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Interview: „Zentren behandeln Krebs besser“

Wolff Schmiegel plädiert für Teamarbeit im Kampf gegen die Krebskrankheit – und Hausärzte als Nachsorger

Morgen beginnt der 29. Deutsche Krebskongress in Berlin. Wenn man sich das Programm anschaut, fällt auf, dass dort die Frage nach neuen Strukturen, nach Zentren und Konzepten großen Raum einnimmt.

Auf dem Kongress soll ein Zwischenbericht zum Nationalen Krebsplan gegeben werden, den das Bundesgesundheitsministerium mit der Deutschen Krebsgesellschaft und anderen erarbeitet hat. In diesem Plan werden neue, zukunftsorientierte Strukturen entwickelt. Das tun wir nicht, um die Bürokratie zu erhöhen. Es geht vielmehr darum, dass ein Krebskranker sicher sein kann, das modernste Wissen, die modernste und vor allem eine zwischen den beteiligten Fachrichtungen abgestimmte Behandlung zu bekommen.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Es gibt Tumoren, bei denen die Heilungschancen steigen, wenn sie vor der Operation mit einer Chemotherapie, einer Strahlentherapie oder einer Kombination aus beidem behandelt werden. Wir nennen das multimodale Therapie, und es setzt sich bei vielen Krebsformen immer mehr durch. Krebs ist eine facettenreiche Erkrankung. Wir wissen heute, dass bei den meisten Krebserkrankungen nicht ein einzelner Arzt die Behandlung alleine planen und durchführen kann. Das geht nur im Team.

An wen kann man sich wenden?

Nach Möglichkeit an ein zertifiziertes Zentrum. Denn speziell dort kann man den Patienten eine solche abgestimmte, an Leitlinien orientierte, interdisziplinäre Therapie bieten. Wir haben in Deutschland zum Beispiel bereits eine größere Anzahl von zertifizierten Brust- und Darmzentren, die im Jahresrhythmus vom „TÜV“ der Deutschen Krebsgesellschaft geprüft werden.

Ist denn bewiesen, dass die Zentren für die Behandlung wirklich etwas bringen?

Neun Jahre nachdem in Nordrhein-Westfalen die ersten Brustkrebszentren eröffnet wurden, wurden vom BQS-Institut für Qualität und Patientensicherheit die Daten von Frauen verglichen, die in zertifizierten und nicht-zertifizierten Einrichtungen behandelt worden sind. Dabei kam heraus: Zertifizierte Zentren haben bessere Ergebnisse. Das Konzept, die Behandlung neu zu strukturieren, wirkt also. Die Zentren geben den Patienten die Sicherheit, von einem interdisziplinären Team nach neuestem Wissen behandelt zu werden. In diesen Einrichtungen bekommen sie alles aus einer Hand.

Trotzdem klagen viele Patienten, dass sie niemanden haben, der sie über den ganzen komplizierten Behandlungsweg hinweg begleitet. Brauchen wir dafür Lotsen?

Leider haben wir sie bisher nur in wenigen Einrichtungen. Ein Webfehler des Systems ist, dass kein Geld für Betreuer da ist, die eigens dafür eingestellt werden, dass sie die Patienten innerhalb des Zentrums von Etappe zu Etappe begleiten. Wir sind darauf angewiesen, dass der Patient von einer Behandlung zur nächsten vermittelt wird und das auch wie aus einer Hand erfährt. Im Moment übernehmen oft engagierte Pflege- oder Dokumentationskräfte einen Teil dieser Begleitung. Im Nationalen Krebsplan geht es auch um die Stärkung der Patienteninteressen in diesem Punkt.

Über welche Verbesserungen in der Therapie selbst wird diskutiert werden?

Jedes Jahr erkranken in Deutschland 430 000 Menschen neu an Krebs. Wir wissen, dass wir die Behandlung in allen Bereichen verbessern können. Was die Chirurgie betrifft, so hat sich gezeigt, dass eine verfeinerte Operationsmethode, die zuerst bei Mastdarmkrebs angewandt wurde, auch bei anderen Formen von Darmkrebs bessere Ergebnisse bringt. In der Strahlentherapie bringt die Computersteuerung einen ähnlichen Fortschritt: Sie ist schonender, genauer und führt zu besseren Ergebnissen. Bei den Medikamenten verbessert der Einsatz von Antikörpern oder kleinen Molekülen die Ansprechbarkeit des Tumors.

Was versprechen Sie sich von diesen neuen Medikamenten?

Die größte Herausforderung liegt nicht in der Entwicklung und Anwendung von immer mehr neuen Medikamenten. Viel wichtiger ist es, herauszufinden, wem sie wirklich nützen. Dafür müssen wir unsere Diagnostik verfeinern. Biomarker geben uns wichtige Hinweise, sie sollen uns helfen, die Behandlung zu personalisieren.

Ein Beispiel?

In meinem Fachgebiet hat sich die Behandlung von Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium durch zielgerichtete Substanzen entscheidend verbessert. Sie greifen an wichtigen Schaltstellen im Tumorgewebe an. Die Substanz Bevacizumab hemmt zum Beispiel die Bildung neuer Blutgefäße, Cetuximab und Panitumumab blockieren das Tumorwachstum. Aber diese Wachstumsblocker haben nur Aussicht auf Erfolg, wenn im Tumor ein Biomarker namens k-ras in intakter Form vorhanden ist. Nur wenn dieses Eiweiß in der normalen Form vorliegt, kann der Signalweg durch eine Wachstumsblockade mit Antikörpern erfolgreich gestoppt werden. Bei etwa 40 Prozent der Darmkrebspatienten liegt es allerdings in veränderter Form vor, dann helfen die Substanzen nicht. Wir sind noch auf der Suche nach Markern, die es erlauben, auch die Erfolgschancen der anderen Strategie, der Hemmung der Gefäßneubildung, besser einzuschätzen.

Wird die Behandlung durch die neuen Substanzen automatisch immer teurer?

Wir müssen ein scharfes Auge darauf richten, was in der Krebstherapie wirklich sinnvoll ist. Auch die Zulassungsbehörden reagieren auf neue Studiendaten und knüpfen die Zulassung dann an die Bedingung, dass vorher bestimmte Untersuchungen gemacht worden sind.

Der Kongress widmet sich auch der Behandlung nach der Behandlung, wenn der Krebs hoffentlich überstanden ist. Welche Defizite sehen Sie?

Hier leisten im Moment die Landeskrebsgesellschaften mit ihren psychosozialen Beratungsstellen Vorbildliches. Das ist sehr wichtig, es ist meiner Ansicht nach aber noch nicht die Lösung des gesamten Problems. Auf unserem diesjährigen Kongress werden wir deshalb erstmals die Hausärzte besonders intensiv einbinden. Menschen, die eine Krebserkrankung durchgemacht haben, kommen ja auch danach mit vielen Problemen. Da sind einerseits die Folgen von Chemo- oder Strahlentherapien, andererseits aber auch Ängste und ungelöste seelische Konflikte. Der Hausarzt sollte das erkennen und die richtige Hilfe vermitteln können. Dazu kommt, dass es besonders für diese Patienten wichtig ist, die Krebsfrüherkennung besonders intensiv zu nutzen. Hier fehlen noch Leitlinien und ein strukturiertes Vorgehen. Dabei geht es um vier bis fünf Millionen Menschen, die Krebs überstanden haben: Das ist ein großer Anteil der Bevölkerung, und er wird weiter wachsen.

Das Gespräch führte Adelheid Müller-Lissner.

WOLFF SCHMIEGEL ist Gastroenterologe an der Uniklinik Bochum und Präsident des Deutschen Krebskongresses.Dieser findet vom 24. bis 27. Februar im Berliner ICC statt.

Interview von Adelheid Müller-Lissner

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