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© dpa/Michael Kappeler

75 Jahre „Notopfer“-Marke: Warum die Sondersteuer für West-Berlin viel länger bestand als geplant

Vor 75 Jahren wurde es bundesweit Pflicht, auf Post eine kleine Zusatzmarke zu kleben. Die Einnahmen waren für West-Berlin gedacht. Wie der Solidaritätszuschlag war das Ganze langlebiger als gedacht.

Von Verena Schmitt-Roschmann

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Zwei Pfennig waren umgerechnet nur ein Cent. Aber auch kleine Beträge läppern sich. Ab 1. Januar 1950 musste bundesweit auf fast allen Briefen und Postkarten zusätzlich zum Porto die kleine blaue Steuermarke „Notopfer Berlin“ für zwei Pfennig kleben. Und da solche Post damals fast so üblich war wie heute Whatsapp oder SMS, kamen Millionenbeträge zusammen. Die Auflage der Marke erreichte nach Angaben der Museumsstiftung Post und Telekommunikation sagenhafte 170 Milliarden Stück, mindestens.

75 Jahre später ist das „Notopfer Berlin“ fast vergessen. Damals aber war die Sondersteuer für West-Berlin wie eine Lebensversicherung. Im Nachhinein wirkt sie wie die Mutter aller Extraabgaben im Nachkriegsdeutschland – darunter die „Ergänzungsabgabe“ Mitte der 1950er Jahre, der „Konjunkturzuschlag“ und die „Stabilitätsabgabe“ in den 1970ern. Und ja, genau: der Solidaritätszuschlag zur Finanzierung der Deutschen Einheit. Wie der Soli hielt sich auch das „Notopfer Berlin“ viel länger als gedacht.

Anfang mit der Berlin-Blockade

Es begann eigentlich schon 1948 zur Finanzierung der Berliner Luftbrücke der Westalliierten während der Blockade der westlichen Sektoren durch die Sowjetunion. „Die Stadt war ja zerstört, die Einwohner hungerten, und sie waren durch die Blockade vom Umland abgeschlossen“, sagt Historiker Hermann Wentker vom Institut für Zeitgeschichte in Berlin. „Zur Finanzierung der entsprechenden Einfuhren für Berlin war das natürlich enorm wichtig.“

Das Notopfer hatte zwei Bestandteile: einen Zuschlag zur Einkommensteuer und eben, als sichtbares Zeichen, die blaue Zuschlagsmarke für Postsendungen. Die wurde Ende 1948 zunächst in der britischen und amerikanischen Zone eingeführt und zeitweilig in Teilen der französischen Zone. Ab Januar 1950 galt das Notopfergesetz dann bundesweit. Und das, obwohl die Berlin-Blockade 1949 bereits beendet worden war.

Lukrative Geldquelle für den Bund

Die neu gegründete Bundesrepublik hatte eine lukrative Einkommensquelle gefunden, die weiter sprudeln sollte. „Zum einen muss man natürlich schon sagen, dass die Notlage Berlins ja weiter bestand“, erläutert Wentker. Zum anderen habe der Bund vergleichsweise wenig eigenes Geld gehabt, weil die Aufteilung von Einkommen- und Körperschaftssteuern zwischen Bund und Ländern erst 1955 klar geregelt worden sei. „Weil die Bundesebene auch relativ finanzschwach war, griff sie dann natürlich gern auf dieses Instrument zurück.“

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Die Einnahmen wuchsen nach einer Aufstellung des Bundesfinanzministeriums im Verlauf deutlich an, von 29 Millionen Mark (etwa 15 Millionen Euro) 1948 auf jeweils mehr als eine Milliarde Mark in den Jahren 1954, 1955 und 1956. Bis zur offiziellen Abschaffung des Notopfers zum 31. Dezember 1957 kamen nach Daten des Ministeriums knapp 7,3 Milliarden Mark (rund 3,7 Milliarden Euro) zusammen. Auch danach floss noch jahrelang Geld in die Staatskasse – verzögert durch Betriebsprüfungen und juristischer Verfahren, wie ein Ministeriumssprecher erläutert.

Eigentlich nur für drei Monate eingeführt

Auch damals wurde Kritik laut, wie man sie heute vom Solidaritätsbeitrag kennt: zu viel, zu lange. „Als das Notopfer Berlin im November 1948 eingeführt wurde, war seine Gültigkeitsdauer auf drei Monate beschränkt“, schrieb der Wirtschaftswissenschaftler Willi Albers in einem Aufsatz. „Inzwischen sind mehr als sechs Jahre vergangen, und das Notopfer besteht immer noch.“

Ernsthaften politischen Widerstand gab es aber kaum in der Bonner Republik unter Bundeskanzler Konrad Adenauer. Im Kalten Krieg waren sich die westdeutschen Volksparteien weitgehend einig im Ziel, die Insel West-Berlin inmitten der neu gegründeten DDR zu halten.

„Schwere Belastung für Gehaltsempfänger“

Nur die Kommunistische Partei Deutschlands, mit 5,7 Prozent der Stimmen in den ersten Bundestag gewählt, wetterte gegen die Zwangsabgabe. „Durch die Erhebung des Notopfers sind in erster Linie die Lohn- und Gehaltsempfänger schwer belastet worden, die damit gegen ihren Willen den Kalten Krieg der westlichen Besatzungsmächte um den Vorposten Berlin finanzieren müssen“, sagte der KPD-Abgeordnete Friedrich Rische am 3. November 1949 im Parlament. Die „westdeutsche Bevölkerung“ lehne das ab.

Damit lag er auf Linie der Führung in Ost-Berlin, die an dem „Notopfer“ auch keine Freude hatte. Die Zusatzmarke war auf Sendungen nach Berlin oder in die DDR nicht erwünscht. Wurde sie irrtümlich aufgeklebt, schickten die ostdeutschen Behörden sie mit dem Vermerk „Steuermarke unzulässig“ zurück.

Heute freut das Sammler wie Manfred Baltuttis von den Jungen Briefmarkenfreunden Berlin und Brandenburg. Gerade Belege mit einem Rücksendevermerk seien bei Spezialisten gesucht, heißt es auf der Webseite des Vereins. Ganz seltene Stücke der 2-Pfennig-Marke werden im Internet heute für 1.000 Euro und mehr angeboten.

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