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"Die Musikszene in Berlin ist fantastisch", sagt Diverse. Und Paradise fühlt sich wie ein freigelassener Vogel.

© 143Band

Musiker als Flüchtlinge in Berlin: Afghanische Rapper, Neukölln und der Beat der Freiheit

Paradise rappt feministische Texte, in ihrem Heimatland Afghanistan wurde sie deshalb bedroht und geschlagen. Seit Kurzem lebt sie mit ihrem Freund und Bandpartner in einem Neuköllner Flüchtlingsheim.

Ihre Texte erzählen von einer Generation im Krieg, vom Kampf um eine bessere Zukunft und von Frauenrechten. Ihre Musik verbindet Hip-Hop, R&B und Pop, persischen und westlichen Sound. Paradise ist eine der ersten Rapperinnen Afghanistans.

Seit vier Wochen wohnt sie in einem Neuköllner Flüchtlingsheim. An diesen Sonnabend rappt die 26-Jährige mit ihrem Freund Diverse als 143Band auf der Bühne der Platoon Kunsthalle in Prenzlauer Berg. Seine richtigen Namen verrät das Musikerpaar aus Sicherheitsgründen nicht.

Paradise und Diverse treten im Rahmen des 100-jährigen Bestehens der „deutsch-afghanischen Freundschaft“ auf. Das Auswärtige Amt hat aus diesem Anlass in Berlin die erste Afghanische Kulturwoche initiiert. Bis zum 9. Dezember thematisieren Konzerte, Filme und Gespräche das Land am Hindukusch.

In der Untergrundszene der Hauptstadt Kabul hatte Paradise vier Jahre feministische Musik gemacht. Doch die Drohungen und die Gewalt gegen die Musikerin nahmen überhand: „Ich wurde mehrmals geschlagen und bedroht“, erzählt sie. „Es gibt weiterhin viele Fundamentalisten in Afghanistan, die verbieten wollen, Musik zu hören und zu machen.“ Und Diverse fügt hinzu: „Sängerinnen gelten vielen in Afghanistan als Huren. Paradise wurde in einem TV-Sender beschuldigt, mit ihrem Rap die Prostitution zu unterstützen.“ Der 29jährige erklärt sich dieses Verhalten mit der „Gehirnwäsche der Taliban“.

Diverse und Paradise auf der Bühne. Beide singen und rappen.
Diverse und Paradise auf der Bühne. Beide singen und rappen.

© 143Band

Paradise und Diverse sitzen in einem Café in Prenzlauer Berg, eng beieinander, sie mit Pudelmütze und neonfarbener Daunenjacke, er mit Schal und Dreitagebart. Seit 2007 sind sie ein Paar, ein Jahr später schlossen sie sich auch musikalisch zusammen. Aus den Texten von 143Band ist viel Schmerz herauszuhören.

„Es kommt immer noch vor, dass Fundamentalisten Mädchen in der Schule vergiften“, sagt Paradise. Ihre Sprache ist Dari, afghanisches Persisch. Auf Youtube haben ihre Videos englische Untertitel. „2008 war ich die einzige, heute gibt es etwa fünf Rapperinnen in Afghanistan“, sagt Paradise. Sie erzählt, wie sie auf den Straßen Kabuls sich stets verhüllte, auch zum Schutz vor Anfeindungen. In den Clubs trat sie ohne Schleier und mit knappem Outfit auf.

Erst Deutschkurs, dann Bandprobe

Seit fast vierzig Jahren befindet sich ihr Heimatland im Kriegszustand. Derzeit stellen Afghanen nach Syrern die größte Gruppe an Asylbewerbern in Deutschland, in Berlin sind etwa 2000 Afghanen im offenen Asylverfahren. Die Bundesregierung plant, mehr afghanische Flüchtlinge abzuschieben. Auch Paradise und Diverse haben Asyl beantragt.

Nach großem zeitlichem und finanziellen Aufwand bekamen sie ein Visum, flogen nach Europa und kamen erst bei Freunden unter. Nun wohnen sie zu zweit in einem Zimmer der Flüchtlingsunterkunft in Britz. „Das ist hart“ sagt Diverse, „auf engem Raum mit so unterschiedlichen Menschen.“ Viele Flüchtlinge hätten nichts zu tun, machten nachts Lärm, spülten etwa um zwei Uhr nachts ab. Nach vier Stunden Deutschkurs vormittags haben die zwei Musiker der 143Band an manchen Tagen die Gelegenheit, bei Freunden zu proben.

Das Musikerpaar wurde in Afghanistan bedroht und geschlagen. Ihr Raptexte handeln von Frauenrechten und Freiheit.
Das Musikerpaar wurde in Afghanistan bedroht und geschlagen. Ihr Raptexte handeln von Frauenrechten und Freiheit.

© 143Band

„Die Berliner Musikszene ist fantastisch“, schwärmt Diverse. Und Paradise ist glücklich, nicht nur über das viele Grün in der Stadt: „Ich fühlte mich wie ein Vogel im Käfig, nun bin ich frei! Frei, Fahrrad zu fahren, mich anzuziehen, wie ich möchte.“ Sie planen eine gemeinsame Zukunft in Berlin.

Mehr Informationen: Die Afghanische Kulturwoche dauert noch bis zum 9. Dezember.

Bigna Fink

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