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Tagesspiegel Genussmarkt am 14. September 2025 in Berlin.

© Marie Staggat für den Tagesspiegel

80 Jahre und (fast) 80 Fragen: Tagesspiegel-Chefredaktion im Dialog mit Leserinnen und Lesern

Auf dem Land- und Genussmarkt stand die Chefredaktion des Tagesspiegels Rede und Antwort. Auf jede Frage gab es offene und ehrliche Antworten. Ein Überblick über eine angeregte Diskussion.

Stand:

Können sich Leserinnen und Leser Texte bald vorlesen lassen? Gibt es einen Herdentrieb im Journalismus? Wie lange gibt es noch eine Print-Zeitung? Und warum passieren heute mehr Fehler als früher?

Diese und ähnliche Fragen stellten interessierte Leser am Sonntag auf dem Land- und Genussmarkt des Tagesspiegels. In insgesamt drei Gesprächsrunden nahmen sich Christian Tretbar, Anke Myrrhe, Laura Himmelreich und Sidney Gennies Zeit, sie zu beantworten.

Und auch wenn der Tag nicht für alle der angekündigten 80 Fragen ausreichte: An ehrlichen und mitunter selbstkritischen Antworten der Tagesspiegel-Chefredaktion mangelte es nicht. Anlass für den Fragenhagel war das 80-jährige Gründungsjubiläum des Tagesspiegels, der am 27. September 1945 als erste freie Presse in Berlin nach dem Krieg gegründet wurde.

Christian Tretbar, Laura Himmelreich, Anke Myrrhe und Sidney Gennies standen den Leserinnen und Lesern Frage und Antwort.

© Marie Staggat für den Tagesspiegel

Das Publikum nutzte die Möglichkeit zum Dialog und präsentierte sich direkt in Bestform. Gleich die erste Wortmeldung eines Lesers hatte es in sich. Er wollte wissen: „Welche Rolle kann der Tagesspiegel dabei spielen, die Kompromissfähigkeit in der Gesellschaft zu stärken?“

In seiner Antwort verwies Christian Tretbar auf die Funktion, die Experten beim Tagesspiegel hätten. In Interviews und Gastbeiträgen trügen sie dazu bei, Fakten zu liefern und Lösungen für gesellschaftliche Probleme aufzuzeigen. „Spannend wird es vor allem dann, wenn man Experten mit unterschiedlichen Meinungen zu Wort kommen lässt“, sagte er. So entstehe eine Meinungsvielfalt, die bei Kompromissbildungen helfen könne.

Der Tagesspiegel verstehe sich selbst als eine Plattform, auf der Menschen miteinander ins Gespräch kommen könnten, bestätigte auch Anke Myrrhe. „Die Menschen neigen aber dazu, sich auf ihre eigenen Positionen zurückzuziehen“, sagte sie. Um einen Weg aus der „Negativspirale“ zu suchen, sei zu Beginn des Jahres die Tagesspiegel-Serie „Berlin2030“ ins Leben gerufen worden. Ihr Ziel sei es gewesen, Lösungen in den Mittelpunkt zu rücken und das Leben in der Stadt zu verbessern, so Myrrhe.

„Herdentrieb“ im Journalismus

Dass dabei Probleme auftreten können, offenbarte ein weiterer Fragesteller. Er kritisierte, dass es im Journalismus zunehmend eine Art „Herdentrieb“ gebe. Die meisten Redaktionshäuser berichteten über ähnliche Themen und verträten ähnliche Meinungen. Wie gelinge es da, unabhängig zu bleiben?

Laura Himmelreich, seit Februar 2025 in der Chefredaktion des Tagesspiegels, führte diesen Eindruck auf die zunehmende Digitalisierung des Journalismus zurück. Sie ermögliche es Redaktionen, genau zu sehen, wofür sich Leserinnen und Leser interessierten und wie lange sie sich mit einzelnen Texten beschäftigten. „Da kommt es darauf an, sich trotz dieses Wissens nicht in einen Herdentrieb einzureihen“, erklärte sie.

Beim Tagesspiegel bestehe diese Gefahr ihrer Meinung nach allerdings nicht. „Was ich hier bemerkenswert finde, ist die Diskussionskultur“, sagte sie. Im Vergleich zu anderen Medienhäusern zeichne sich die Redaktion am Askanischen Platz durch viel Leidenschaft, Überzeugung und Diskussionsfreude aus.

Texte zukünftig auch im Audioformat

Gute Nachrichten gab es anschließend von Sidney Gennies. Auf die Frage einer Leserin, wann sie sich die Texte aus dem Online-Angebot vorlesen lassen könne, sagte er: „Wir arbeiten aktiv an dieser Möglichkeit. Sie befindet sich schon in der Programmierung.“ Es könne zwar noch einige Zeit dauern, doch die Funktion komme „auf jeden Fall“.

Doch auch mit Kritik wurde nicht gespart. Zwei Leser monierten, dass es immer mehr Fehler in Tagesspiegel-Texten gebe. „Das ist eines unserer größten Probleme“, gab Myrrhe zu. „Uns stört das mindestens genauso sehr wie Sie.“ Dennoch bat sie um Verständnis.

Im Vergleich zu früher gebe es heute deutlich mehr Texte und eine aktuellere Berichterstattung. Das gestiegene Tempo wirke sich unter anderem auch auf die Korrektur aus, sodass Fehler passierten. Dennoch nehme die Chefredaktion das Thema nicht auf die leichte Schulter. „Wir arbeiten ständig an Möglichkeiten, Fehler zu vermeiden“, sagte sie.

„Niemand ärgert sich mehr über Fehler als wir“, stimmte Gennies zu. „Sie betreffen den Kern unserer Arbeit“. Um in Zukunft besser zu werden, habe der Tagesspiegel erst in dieser Woche beschlossen, noch mehr Geld für automatische Rechtschreibkontrolle in die Hand zu nehmen. „Das sollte sich auch bald in unseren Texten bemerkbar machen“, sagte er.

Abschließend bat eine Leserin die Chefredaktion um einen Blick in die Zukunft. Nachdem die Taz angekündigt hatte, ihre Zeitung wochentags ausschließlich digital anbieten zu wollen, stelle sich ihr die Frage, wie lange es noch den gedruckten Tagesspiegel geben werde.

Myrrhe versicherte: „Einen Abschied von der Print-Zeitung betreiben wir nicht aktiv“. Es werde zwar immer schwieriger, eine gedruckte Zeitung anzubieten. Dennoch bemühe sich der Tagesspiegel, seinen Leserinnen und Lesern so lange wie möglich eine Zeitung auf den Frühstückstisch zu liefern. „Die Taz ist einen mutigen Schritt gegangen, den wir aber noch nicht gehen wollen“, sagte Gennies. Gleichzeitig erinnerte er: Die Form, in der die Zeitung geliefert werde, sei unterm Strich nicht entscheidend. Worauf es ankomme, seien stets die Inhalte.

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