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Protest mit Puppe. Immer wieder wird auch am Brandenburger Tor auf die Opfer von Zwangsprostitution aufmerksam gemacht. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Huren in Berlin: Freiwillig oder unter Zwang?

Alice Schwarzers "Appell gegen Prostitution" hat eine Debatte ausgelöst: Arbeiten Huren freiwillig oder unter Zwang? In Berlin gibt es beide Phänomene – und viel Kriminalität.

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Berlins Huren sind gespalten. „Dieser Appell von Alice Schwarzer gegen Prostitution wirft uns um Jahre zurück“, sagt Nadine S., die sich vor einigen Jahren als Sexarbeiterin selbstständig gemacht hat und glücklich ist. „Meine Kunden sind zu 99 Prozent sehr anständige Menschen“, sagt sie, „es wäre absurd, sie oder mich durch ein Verbot der Prostitution zu kriminalisieren, zumal sie mich als Liebesexpertin schätzen und respektvoll behandeln“.

Dobrinka L. hat da durchaus andere Erfahrungen gemacht. „Ich würde lieber als Putzfrau arbeiten“, sagt die 34-jährige Bulgarin, die seit zwei Jahren in Neukölln anschaffen geht, ihre Kunden sind oft türkische Männer. „Mein einziger Trost ist, dass meine beiden Töchter hier in Berlin in die Schule gehen“, sagt sie. „Vielleicht können sie einen guten Beruf lernen.“ Für Jana Weber vom Berufsverband für sexuelle und erotische Dienstleistungen ist ihr Beruf ein guter. „Das Bild, das gegenwärtig von Politikern und manchen Prominenten verbreitet wird, ist falsch“, sagt sie. „Es gibt Fälle von Menschenhandel, aber hier werden nicht hunderttausend Frauen sexuell geknechtet.“

Ähnlich sieht man das bei Hydra e.V. – einem Verein, der seit 33 Jahren Prostituierte in Berlin berät. Zwischen 6000 und 8000 sollen es momentan sein, heißt es bei Hydra. Und weitaus mehr als die aktuelle Debatte interessiere die Ratsuchenden, dass viele Jobcenter keine Leistungen zahlen, weil sie bezweifeln, dass die Frauen selbstständig arbeiten. Auf höchstens drei Prozent schätzt man in der Beratungsstelle die Zahl der Frauen, die zum Anschaffen gezwungen werden.

Billigmarkt statt Luxusprostitution

Ob in einem Wohnungsbordell, im Massagesalon, einem Großpuff oder auf dem Straßenstrich – in Berlin herrscht keine „Luxusprostitution“, sondern ein „Billigmarkt“, schildert Leonie von Braun, zuständig für Menschenhandel und Zwangsprostitution bei der Staatsanwaltschaft. Gerade 20 Euro müssten die Freier für Oralverkehr auf dem Straßenstrich rund um die Kurfürstenstraße oder Bülowstraße in Tiergarten und Schöneberg-Nord zahlen. Der Geschlechtsverkehr kostet rund 30 Euro, meist benutzen die Freier kein Kondom. Wer im „Escort-Service“ den Kunden nach Hause begleitet oder in einem Wohnungsbordell bedient, verlange im Schnitt 100 Euro.

Drohungen und Gewalt

Die Spezialermittler für Rotlichtkriminalität beim Landeskriminalamt und der Staatsanwaltschaft kümmern sich um Zwangsprostitution und Menschenhandel – also solche Fälle, in denen Frauen mutmaßlich gezwungen werden, sich für Sex zu verkaufen oder wenn minderjährige Mädchen missbraucht und dafür nach Deutschland verschleppt werden. Wie schon seit Jahren stammen die meisten Frauen aus Rumänien und Bulgarien. Ihnen werden von Landsleuten Jobs als Pflegekraft versprochen – sie dann aber mit Drohungen und Gewalt zur Prostitution gezwungen. Eine neuere Masche sei das „Loverboy“-Phänomen: Anwerber spielten den Frauen vor, unsterblich in sie verliebt zu sein und eine Familie gründen zu wollen. Hier angekommen entpuppt sich der „Loverboy“ dann als Zuhälter. Zahlen, wie viele Frauen hier zum Sex gezwungen werden, kann von Braun nicht nennen. Nur selten vertrauen sich die Opfer der Polizei an und sagen aus. Seit fünf Jahren registrieren die Behörden auch zunehmend Nigerianerinnen, die mit falschen Papieren ausgestattet in Bordellen anschaffen müssen. Sie werden gefügig gemacht, in dem ihnen gedroht wird, dass der Voodoo-Priester sie auch aus der Ferne jederzeit mit Tod und Gebrechen bestrafen könne.

Für Nadine Schmidt sind das schlimme Auswüchse, die aber mit dem „eigentlichen Gewerbe“ nichts zu tun haben. „Leider gibt es Menschenhandel, doch warum redet niemand über die Leute auf dem Bau, in der Gastronomie oder in Privathaushalten?“, fragt sie. „Es ist heuchlerisch, das nur auf unsere Branche zu beziehen und nicht auf das Wohlstandsgefälle in Europa und in der Welt.“

Lesen Sie hier ein Interview mit einer Berliner Prostituierten.

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