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Foto zur Kolumne von Aline bitte mit credit: Malwine Zeiseler

© Malwine Zeiseler

„99 Fire Films Award“ auf der Berlinale: Die kurze Illusion, dass Freundlichkeit siegt

Die Kandidaten hatten 99 Stunden Zeit, um einen Film von 99 Sekunden zu einem gesetzten Thema zu produzieren. In diesem Jahr: Die Macht der Freundlichkeit.

Eine Kolumne von Aline von Drateln

Stand:

„Come as you are“ lautet der Dresscode und das ist absolut sinnvoll bei einer Preisverleihung gegen Ende der Berlinale. Weil zwischen vielen Empfängen und Partys kaum Zeit bleibt, sich umzuziehen. Und weil im letzten Drittel des Filmfests ohnehin alle aussehen wie Courtney Love. Mariella Ahrens kommt in Chanel-Reitstiefeln in die Astor Filmlounge. Julian F. M. Stöckel trägt wie immer seinen Turban und Markus Kavka wie immer sein Lächeln.

Den „99 Fire Films Award“ gibt es seit 2013, als Award Gründer Stefan Kiwit überlegte: Damit auf der Berlinale nicht immer kasachische Lustspiele gegen italienisches Dramen antreten müssen, wäre es nur fair, in einem Wettbewerb gleiche Bedingungen für alle zu schaffen.

Deshalb hatten hier die Kandidaten nur 99 Stunden Zeit, um einen Film von 99 Sekunden zu einem gesetzten Thema zu produzieren. In diesem Jahr: Die Macht der Freundlichkeit. Jury-Mitglied Katja Riemann lehnt wieder jenseits des roten Teppichs die meisten Fotoanfragen ab. Aber sie lächelt dabei. Seit dem NDR-Interview, bei dem die Künstlerin einen Journalisten mit seinen bescheuerten Fragen abblitzen ließ, gilt sie als „schwierig“. Dabei fand ich sie damals noch viel zu freundlich.

Geduldig zeigt sich auch der Rest der Jury um Präsident Peter Schulze, wie die Influencer Theo Carow, Tom Böttcher und Produzentin Minou Barati, die aus insgesamt 1400 kuratierten Filmen vier Gewinner auswählen mussten. Als ich mich vom Gedrängel im Foyer erschöpft in den Kinosessel plumpsen lassen will, freue mich kurz über das lustige give-away, das auf allen Sitzflächen verteilt ist: ein Pupskissen! Entpuppt sich dann aber als Knick-Handwärmer von Sponsor AIDA.

Wirklich lustig ist der ehrliche Satz des Gewinners in der Kategorie „Beste Idee“. Auf die Frage, wie er den Film „Kraftstoff“, in dem das Fluchtauto zweier Ganoven nur per ausgesprochener Nettigkeiten anspringt, in so kurzer Zeit realisieren konnte, antwortet der Filmemacher: „Wir waren überrascht, wie wenig Zeit wir brauchten.“ Dann betritt der Musikact die Bühne. Lena & Linus. Sie sieht ein bisschen aus wie die Meyer-Landrut beim ESC und er wie Nicole bei „Ein bisschen Frieden“.

Nur von seiner Gitarre begleitet singen sie „Timothée Chalamet“, ihr Lied über den Berlinale-Star. Aber wie jeder gute Song handelt er natürlich vom großen Ganzen. Und mit der zarten Musik breitet sich plötzlich eine große Entspannung über dieser Veranstaltung aus. Keine „Fomo“ mehr, weil vielleicht irgendwo die bessere, wichtigere Party steigen könnte.

Kein lauter, größer, länger. Kurz danach gewinnt „Thoughts I can’t share“ als „Bester Film“. Letzte Worte der Dankesrede vom Team Belalim: „Geht wählen!“ Mehr Freundlichkeit wagen. Kein Hetzen mehr. Und für einen kurzen Moment habe ich 99 Stunden vor der Wahl in diesem schönen Kino die Illusion, dass Freundlichkeit siegt.

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