zum Hauptinhalt
Doktorandin arbeitet am Laptop.

© Imago

Publizieren von Dissertationen im Internet: Doktor Digital

Die eigene Dissertation in einem Verlag unterzubringen, verschafft ihr Prestige. Doch das Internet ist preiswerter und schneller. Digitales Publizieren hängt auch vom Fach ab.

Wer jahrelang über seiner Dissertation schwitzt, hat dabei immer wieder den großen Augenblick vor Augen: Das fertige Buch wird den stolzen Eltern überreicht, man selbst darf sich endlich Dr. nennen. Doktoranden wissen allerdings, dass dieser große Moment noch längst nicht in Sicht ist, wenn die Dissertation geschrieben ist. Erst ist ein Verlag zu gewinnen, dessen Auflagen für die Veröffentlichung müssen erfüllt werden, Geld für die Pflichtexemplare ist aufzutreiben. Muss auch das noch sein?, fragen sich Doktoranden aber zunehmend – mit Blick auf schnellere und preisgünstigere Wege. Digitale Alternativen gibt es einige.

„Die Leute stehen mit der fertigen Arbeit bei uns vor der Tür, planlos mit dem USB-Stick in der Hand“, sagt Niels Fromm. Der Leiter der Arbeitsgruppe Elektronisches Publizieren der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität versucht seit Jahren, die Doktoranden frühzeitig darüber zu informieren, welche Möglichkeiten sie haben. Die Humboldt-Universität gehörte schon 1997 zu den ersten Hochschulen, die es Doktoranden möglich machte, ihre Dissertation auf dem Universitätsserver hochzuladen und elektronisch zu publizieren. Die in Deutschland geltende Publikationspflicht ist damit eigentlich erfüllt. Aber die Promotionsordnungen der Fakultäten regeln unterschiedlich, wie viele gedruckte Exemplare die Doktoranden bei wem abliefern müssen.

Wie die Statistik der Deutschen Nationalbibliothek zeigt, ist die Zahl der elektronisch publizierten Dissertationen in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gewachsen. Im vergangenen Jahr erschienen von 26 853 Doktorarbeiten deutschlandweit bereits 10 392 elektronisch, wenn auch die Buchform mit 16 301 Exemplaren immer noch verbreiteter ist.

Während in den Geistes- und Sozialwissenschaften das Buch noch üblicher ist, setzt sich das elektronische Publizieren vor allem in den Naturwissenschaften durch. Nach Auskunft von Fromm gab es an der Humboldt-Universität 2012 nur noch zwei Fächer, in denen keine einzige Dissertation elektronisch erschien: Jura und Theologie.

„Es gibt da keinen Königsweg“, sagt Patricia Schneider, Geschäftsführerin des Netzwerkes von Promovierenden „Thesis“. Die Entscheidung hänge sehr stark vom Promotionsfach und den Gepflogenheiten der Fakultäten ab. Zur besseren Orientierung bietet ihr Netzwerk für Doktoranden vereinzelt Workshops in den Universitäten an, bei denen Verlagsvertreter ebenso zu Wort kommen wie Anbieter von Self-Publishing-Plattformen.

„Einige Verlage haben ihre Marktposition lange ausgenutzt“, sagen kritische Stimmen vor allem über die sogenannten Wissenschaftsverlage, die außer dem reinen Druck der Dissertationen in hoher Stückzahl kaum andere Dienstleistungen anbieten. Für eine Veröffentlichung in Jura kann das den Promovierenden bis zu 10 000 Euro kosten. „Da haben sich einige auf Kosten der Doktoranden eine goldene Nase verdient und sehen jetzt ihre Felle schwimmen gehen“, heißt es nun, zumal die hohen Auflagen der Dissertationen niemals nachgefragt werden.

„Ich habe nicht eingesehen, dass ich da auch noch Geld mitbringen soll“, begründet der Berliner Politologe Christian Boulanger seine Entscheidung gegen den klassischen Verlag. Allein der Druckkostenvorschuss für die 400 Seiten Doktorarbeit hätte ihn dort rund 4000 Euro gekostet, ohne dass damit das Lektorat bezahlt gewesen wäre. Boulanger publizierte seine Dissertation deshalb lieber sehr viel preisgünstiger auf „epubli“, einer Self-Publishing-Plattform der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck. Das Berliner Unternehmen wirbt bei jungen Wissenschaftlern damit, dass für sie zugleich die Option auf ein hochwertiges gedrucktes Buch offenbleibt. Sie können auf Wunsch sehr niedrige Auflagen, sogar Einzelstücke, drucken lassen – mit der von ihnen gewünschten einfachen oder aufwendigen Ausstattung („print on demand“). Der Preis für den Verkauf kann von den Doktorierten selbst festgelegt werden. Boulanger hat bislang erst zehn Exemplare drucken lassen. Pro Buch will er 35 Euro haben, so dass er seine Unkosten zurückbekommt und sogar einen kleinen Gewinn macht.

Für Boulanger überwogen aber nicht nur die finanziellen Vorteile. Da sich die Dissertation einem Verfassungsvergleich zwischen Ungarn und Deutschland widmete, war es dem Politologen auch wichtig, dass die Kollegen in Ungarn das Buch lesen konnten und es in der aktuellen Fachdiskussion schnell über Open Access verfügbar war. „Beim Verlag hätte das bestimmt ein Jahr gedauert“, sagt Boulanger.

Allerdings hat sein Buch zwar eine ISBN-Nummer, so dass es im Buchhandel gefunden werden kann. Aber es taucht in keinem Verlagsprogramm auf: „Dadurch weiß keiner, dass es das Buch gibt“, sagt Boulanger. Er muss nun selbst aktiv werden und sein Buch bewerben.

Wer anders als Boulanger nach der Doktorarbeit eine wissenschaftliche Karriere plant, entscheidet sich in den Geistes- und Sozialwissenschaften trotz der hohen Kosten darum lieber für einen angesehenen Verlag. In Wissenschaftskreisen gilt es immer noch als „Ritterschlag“ oder „Gütesiegel“, wenn die Doktorarbeit in einem renommierten Verlag erscheint und damit auch in Fachzeitschriften oder gar in der Tagespresse rezensiert wird.

So kann sich beispielsweise der renommierte Göttinger Wallstein-Verlag vor Anfragen kaum retten, sagt jedenfalls dessen Sprecherin Monika Meffert: „Wir haben mehr Anfragen, als wir drucken können.“ Der Verlag wählt nach inhaltlichen Kriterien aus, welche Dissertation ins Programm passen könnte. Auch das bedeutet häufig, dass der Autor einen Druckkostenzuschuss auftreiben muss. Bei Dissertationen gilt eine Auflage von tausend Stück schon als große Auflage, sagt Meffert.

Die meisten Verlage bieten heute auch die Möglichkeit, parallel ein E-Book zu publizieren. Wer seine Doktorarbeit allerdings bereits über den Uniserver oder die Deutsche Nationalbibliothek online gestellt hat und damit dem „Open Access“-Gedanken folgt, macht oft die Erfahrung, dass die Verlage die Autorenrechte eigentlich exklusiv bekommen wollen.

Markus Neuschäfer, der bei „epubli“ die wissenschaftlichen Publikationen betreut, glaubt an den langfristigen Erfolg elektronischen Publizierens: „An der Frage, wie wichtig das Renommee der Verlage ist, scheiden sich heute noch die Geister“, sagt Neuschäfer. „Das hat aber auch viel mit einer älteren Professorengeneration zu tun.“ Doktoreltern, die kurz vor der Pension stünden, achteten eben noch stärker auf die Namen der Verlage. Dabei komme es heute vor allem darauf an, im Netz zu einem bestimmten Thema auffindbar zu sein.

Gemma Pörzgen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false