
© Andreas Klaer
Umstrittene „Correctiv“-Enthüllung zur „Remigration“: Ein Urteil über einen Fall, zu dem jeder seine Wahrheit hat
Anfang 2024 berichtete „Correctiv“ über ein Treffen Rechter in Potsdam und einen angeblichen „Masterplan zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern“. Am Freitag befasst sich das Hamburger Landgericht mit dem Inhalt.
Stand:
Eine Schlagzeile mit Folgen. „Geheimplan gegen Deutschland“ stand über einer Reportage der Rechercheplattform „Correctiv“. Der Anfang 2024 erschienene Bericht erzählt von einer privaten Konferenz in Potsdam, bei der unter anderem AfD-Politiker auf den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner trafen.
Eine Enthüllung, die mit dem dadurch bekannt gewordenen Schlagwort „Remigration“ Hunderttausende auf die Straße trieb, um gegen Rechtspopulismus und AfD zu demonstrieren – und ein Schub in der Debatte um ein Parteiverbot für die AfD.
Die Reportage erweckte den Eindruck, in dem Potsdamer Hotel sei die massenhafte Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund verabredet worden. Und das, obwohl sie deutsche Staatsangehörige sind. Entsprechend schockiert reagierten Politik und Medien.

© AFP/Alex Halada
Der ungewöhnlich starken Resonanz folgte eine Vielzahl juristischer Auseinandersetzungen. Denn viele Medien entnahmen dem Text, der vorgebliche „Masterplan“ betreffe die förmliche Ausweisung, wenn nicht sogar eine von Staats wegen angeordnete „Deportation“ Millionen Deutscher.
Dagegen wehrten sich Konferenzteilnehmer vor Gericht oder mit Unterlassungsforderungen. Denn nach ihrer Darstellung – die sich mit dem „Correctiv“-Bericht durchaus teilweise deckt – habe Sellner davon gesprochen, gegen aus seiner Sicht nicht assimilierte Migranten mit „maßgeschneiderten Gesetzen“ Druck auszuüben. Mit anderen Worten: Sie sollen von selbst gehen, nicht mit Zwangsmitteln ausgewiesen werden.
„Correctiv-Lüge“, heißt es in rechten Kreisen
Eine Unterscheidung, die von der Justiz vielfach nachvollzogen werden konnte. Zudem gab es weitere Wiedergaben in Medienberichten, die erfolgreich beanstandet wurden, und „Correctiv“ selbst nahm Textanpassungen vor. Im stark rechten Milieu ist deshalb mittlerweile die Rede von der „Correctiv-Lüge“ verbreitet; ein harmloses Treffen politisch interessierter Migrationsskeptiker sei zu einem Anschlag auf die Verfassungsordnung verzerrt worden.
Vor dem Landgericht Hamburg greifen nun der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau und der Initiator des Treffens, der Zahnarzt Gernot Mörig, direkt verschiedene Passagen im „Correctiv“-Text an. Beide waren in Potsdam mit dabei, Vosgerau ist der aktivste Kläger im juristischen Feldzug gegen die Medien.
Was Sellner entwirft, erinnert an eine alte Idee: 1940 planten die Nationalsozialisten, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren.
Die Rechercheplattform „Correctiv“ in ihrer Reportage „Geheimplan gegen Deutschland“ zu den Thesen des Rechtsextremisten Martin Sellner
Im Zentrum steht eine Behauptung aus dem Ende des Textes: „Es bleiben [sic!] zurück […] ein ,Masterplan’ zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern; also ein Plan, um die Artikel 3, Artikel 16 und Artikel 21 des Grundgesetzes zu unterlaufen.“
Das, was da zurückbleibt, sehen die Beklagten allerdings nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Resümee ihrer Reportage. Eine – zulässige – Wertung also, keine sachliche Falschaussage. Sellners Konzept der „Remigration“ laufe letztlich darauf hinaus, dass Migranten, ob Ausländer oder mit deutschem Pass, in verfassungswidriger Weise außer Landes getrieben werden sollen.
Dafür beruft sich „Correctiv“ auch auf das Urteil im Verfahren zum gescheiterten Verbot des „Compact“-Magazins des Rechtsextremisten Jürgen Elsässer. Der hatte Sellner immer wieder eine Plattform geboten.
Tatsächlich brandmarkten die Bundesrichter Sellners Forderungen als menschenwürdewidrig, weil er „nicht jeden Staatsbürger in der rechtlich verfassten Gemeinschaft als gleichberechtigt anerkennt“. Sellners Vorstellungen missachteten das „egalitäre Verständnis der Staatsangehörigkeit, weil sie für Deutsche mit Migrationshintergrund einen rechtlich abgewerteten Status vorsehen“.
Nach der mündlichen Verhandlung vor dem Hamburger Landgericht im November dürfen die Rechercheure nun guter Hoffnung sein, dass die Klagen abgewiesen werden. Das Gericht ließ deutliche Tendenzen erkennen, die im Text als „Epilog“ angekündigte Aussage zum „Masterplan“ als Meinungsäußerung einzuordnen.
Die Rede von der angeblich geplanten „Ausweisung deutscher Staatsbürger“ und Sellners „Ausbürgerungsidee“, die vor zwei Jahren so viel Empörung ausgelöst hat, wäre dann nur die wertende Umschreibung dafür gewesen, dass Sellners schon länger bekannte Thesen in Potsdam Zuhörer und möglicherweise auch einen gewissen Anklang fanden. Sachlich wenig Neues also. Medien, die aus der angeblichen „Ausweisung“ harte Fakten machten, hätten dagegen Pech gehabt – sie hätten den Text genauer studieren sollen.
Ohnehin wird der juristische Streit weitergehen. „Correctiv“ wird Erfolge als Bestätigung dafür sehen, wie wahr alles sei, was in der Reportage stand; die Gegenseite wird jede gewonnene Klage als Beleg verkaufen, wie groß die Lüge war.
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