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Türkische Spezialkräfte nehmen nach dem gescheiterten Putsch in Istanbul Soldaten fest.

© Ozan Kose/AFP

Update

Nach Putschversuch in der Türkei: Bereits 6000 Festnahmen bei "Säuberungsaktionen"

Der versuchte Umsturz in der Türkei kostet fast 3000 Richter das Amt, zahlreiche sind in Haft. Richterbund wirft Erdogan Ausschaltung von Kritikern vor. Zahl der Toten erhöht sich auf mehr als 290.

Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei ist die Zahl der Festnahmen nach Angaben der Regierung auf rund 6000 gestiegen. Diese Zahl werde sich noch erhöhen, sagte Justizminister Bekir Bozdag am Sonntag in Ankara, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Die "Säuberungsaktionen" gingen weiter. Bis Samstagabend waren der Regierung zufolge 2839 Putschisten aus den Reihen der Streitkräfte in Haft gekommen. Bei dem versuchten Umsturz in der Nacht zum Samstag waren nach Angaben des türkischen Außenministeriums vom Sonntag mehr als 290 Menschen getötet worden.

In erheblichem Maße treffen die Maßnahmen die Justiz. Anadolu zufolge sind 2745 Richter ihres Amtes enthoben worden. Der Sender CNN Türk meldete am Samstagabend, der Verfassungsrichter Alparslan Altan sei festgenommen worden; aus Regierungskreisen verlautete, auch sein Kollege Erdal Tezcan sei in Gewahrsam genommen worden - wie zuvor schon zehn Mitglieder des türkischen Staatsrats und fünf Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte.

Aus lokalen Medien wurde in der Nacht zu Sonntag bekannt, dass zudem gegen 140 Richter und Staatsanwälte in der Türkei Festnahmebefehle ergangen sind. Mehrere Medien berichteten, dass die Richter und Staatsanwälte aus Istanbul der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und Beteiligung am Putschversuch beschuldigt würden. Den Berichten zufolge sollen ihre Wohnungen und Büros durchsucht werden.

Die Nachrichtenagentur Dogan sprach von 136 festgenommenen Richtern bei Einsätzen in den Städten Konya und Gaziantep. Die Ermittlungen werden von der Staatsanwaltschaft in Ankara geleitet. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, Anhänger des im US-Exil lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen zu sein. Die türkische Regierung macht den Erzfeind von Präsident Recep Tayyip Erdogan für den versuchten Militärputsch verantwortlich. Der Kleriker weist diesen Vorwurf entschieden zurück.

Das Verfassungsgericht mit seinen 17 Richtern gilt als Gegengewicht zur islamisch-konservativen Regierung von Staatschef Erdogan.

Der Chef der Richtergewerkschaft Yargiclar, Mustafa Karadag, warf der türkischen Führung vor, mit dem Vorgehen gegen die Justiz nach dem Putschversuch auch Kritiker ausschalten zu wollen. Es würden nicht nur mutmaßliche Unterstützer des Putsches, sondern auch Kritiker von Präsident Recep Tayyip Erdogan festgenommen, die mit all dem nichts zu tun hätten, sagte Karadag der Deutschen Presse-Agentur. Nach Angaben des Gewerkschaftschefs gibt es in der ganzen Türkei schätzungsweise etwa 14.500 bis 15.000 Richter.

Das türkische Parlament hatte erst kürzlich für eine umstrittene Justizreform gestimmt, die zwei der höchsten Gerichte des Landes betrifft. Kritiker werfen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vor, die Justiz immer weiter unter seine Kontrolle bringen zu wollen.

Obama, Merkel und Gauck rufen zu rechtsstaatlichem Handeln auf

Regierungschefs und Präsidenten westlicher Demokratien verlangten die Achtung des Rechtsstaats. US-Präsident Barack Obama rief alle Parteien in der Türkei zu „gesetzmäßigem Handeln“ auf. Kanzlerin Angela Merkel verurteilte den Putschversuch „aufs Schärfste“, mahnte aber zugleich die Einhaltung demokratischer Werte bei der Verfolgung der Urheber an. „Gerade im Umgang mit den Verantwortlichen für die tragischen Ereignisse der letzten Nacht kann und sollte sich der Rechtsstaat beweisen.“ Die Demokratie achte die Rechte aller und sei die beste Grundlage dafür.

Auch Bundespräsident Joachim Gauck erklärte: „Meine Erwartung an die türkische Regierung besteht darin, dass bei der Aufarbeitung dieses ganzen Geschehens die rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätze gewahrt werden.“

Erdogan bekräftigte nach der chaotischen Putschnacht am Samstagmorgen in Istanbul: „Die Türkei wird nicht vom Militär regiert.“ Er kündigte an, die Streitkräfte „vollständig zu säubern“. Erdogan sagte, bei den Putschisten handele es sich um eine Minderheit im Militär. Fünf Generäle und 29 Oberste sollen nach Angaben aus Regierungskreisen ihrer Posten enthoben worden sein. (dpa, AFP)

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