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Mächtig waldig. Mit Roteichen und Esskastanien soll der deutsche Wald für den Klimawandel fit gemacht werden. Forstexperten sind skeptisch.

© imago images/Christian Ohde

Nationaler Waldgipfel: Kein besserer Wald trotz lauter Bäumen

Nicht nur hitzeresistentere Arten braucht es, sondern ein Konzept für ein nachhaltiges Ökosystem Wald.

547 Millionen Euro stellte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf dem „Nationalen Waldgipfel“ am Mittwoch für „neue Wälder“ in Aussicht. Mit dem Beitrag der Bundesländer kommen sogar 800 Millionen Euro zusammen, mit denen in den nächsten Jahren Baumarten gepflanzt werden sollen, die den zu erwartenden höheren Temperaturen und längeren Trockenperioden gewachsen sein werden. Doch die Maßnahmen, mit denen der deutsche Wald fit für den Klimawandel gemacht werden sollen, greifen Waldexperten wie Pierre Ibisch zufolge zu kurz.

„Wir müssen aufhören, den Wald mechanistisch zu betrachten, und stattdessen in Ökosystemen denken“, sagt Pierre Ibisch. Das Thema sei „weit komplexer“, als nur die Frage zu beantworten, welche Baumarten wir in Zukunft pflanzen sollen. „Wir befinden uns gerade nicht nur in einer Waldkrise, sondern in einer Ökosystemkrise“, sagt der Professor für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde.

Ältere Wälder kühlen am effektivsten

Einer der Forschungsschwerpunkte seines Instituts sind die europäischen Buchenwälder. Nach zwei Dürrejahren in Folge sieht Ibisch die größte Aufgabe darin, Landschaften bestmöglich zu kühlen, also Wasser in den Wäldern zu halten und zu speichern – und nicht nur dort.

Auch außerhalb müssten Feldgehölze, Hecken oder Knicks als „Kühlelemente“ wieder in die Agrarlandschaft integriert werden. Das hätten seine Forschungen ergeben: „Mit Klimaloggern – automatischen Messgeräten – und Satellitendaten ermitteln wir Temperaturen in Landschaften“, sagt Ibisch. „Dabei konnten wir sehr große Temperaturunterschiede zwischen Wald und Offenland sowie zwischen unterschiedlichen Wäldern dokumentieren.“ Demnach kühlen ältere, geschlossene und biomassereiche Wälder am effektivsten. An heißen Tagen sind sie bis zu über zehn Grad kühler als benachbartes Offenland. Sie verdunsten weniger Wasser, es bleibt mehr in der Landschaft.

Angesichts dieser Erkenntnisse warnt Ibisch vor Kahlschlägen und größeren Eingriffen: „Wenn wir jetzt durch Kahlschläge geschwächte Bäume entfernen und das Schadholz aufräumen, schädigen wir den Wald weiter“, sagt der Forscher. „Ich kann mir eine Zukunft vorstellen, in der dort gepflanzte Bäume nicht mehr wachsen, weil es zu trocken und heiß ist.“ Das widerspricht den Plänen, die Bundesministerin Julia Klöckner beim Waldgipfel formulierte, in denen „erstens: Wiederbewaldung der Schadflächen“ gefordert wird und „natürlich (...) vorher geräumt werden“ müsse.

„Den Holzkonsum zu erhöhen, überhitzt die Ökosysteme zusätzlich“

Außerdem vermisst Ibisch in diesem Ansatz die Berücksichtigung der „Naturverjüngung“, bei der sich die Natur selbst helfe. Ein Extrembeispiel seien große Waldbrandflächen bei Treuenbrietzen aus dem vergangenen Jahr. „Nach einem Jahr stellten sich auf den ehemaligen Kiefernmonokulturen Pioniere wie Birken und Pappeln ein, deren Laub den Boden verbessert“, so Ibisch. „Was dann in 50 bis 100 Jahren unter dem schützenden Schirm dieser Bäume wächst, wird sich zeigen. Der Prozess jedenfalls hat begonnen.“

Damit geschlossene Wälder auch künftig zur Kühlung der gesamten Landschaft beitragen können, fordert Ibisch ein Umdenken der Gesellschaft und Politik: „Wir müssen raus aus der Falle, dass Förster und Waldbauern mit Holz Geld verdienen müssen.“ Wenn Schadholz über Jahrzehnte verrotte, trage es zur Kühlung der Landschaft bei. Das könne durch Fördermittel gelenkt werden, sagt Ibisch. „Auf jeden Fall ist es falsch, den Holzkonsum zu erhöhen. Dadurch würden unsere Ökosysteme zusätzlich überhitzen.“

Schon jetzt seien die Böden in vielen Gebieten so trocken wie nie zuvor, sagt Winfried Riek, Bodenforscher an der Eberswalder Hochschule für nachhaltige Entwicklung. Das gelte vor allem für lehmige Böden. „Diese können zwar sehr viel mehr Wasser speichern als Sandböden, doch mittlerweile sind auch Lehmböden fast komplett wasserfrei.“ Um diese Speicher wieder aufzufüllen, müsse ein „sehr nasser Winter“ folgen.

Die Bäume auf diesen Standorten sind bereits 2019 mit einem Wasserdefizit ins Frühjahr gestartet, sagt Riek. „Der Lehm ist steinhart, dort können aktuell keine Wurzeln mehr wachsen. Selbst wenn in tieferen Schichten noch Wasservorräte wären, können die Bäume diese nicht erreichen.“ Die häufig auf Lehmen stockenden Rotbuchen litten besonders. „Selbst wenn es jetzt regnet, bleibt die Frage, ob ein Großteil der Niederschläge durch die entstandenen Bodenrisse einfach in tiefere Schichten durchfließt, die für Baumwurzeln unerreichbar bleiben.“

In Deutschland gibt es „völlig überhöhte Wildbestände“

Die „Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft“ (ANW) in Brandenburg will auch zukünftig „in erster Linie mit den vorhandenen Baumarten arbeiten und setzt auf natürliche Verjüngung“, sagt der ANW-Vorsitzende Dietrich Mehl, der als Oberförster mehr als 21 000 Hektar Wald in der Uckermark betreut, darunter viele Rotbuchen. „Die Bäume suchen sich ihren richtigen Platz selbst und entwickeln ein besseres Wurzelsystem als Baumschulpflanzen. Das erleichtert ihren Start.“ Die Naturverjüngung werde auch Baumarten bringen, die bislang nicht im forstlichen Fokus standen, etwa Birke oder Weißtanne.

Doch eine natürliche Verjüngung könne nur gelingen, wenn der Bestand an „Knospenfressern“, etwa Rehen, deutlich vermindert werde, sagt Mehl. „Die wichtigste Aufgabe im Moment ist die Jagd, um den Wildbestand so weit zu reduzieren, dass der Wald sich ohne Zäune oder Einzelschutz der Jungbäume verjüngen kann.“ In Deutschland gebe es „völlig überhöhte Wildbestände“.

Angesichts der Forderung von vielen Seiten, nun im großen Stil neue Baumarten wie Roteichen oder Esskastanien zu pflanzen, die dem Klimawandel trotzen sollen, mahnt der Vorsitzende der ANW zur Ruhe. „Wir dürfen nicht den Fehler machen, von einem Extrem, etwa den Kiefernmonokulturen, in ein anderes zu kippen.“ Erst müsse man die Folgen absehen können. So wie man auf dünnem Eis keine großen Schritte machen könne und sich sachte vortasten und prüfen müsse, ob das Eis auch den nächsten Schritt tragen wird, müssten Förster und Waldbauern genau beobachten, wie der Wald auf Maßnahmen reagiert.

Keine Monokulturen aus Robinie und Douglasie

Monokulturen, das zeigten aktuell die Kiefern- und Fichtenflächen, seien potenziell anfällig für Schädlinge. So sollten auch die aus Nordamerika eingeführte Robinie oder Douglasie weiter als Baumarten für Mischwälder, nicht aber für Monokulturen genutzt werden, meint Mehl.

Ein Ziel müsse es auch sein, bestehende Wälder sturmfester zu machen, sagt der Oberförster. „Indem wir behutsam Licht schaffen, können starke Bäume mit großen Kronen und einem weiten Wurzelsystem heranwachsen.“ Wichtig sei dabei ein gutes Verhältnis von Höhe und Durchmesser. „Bei Stämmen, die bei gleicher Höhe in 1,3 Metern über der Erde einen deutlich größeren Durchmesser haben, liegt der Schwerpunkt tiefer, wodurch sie sturmfester sind.“

Ein weiteres Ziel sind zwei- oder dreischichtige Bestände – das heißt, unter den älteren Bäumen lassen die Förster jüngere wachsen. Derart dichte Wälder schützen den Boden vor Austrocknung.

Allerdings sei dieses Ausfüllen des Wuchsraumes immer auch eine Gratwanderung, sagt Mehl. „Um oben im Kronenbereich Raum für Licht zu schaffen, das den Jungpflanzen Wachstum unter den Altbäumen ermöglicht, müssen wir sehr behutsam vorgehen.“ Das heißt, wenn zu stark „aufgelichtet“ wird, die Kronen der alten Bäume also zu stark beschnitten werden, können Stürme ansetzen oder zu viel Sonnenlicht erreicht den Waldboden und trocknet ihn aus.

Roland Schulz

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