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Wie von Geisterhand. Industrieroboter, hier beim Fräsen, tauschen untereinander Daten in Echtzeit aus. So können Werkstücke schnell und individuell gefertigt werden.

© Fraunhofer IPK

Digitalisierung in Berlin: Vorreiter der intelligenten Produktion

Die Stadt hat das Potenzial, internationale Drehscheibe für die „Industrie 4.0“ zu werden.

Mehr als 200 000 Kilometer Glasfaserkabel durchziehen Berlins digitales Kommunikationsnetz. Es ist deutschlandweit das größte. Rund 6500 Unternehmen der Informations- und Kreativwirtschaft generieren mit fast 72 000 Beschäftigten einen jährlichen Umsatz von 10,4 Milliarden Euro. 70 Internetprovider, 160 Netzbetreiber und rund 800 öffentliche W-Lan-Zugänge bieten ihre Dienste in der Hauptstadt an, und jedes zehnte Unternehmen der Digitalwirtschaft wird in Berlin gegründet. „Die Industrie wird immer digitaler“, sagt TU-Professor Eckart Uhlmann. „Es gibt kaum eine Region in Deutschland, die für Unternehmen der Informations- und Kommunikationsbranche so attraktiv ist wie Berlin.“

Uhlmann leitet das Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb der TU Berlin sowie das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK, Herzstück der „Fabrik der Zukunft“, dem Produktionstechnischen Zentrum in Charlottenburg. Er hat mit einem Forscherteam das Potenzial analysiert, das Berlin bietet, um zum wichtigsten deutschen Player für die Digitalwirtschaft aufzusteigen. Am Fraunhofer IPK arbeitet er zusammen mit Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer an einem Strategiepapier, um Berlin zur internationalen Drehscheibe für innovative Konzepte und smarte Lösungen für vernetzte Unternehmen und Produktion zu entwickeln – zum Leitanbieter der „Industrie 4.0“.

Der Vernetzungsgrad erhöht sich rasant

Doch was ist eigentlich „Industrie 4.0“? Der Begriff taucht in jüngster Zeit zusammen mit dem „Internet der Dinge“ überall auf. Unternehmer wissen, dass sie ihre Firma digital aufrüsten müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben, doch wie das genau funktionieren soll, das ist vielen nicht klar. Rund die Hälfte deutscher, österreichischer und schweizerischer Entscheidungsträger hat laut einer Untersuchung noch nie etwas von „Industrie 4.0“ gehört. Etwa ein Viertel kennt den Begriff, kann aber nichts damit anfangen, und nur ein Viertel weiß, dass es sich dabei um die immer weiter reichende digitale Vernetzung von so genannten Wertschöpfungsketten handelt. „Der Begriff leitet sich ab von der ,Vierten Industriellen Revolution’, die derzeit in unserer Wirtschaft stattfindet“, erklärt der Ingenieur Uhlmann. „Die Globalisierung hält an und der Vernetzungsgrad erhöht sich rasant. In der Produktion und in der Logistik wächst die Datenflut und sie wandelt sich hin zu Produktions- und Logistiksystemen, die sich in Echtzeit vernetzen und sich mithilfe des Internet selbst optimieren.“

Die erste Industrielle Revolution erschütterte Europa, als Ende des 18. Jahrhunderts mithilfe von Dampf- und Wasserkraft mechanische Produktionsanlagen wie zum Beispiel Webstühle eingeführt wurden, die der reinen Handarbeit weit überlegen waren. Die zweite Industrielle Revolution wurde von der flächendeckenden Elektrifizierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgelöst. Sie führte zu arbeitsteiliger Massenproduktion. Rund 100 Jahre später läutete die Entwicklung von Elektronik und ersten Speichermedien mit der Automatisierungs- und Robotertechnik die dritte Industrielle Revolution ein.

Im Produktionstechnischen Zentrum wird die Industriewelt von morgen erprobt

Heute stehen wir an der Schwelle zur vierten Industriellen Revolution, die mit sogenannten „Cyber Physical Systems“ arbeitet, deren Systeme sich internetbasiert vernetzen. Sie können Meldungen über ihren eigenen Zustand abgeben, Materialnachschub ordern, Daten austauschen und vieles mehr. Die intelligente Fertigung ist ein Zusammenwachsen von industrieller Produktion und Informationstechnologie.

Im 3000 Quadratmeter großen runden Versuchsfeld des Produktionstechnischen Zentrums wird in 70 angrenzenden Laboren und fünf großen Projekten die Industriewelt von morgen erprobt. „Wir vernetzen hier in einer Miniatur-Modellfabrik alle Produktionsbereiche miteinander. Alle Komponenten werden intelligent. Sie erfassen Daten, verarbeiten diese und kommunizieren sie weiter. Die Produktionsabläufe organisieren sich letztlich selber.“

Berlin hat das Potenzial für die Industrie 4.0

Um vom Modell zur Realität zu kommen, werden aber nicht nur technologisches Know-how, sondern vor allem auch viele Fachkräfte benötigt, die Deutschland bislang noch nicht aufweisen kann. „Wenn sich Berlin im Wettbewerb der Regionen einen Platz sichern will, müssen wir schnellstens eine Strategie aufstellen und die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen“, sagt Uhlmann. „Dazu gehört natürlich auch die universitäre Ausbildung.“ Mit den sieben Fraunhofer-Einrichtungen, die durch die „Doppelprofessuren“ mit der TU Berlin verbunden sind, habe Berlin ein Potenzial, das kaum ein anderes Bundesland aufweisen kann. „Damit können wir Transferprojekte mit der Wirtschaft bearbeiten und smarte Lösungen für konkrete Probleme entwickeln. Gleichzeitig werden Studierende an der TU Berlin projektnah ausgebildet.“

Für Uhlmann ist die Einführung und Nutzung von Informationstechnologien im Sinne der Industrie 4.0 ein Muss zur Standortsicherung. „Berlin hat das Potenzial dafür“, sagt der Forscher. „Deshalb ist es für Berlin jetzt der richtige Zeitpunkt, das von uns vorgeschlagene Kompetenz- und Anwendungszentrum ,Industrie 4.0’ zu etablieren, und die Industrie auf dem Weg in die Zukunft zu unterstützen.“ Patricia Pätzold

Patricia Pätzold

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