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BVV-Vorsteher Peter Groos vereidigt 2016 Bernd Geschanowski (AfD) zum Bezirksstadtrat für Gesundheit und Umwelt

© Theo Schneider

Neue Stadträte für Berlins Bezirke: ... und keiner fragt nach Expertise

Um einen Stadtratsposten zu bekommen, braucht es kein Wissen oder Können. Das gefährdet politische Prozesse. Ein Kommentar.

Thomas Loy
Ein Kommentar von Thomas Loy

Stand:

Mehr als 8000 Euro verdient ein Stadtrat in den Berliner Bezirken. Das ist schon mal ein attraktives Einstiegsgehalt für die Laufbahn als Berufspolitiker. Am Donnerstag wurden die ersten Stadträte in den zwölf Bezirken für fünf Jahre gewählt. Notwendige fachliche Qualifikationen der Bewerber: keine.

Stadträte werden von ihrer Partei nominiert und anschließend vom Bezirksparlament gewählt. Der Proporz gewährt allen größeren Fraktionen einen Stadtratsposten, bei der Wahl gilt das Prinzip: Wählst du meinen, wähl’ ich deinen. Man lässt die Kandidaten der anderen Fraktionen in der Regel nicht durchfallen.

So kam vor fünf Jahren der gelernte Schiffsbauer und ehemalige Werkstattleiter (Heizung/Sanitär) Bernd Geschanowski in Treptow-Köpenick an den gutbezahlten Verwaltungsposten, die AfD hatte ihn nominiert. Die Mehrheitsfraktionen von SPD und Linke schanzten dem Handwerker die Abteilungen Gesundheit und Umweltschutz zu, da könne er nicht viel Schaden anrichten, so die Hoffnung. Mit einer Pandemie konnte ja niemand rechnen.

Die Bilanz nach fünf Jahren sieht gar nicht mal schlecht aus, zumindest aus Sicht der anderen Parteien. Geschanowski verfolgte keine politischen Ziele, hielt sich aus Debatten meist heraus. Er hat auch nichts im Sinne des AfD-Programms verändert, etwa Bäume abholzen lassen, um mehr Platz für Autos zu schaffen. Die Amtsleiter haben unter ihm einfach so weitergemacht, wie sie es für richtig hielten.

Mit seinem Pandemiebeauftragten überwarf sich Geschanowski bald, weil der ihm öffentlich Rassismus vorhielt. Doch selbst dieser Skandal änderte wenig an der praktischen Arbeit im Gesundheitsamt.

[Lesen Sie weiter bei Tagesspiegel Plus: Großes Stühlerücken in den Bezirken. Berlin sucht neue Bildungsstadträte – fast alle alten müssen gehen]

Der Steuerzahler hat also mehr als eine halbe Million Euro in einen Amtsträger investiert, der mit Anwesenheit glänzte, aber inhaltlich wenig bis gar nichts beizutragen hatte. Die AfD hat ihn trotzdem für die nächsten fünf Jahre nominiert, diesmal wird er wohl das Ordnungsamt übernehmen.

Warum nicht wie in Niedersachsen: Expertise statt Postenschacherei

Auch andere Parteien versorgen lieber eifrige Parteitagsredner und verdiente Mehrheitsbeschaffer mit Stadtratsposten als geschulte Experten, die wissen, wie man in einer eingespielten Verwaltung neues Denken und Handeln befördert.

Die alten und neuen Senats-Koalitionäre verhandeln gerade über eine Verwaltungssreform für Berlin. Da sollten sie mal nach Niedersachsen schauen. Dort werden Stadtratsposten regulär ausgeschrieben, ein direkt gewählter Oberbürgermeister wählt dann die am besten geeigneten Bewerber aus.

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So viel Unabhängigkeit von den gewählten Parteien im Kommunalparlament muss nicht unbedingt sinnvoll sein. Schließlich bringt es nichts, wenn die Verwaltung die Beschlüsse der Volksvertreter mit Verweis auf einen engen Gesetzesrahmen und die begrenzte Personalstärke einfach aussitzt. Eine Verwaltung ohne starke politische Führung kann Wandlungsprozesse wie etwa die Mobilitätswende relativ leicht blockieren.

In Berlin aber befinden sich die Bezirksämter in einer merkwürdigen Zwitterstellung zwischen nachgeordneter Behörde des Senats und autonomem Entscheidungsgremium. Die einzelnen Stadträte können beiden Ansprüchen nicht wirklich gerecht werden. Auch das sollte zum Thema werden, wenn Berlin die dringend notwendige große Verwaltungsreform angeht.

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