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Der Perito-Moreno-Gletscher in Patagonien ist einer der größten Auslassgletscher der Anden und eine der größten Touristenattraktionen Argentiniens.

© Etienne Berthier

Auch bei nur 1,5 Grad Erwärmung: Fast die Hälfte der Gletscher schwindet

Eine neue Studie bestätigt: Die Gletscherschmelze ist nicht mehr zu stoppen, doch jedes Zehntelgrad vermiedener Erwärmung zählt.

Wasserknappheit, steigende Meeresspiegel, veränderte Flora und Fauna: Das fortschreitende Schmelzen der Gletscher aufgrund der Klimaerwärmung hat zum Teil gravierende Auswirkungen. Nun zeigt eine im Fachjournal „Science“ veröffentlichte Studie, dass selbst im günstigsten Fall ein großer Teil der Gletscher verschwinden wird.

Demnach dürften fast 50 Prozent der rund 215.000 berücksichtigten Gletscher bis 2100 schmelzen – wenn der Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius begrenzt wird. Die Autoren haben auch eine positive Botschaft: Sofortige Maßnahmen zum Klimaschutz und jedes Zehntelgrad vermiedene Erwärmung können den Prozess verlangsamen.

Mit seinen Berechnungen bestätigt das internationale Team um David Rounce von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh bisherige Erkenntnisse zum Ausmaß der Gletscherschmelze. „Die Studie hat diverse Prozesse, die bisher nicht betrachtet werden konnten, sehr detailliert angeschaut. Aber es ist nicht so, dass etwas völlig Neues aus der Studie herauskommt, was vorher nicht bekannt war“, sagt Glaziologe Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, der nicht an der Untersuchung beteiligt war.

Der Studie zufolge steht das Schmelzen der Gletscher in linearem Zusammenhang mit dem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur. Bei einem Anstieg um zwei Grad Celsius – dem im Pariser Abkommen vereinbarten Ziel für die maximale Erwärmung – könnten knapp 70 Prozent der Gletscher bis zu einer Größe von einem Quadratkilometer verschwinden. Von den Gletschern zwischen einem und zehn Quadratkilometern würden fast 20 Prozent komplett abschmelzen.

Im Palcacocha in Peru sammelt sich Schmelzwasser von Andengletschern. Der Gletscherrandsee liegt 4500 Meter über dem Meeresspiegel.
Im Palcacocha in Peru sammelt sich Schmelzwasser von Andengletschern. Der Gletscherrandsee liegt 4500 Meter über dem Meeresspiegel.

© David Rounce

Ausgehend von den Klimazusagen der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow im Jahr 2021, auf deren Grundlage ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 2,7 Grad bis Ende des Jahrhunderts prognostiziert wurde, werden Gletscher in vielen Regionen nahezu ganz verschwinden. Dazu zählen laut der Studie die Gletscher in den europäischen Alpen, im westlichen Kanada, in den Vereinigten Staaten sowie in Neuseeland.

Die deutschen Gletscher sind nach Eisens Worten nicht mehr zu retten: „Das Thema ist durch.“ Im vergangenen Jahr sei mit dem Südlichen Schneeferner ein Gletscher weggeschmolzen, somit gebe es in Deutschland nur noch vier. „Die wird das gleiche Schicksal ereilen“, sagte Eisen. Wie schnell die Schmelze in Deutschland vorangehe, hänge lediglich von den Temperaturen in den kommenden Wintern ab. „Wenn wir solche Winter kriegen wie 2020 oder 2021, als es im Frühjahr kalt und nass war, dann werden sie vielleicht noch ein Jahrzehnt länger halten, aber die deutschen Gletscher werden 2050 vermutlich nicht erreichen.“

Bei einem durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg von vier Grad würden der Studie zufolge 83 Prozent aller Gletscher weltweit bis 2100 verschwinden. Das hätte dramatische Folgen. Denn das Schmelzen der Gletscher lässt den Meeresspiegel ansteigen. „Jeder Millimeter mehr Meeresspiegelanstieg führt zu mehr Überschwemmungen an den Küstengebieten, und die Gletscher sind einer der Hauptantriebe des Meeresspiegelanstiegs“, sagte Fabien Maussion von der Universität Innsbruck, Co-Autor der Studie.

Außerdem seien die Gletscher natürliche Süßwasserspeicher. „Wenn sie weg sind, heißt es zwar nicht, dass wir kein Wasser mehr haben, aber dass das Wasser nicht mehr dann kommt, wenn es benötigt wird – nämlich in trockenen, heißen Sommermonaten“, sagt Matthias Huss von der ETH Zürich, ebenso Co-Autor der Studie. Wenn das Eis weg sei, sei vor allem in Dürrephasen mit Wasserknappheit zu rechnen. „Das ist ein Problem für Bewässerung, Trinkwasser, Warentransport, Fauna und Flora und so weiter“, so Huss.

Trotzdem unterstreicht das Team um Rounce: Es sei durchaus möglich, die Schmelze durch sofortige und umfassende Klimaschutzmaßnahmen auf globaler Skala mittelfristig zu verlangsamen. „Auch wenn wir die Gletscher nicht so retten können, wie sie aktuell aussehen, bewirkt jedes Zehntelgrad eingesparter Erwärmung einen geringeren Rückgang und damit auch geringere negative Auswirkungen“, so Huss. Für Treibhausgase gilt: „Wir müssen die globalen Emissionen wirklich deutlich stärker reduzieren“, unterstreicht Maussion. (dpa)

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