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Familienzusammenhalt. Vor den Feierlichkeiten zum Opferfest Eid al-Adha, einem der wichtigsten muslimischen Feste, drängen sich Menschen am Bahnhof von Dhaka, Bangladesch, um sich auf den Weg in ihre Heimatdörfer zu machen.

© picture alliance / AA

Zusammenhalt und Kommunikation: Das universale Band des Teilens

Ein Forschungsprojekt untersucht, welche Vorstellungen von Zusammenleben Menschen im globalen Süden haben.

Von Jonas Krumbein

„So fremd, wie es manchmal scheint“, sagt die Politikwissenschaftlerin Schirin Amir-Moazami, die an der Freien Universität als Professorin für Islam in Europa forscht, „sind die Wissensbestände des globalen Südens den Menschen in Europa gar nicht.“ Im Zuge des Kolonialismus seien schließlich Menschen aus Europa in nahezu alle Gegenden der Welt vorgedrungen. Dort setzten sie allerdings bis heute ihre eigenen Normen durch. Das Forschungsteam von RePLITO möchte daher den Blick mit seinem Projekt „Beyond Social Cohesion – Global Repertoires of Living Together“ erweitern. Wie denken und leben Menschen im globalen Süden den Begriff Gemeinschaft, wie knüpfen sie Beziehungen?

Nicht nur das Zusammenleben von Menschen untereinander interessiert Schirin Amir-Moazami und ihre Kolleginnen und Kollegen aus Geistes- und Sozialwissenschaften sowie Regionalstudien von Freier Universität Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin. Das Team interessiert sich auch für Konzepte des Zusammenlebens mit Tieren und mit Pflanzen in Ökosystemen. „Weil wir abhängig von der Natur und die Ressourcen nicht endlos sind“, sagt Schirin Amir-Moazami, „müssen wir dieses Zusammenleben gerechter gestalten.“ Klima- und Migrationskrisen zeigten: Das westlich-industrielle Modell von Wohlstand aus Ausbeutung stoße an Grenzen.

Uns interessieren Konzepte, die aus Gesellschaften heraus entstehen

Schirin Amir-Moazami

Möglich macht das interdisziplinäre und universitätsübergreifende Forschungsprojekt RePLITO die Berlin University Alliance (BUA). Der Verbund von Freier Universität, Humboldt-Universität zu Berlin, Technischer Universität Berlin und Charité – Universitätsmedizin Berlin fördert Forschung zu globalen Herausforderungen wie weltweiten Gesundheitsfragen. Im Rahmen der „Grand Challenge Initiative Social Cohesion“ unterstützt die BUA das Forschungsprojekt, in dem Voraussetzungen, Dynamiken und Wirkungsweisen von sozialem Zusammenhalt untersucht werden.

Die BUA-Förderung für das Projekt in gemeinsamer Sprecherschaft von Freier Universität Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin ist breit angelegt. So haben Schirin Amir-Moazami und ihre Kolleginnen und Kollegen den Freiraum, über ein ursprünglich europäisch geprägtes Grundverständnis sozialen Zusammenhalts hinaus zu denken.

Diese Erweiterung des Forschungsfelds ist Schirin Amir-Moazami wichtig: „Wir haben in unseren Untersuchungen zur Begriffsgeschichte von sozialem Zusammenhalt festgestellt, dass der Begriff in Europa geprägt wurde und historisch mit der Formierung und Krise des Nationalstaates zusammenfällt“, erklärt sie und fügt hinzu: „Nationalstaaten schließen qua definitionem immer auch Menschen aus. Wir arbeiten daher auch mit dem Begriff des Zusammenlebens. Uns interessieren Konzepte, die aus Gesellschaften heraus entstehen, also gewissermaßen von unten kommen.“

Die Lebensphilosophie Ubuntu setzt auf gegenseitigen Respekt

Interessiert sind sie an Konzepten wie Ubuntu, einer Lebensphilosophie des südlichen Afrikas, die auf wechselseitigen Respekt und Anerkennung setzt, auf Achtung der Menschenwürde und auf das Bestreben nach einer harmonischen und friedlichen Gesellschaft, aber auch auf den Glauben an ein universelles Band des Teilens, das alles Menschliche und das Menschliche mit der Natur verbindet.

Wie die Grand Challenge Social Cohesion insgesamt, so besteht auch RePLITO aus verschiedenen, miteinander verknüpften Teilprojekten. In einem etwa untersucht die transdisziplinär arbeitende Rechtswissenschaftlerin Juliana Moreira Streva von der Freien Universität Berlin Feminismen schwarzer Frauen in Lateinamerika. Sie interessiert sich dafür, wie marginalisierte Minderheiten Ausgrenzung und Rassismus infrage stellen.

Als teilnehmende Beobachterin erforscht die Wissenschaftlerin Widerstandshandlungen etwa in Form von künstlerischer Produktion wie Poesie oder Film. Moreira Strevas stehe damit für das Bestreben vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im RePLITO-Projekt, Menschen nicht als Objekte von Forschung zu verstehen, sondern als Partner im Prozess der Erkenntnis, sagt Amir-Moazami. Sozialwissenschaftliche Fragebögen etwa entstehen so nicht in erster Linie am Schreibtisch, sondern aus einem Erkenntnisinteresse, das die Fragen und Anliegen einbezieht. Über die Teilprojekte hinausweisende Forschungsergebnisse sollen bis Ende 2023 vorliegen.

Für den Inhalt dieses Textes ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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