenzen.„Sport ist (kein) Mord“ schrieb er im Tagesspiegel. Es gebe unter deutschen Intellektuellen die unschöne Sitte der Sport- und Körperfeindlichkeit, dabei sei Sport doch eigentlich ein „integraler Bestandteil der höheren Bildung“. Die Studierenden sollten „zu uns kommen und fragen, ob wir sie bei der Gründung eines Hochschulsportklubs unterstützen können“. Lenzens Aufruf fand Gehör: „Er brachte uns auf die Idee für unsere Vereinsgründung“, sagt Lee. Der Kendo-Verein wurde beim Amtsgericht eingetragen und zusätzlich an der Hochschule registriert, um die akademische Anbindung zu demonstrieren.
Während die Deutschen im allgemeinen Vereinsmeier sind – die Statistik zählt über eine halbe Million eingetragener Vereine –, kommen die Studierenden erst langsam auf den Geschmack. Anders als an amerikanischen oder britischen Hochschulen ist die Zahl der Clubs an deutschen Unis übersichtlich, ihr Auftreten oft dezent, manche sind nur Insidern bekannt.
Ein Kuriosum, das die post-68er Distanz zu Hochschulritualen überlebt hat, ist die „Vereinigung Berliner Schiffs- und Meerestechnikstudenten“ an der TU Berlin. Im Jahr 1878 unter dem Namen „Heylige Frau Latte ad Berolinum“ gegründet, versammelt man sich auch heute noch in gemütlichen Räumlichkeiten unter dem vergilbten Foto der 16 Gründungsmitglieder. Die Wände sind gespickt mit kleinen Schiffsbauerreliquien: Sturmglocke, Rettungsring, und natürlich mit diversen Latten, nach denen der Verein benannt ist. Die Straklatte ist eine Art langes, elastisches Lineal, mit dem sich eine gleichmäßige Krümmung etwa des Schiffbauches zeichnen lässt. Allzu viel Heiligkeit möchte man aber nicht verkörpern: „Schon damals wurde die Vereinigung als Parodie auf die Burschenschaften gegründet“, berichtet Viktor Weiland (29), derzeit Manager des Tretbootteams. Diesen ironischen Zug hat man sich bis heute bewahrt, wovon auch das Grinsen kündet, mit dem der Vorstand die Vereinsmitglieder als „Lattejünger und -jüngerinnen“ bezeichnet.
Die Anbindung an die Alma Mater beschert nicht nur die Räumlichkeiten in der Nähe der Hörsäle und die Erlaubnis, inneruniversitäre Aushänge machen zu dürfen, sondern sorgt auch für gutes Klima zwischen Studierenden und Lehrenden: „Derzeit haben wir etwa 20 bis 30 Studis, die aktiv im Verein mitarbeiten, alle zusammen sind wir um die 250 Leute. Und wenn größere Events anfallen, packen auch die Profs mit an“, sagt Antonio Lengwinat (29), der ebenfalls einen Vorstandsposten bekleidet. In den vereinseigenen Räumen können sich die Studierenden zum Lernen zurückziehen. Außerdem organisiert der Verein Ausflüge in Betriebe, die Mitglieder unterstützen einander bei Prüfungen und feiern Sommerfeste. „Wir sind die soziale Ader unseres Studienganges“, sagt Kanzlerin Pia Maria Haselberger (23) und zeigt auf die Glasvitrine mit Orden und Trophäen, die die Mitglieder in Tretbootregatten gewonnen haben.
Schiffbauerei, Kendo – welche Universität freute sich nicht über derart engagierte Studierende? Doch nicht alle geben sich gleichermaßen kommunikativ und offen für Neugierige. Die „Students for Mission“ etwa – scheinbar eine Gruppe christlicher Studierender – sind zwar in der Liste studentischer Vereinigungen an der TU aufgeführt. Eine E-Mail-Adresse oder Website ist indes nicht angegeben, und auf postalische Nachfrage reagiert der Verein nicht. Beunruhigt es die Uni, dass zu den „Students for Mission“ im Netz Sektenwarnungen kursieren? „Zu Beginn und dann etwa zwei- bis dreimal jährlich findet eine Überprüfung der bei uns registrierten studentischen Vereinigungen statt“, heißt es von der TU. Alle Vereinigungen hätten die Registrierordnung unterschrieben, und entsprechend sei davon auszugehen, dass der satzungsgemäße Zweck erfüllt sei – nämlich die Aufgaben der Uni oder das Gemeinschaftsleben „unter Wahrung der Toleranz gegenüber Andersdenkenden zu fördern“.
Das Gemeinschaftsleben zu fördern hat sich der „Orbis Humboldtianus“, der internationale Club der Humboldt-Universität, allemal auf die Fahnen geschrieben. Ein offizieller Verein ist er nicht, sondern jener Zweig der Universität, der ausländische Studierende administrativ unterstützt und vernetzt. Finanziert aus den HU-Haushaltstöpfen und durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) findet die Arbeit nicht in durchwachten Nächten statt, sondern wird tagsüber von studentischen Hilfskräften erledigt. Sie kümmern sich um Wohnungsbörse und Visa-Angelegenheiten oder helfen bei der Immatrikulation. Zum Angebot gehört ein Stammtisch, Sprachtandem-Partys oder ein gemeinsamer Besuch der Philharmonie. „Hier finden sich Cliquen für ein, zwei Semester“, spricht Hilfskraft Lars Wolkenhauer (29) gegen das bunte Stimmengewirr an.
Auch Li Xiaorui aus China gehört jetzt dazu. Die 21-jährige BWL-Studentin ist erst vor einem Monat in Berlin angekommen. Nun sitzt sie im Orbis und füllt ein Formular aus. „Vielleicht gehe ich hier mal zu einer Party“, sagt sie und lächelt schüchtern. Wäre doch auch zu schade, wenn das studentische Leben sich in Hörsaal, Bibliothek, Mensa erschöpfte.
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