zum Hauptinhalt
Vadyslav Atroshenko (re.), Bürgermeister von Tschernihiw, spricht mit einem Journalisten in der Nähe eines Einkaufszentrums, das durch Beschuss beschädigt wurde.

© Vladislav Savenok/AP/dpa

Krieg und Wiederaufbau in der Ukraine: Von den Russen befreit, aber zu 80 Prozent zerstört

Fast 40.000 Wohnungen sind in Tschernihiw zerstört oder stark beschädigt worden. Der Bürgermeister spricht über Kriegsschäden und erste Wiederaufbaumaßnahmen.

Fünf Wochen, vom 25. Februar bis 31. März, belagerte und beschoss russisches Militär Tschernihiw mit großkalibrigen Raketen, bevor die ukrainische Armee die Stadt befreien konnte. Die Gebietshauptstadt in der nordöstlichen Ukraine hatte vor dem Krieg rund 286.000 Einwohner, heute seien es 150.000, sagt Bürgermeister Vladislav Atroshenko in einem Telefonat mit dem Tagesspiegel.

„Tschernihiw hielt den Vormarsch russischer Truppen auf Kiew zurück und die Stadt erlitt erheblichen Schaden.“

Einst war Tschernihiw ein bedeutendes Zentrum der Kyivska Rus’, aus dieser historischen Zeit ist unter anderem die um 1036 erbaut Christi-Verklärungs-Kathedrale erhalten. Doch bis zu 80 Prozent der Stadt seien komplett oder gravierend zerstört, berichtet Atroshenko.

Von 75 Kindergärten blieben nur 15 verschont

Hier geben wir seine Aufzählung der Schäden wieder: „Zerstört sind das Gebäude der regionalen Abteilung des Sicherheitsdienstes der Ukraine, Polizeidienststellen, alle Krankenhäuser, das Jugendzentrum, die Hauptpost, der Friedhof, ein Baumarkt, Marktplätze, Hotels, die Universität, drei Bibliotheken, das Stadion, das Öldepot, das Wärmekraftwerk, die unterirdischen Versorgungsleitungen und die Infrastrukturen im Skigebiet.“

Ein Fahrzeug der Stadtwerke, an dem Einschusslöcher zu sehen sind.
Die Services der Stadtwerke von Tschernihiw werden aufrechterhalten - auch mit beschossenen Fahrzeugen.

© Wladislav Savenok/Stadtwerke Tschernihiw

[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]

Außerdem seien 16 Brücken in der ganzen Region Tschernihiw gesprengt worden. Von den 75 Kindergärten seien nur 15 nicht beschossen worden. Die Zahl der zerstörten und unbewohnbaren Wohnungen in seiner Stadt beziffert Atroshenko mit 37 649. „Bei 144 Häusern mit Volltreffern wird derzeit geprüft, ob es möglich ist, sie wiederaufzubauen. Dann werden weitere Entscheidungen getroffen“, sagt der Bürgermeister.

Erste Arbeiten an Versorgungsleitungen und Häusern

Über die Wiederaufbaupläne berichtet Atroshenko: „Sobald die Region Tschernihiw vom Angreifer befreit war, stellte uns der Staat Gelder aus dem Reservefonds für das Versorgungsunternehmen Tschernihiwvodokanal bereit.“ 150 Millionen Griwna (5,1 Millionen Dollar) solle das Unternehmen „für vorrangige Arbeiten“ an den Wasser, Gas- und Stromleitungen erhalten. Begonnen habe man damit, Dächer, Fenster und Vordächer der Wohnhäuser zu reparieren.

Ungefähr 30 Millionen Griwna wurden dafür aus dem Stadtbudget zugeteilt. Für den Wiederaufbau des gesamten zerstörten Wohnungsbestandes wären acht Milliarden Griwna (272 Millionen Dollar) nötig.

„Tschernihiw war immer eine saubere Stadt. Selbst während der Bombardierung entfernten die Arbeiter von Versorgungsunternehmen Müll und die Nachwirkungen der Bombardierungen“, sagt Atroshenko. Die Bürger hätten aber nicht auf externe Hilfe gewartet.

Wer überlebte und die Schutzräume kurz verlassen konnte, räumte Schutt und Glassplitter rund um die Wohnhäuser beiseite – um Korridore für die Hilfskräfte und für die alltägliche Versorgung zu schaffen. Die Zahl der Kriegstoten liegt offiziellen Angaben zufolge bei 700 Menschen.

Nadiia Kulish, die Autorin dieses Textes, stammt aus Tschernihiw und ist Gastjournalistin beim Tagesspiegel.

Nadiia Kulish

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false