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Stürze in der Wohnung: „Ältere werden aus der Selbstständigkeit gerissen“

Stürze sind für Ältere wesentlich gefährlicher als für Jüngere. Ein Gespräch mit Chefärztin Elke Johnen über die Risiken und wie man Verletzungen vermeiden kann.

Frau Johnen, warum sind Unfälle vor allem für ältere Personen und deren Angehörige oft eine besonders große gesundheitliche Herausforderung?

Ein Sturz im hohen Lebensalter führt ganz häufig dazu, dass Patienten aus ihrer gewohnten, aber oft wegen anderer Beschwernisse gerade noch so gehaltenen Selbstständigkeit gerissen werden. Unter Umständen führt die Verletzung dazu, dass die Betroffenen nicht weiter alleine in ihrer Wohnung leben können und möglicherweise sogar so pflegebedürftig werden, dass sie in ein Pflegeheim umziehen müssen.

Das klingt so, als ob für eine betagte Person ein Knochenbruch nach einem Sturz quasi den Anfang vom Ende darstellt.

Ja, das können wir aus der klinischen Erfahrung leider so bestätigen. Dabei muss man auch bedenken, dass viele Patienten überhaupt erst dann stürzen, wenn sie sich ohnehin in einem fragilen Gesundheitszustand befinden – wenn etwa eine akute Erkrankung wie eine Infektion auftritt, die sie zusätzlich schwächt. In der Akutsituation hat der gestürzte ältere Patient also häufig zwei Probleme: einmal einen Infekt und dann noch die Verletzung durch den Sturz. Daher ist es besonders wichtig, dass diese Patienten nicht ausschließlich von einem Unfallchirurgen, sondern von Anfang an auch von einem spezialisierten Altersmediziner behandelt werden.

Es ist also offenbar leichter, einem Sturz vorzubeugen, als die Sturzfolgen zu heilen.

Das Risiko lässt sich bereits durch ein paar einfache Maßnahmen erheblich senken. Ältere Menschen sollten beispielsweise alle Stolperquellen in ihrer Wohnung entfernen, dazu gehören Teppichkanten, Türschwellen oder Treppenstufen, die eventuell nicht erforderlich sind. Wichtig ist auch, auf eine ausreichende Beleuchtung zu achten. Ebenso sollten Sehstörungen so gut wie möglich ausgeglichen werden. Zudem spielt es eine Rolle, dass sich ältere Menschen ausreichend ernähren. Denn so bleibt die Muskelkraft, die ohnehin im Alter abnimmt, noch so gut wie möglich erhalten. Und es lohnt sich, mehrfach wöchentlich zu trainieren, dreimal 20 Minuten reichen schon aus. Das stärkt die Muskelkraft und schult das Gleichgewicht.

Elke Johnen ist Chefärztin der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am St.-Joseph-Krankenhaus Tempelhof.
Elke Johnen ist Chefärztin der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am St.-Joseph-Krankenhaus Tempelhof.

© Foto: Thilo Rückeis

Und wie können Angehörige helfen?

Sie können ältere Leute zur Bewegung motivieren, etwa mit ihnen spazieren gehen oder auf andere Art dafür sorgen, dass sie körperlich aktiv bleiben. Vielen betagten Personen hilft es auch sehr, wenn sie zum Arzt begleitet werden. Zudem können sich Angehörige um formale und bürokratische Angelegenheiten kümmern, indem sie bei Bedarf etwa einen fahrbaren Mittagstisch organisieren oder die Wohnung altersgerecht umbauen lassen.

Trotzdem kann es zum Sturz mit einem anschließenden Krankenhausaufenthalt kommen. Wie können Sie Ihren Patienten helfen?

Für viele Menschen über 70 können plötzliche Änderungen der Umgebung, wie sie bei einem ungeplanten Krankenhausaufenthalt auftreten – viele neue Gesichter, eine ungewohnte Umgebung und körperliche Anstrengungen – eine starke Belastung darstellen. Manchmal entwickeln Patienten unter dieser Belastung ein sogenanntes Delir, einen Zustand mit starken Verwirrungen und Beeinträchtigungen in der Wahrnehmung. Deshalb war es uns ganz wichtig, ein entsprechendes Behandlungskonzept zu etablieren, nach dem der Einzelne in unserem Krankenhaus so wenigen Stressfaktoren wie möglich ausgesetzt ist: Dazu gehört, dass er von Anfang an nur mit denjenigen Mitarbeitenden konfrontiert ist, die ihn auch im weiteren Aufenthalt begleiten. Der ältere Patient wird möglichst rasch operiert und kommt danach genau in das Bett und das Zimmer, in dem er bis zu seiner Entlassung aus dem Krankenhaus bleibt. Dadurch setzen wir ihn so wenig situativen, räumlichen oder personellen Wechseln aus wie möglich.

Was ist das Besondere in der Behandlung von gestürzten alten Menschen – etwa in einer Notfallsituation?

Kommt der Patient frisch nach einem Sturz mit seiner Verletzung, etwa einem Knochenbruch, in unser Krankenhaus, erfolgt zunächst die medizinisch dringlichste Behandlung. In diesem Fall heißt das, dass Unfallchirurgen den Knochenbruch durch eine Operation stabilisieren und die Wunde versorgen. Auch der Geriater, also der Arzt für Altersmedizin, ist von Anfang an dabei und überwacht beispielsweise den Flüssigkeitshaushalt sowie die Herzgesundheit des Patienten.

[ Das Gespräch führte Leonard Hillmann. Dieses Interview sowie weitere interessante Texte rund ums Älterwerden finden Sie im Magazin „Tagesspiegel Gesund im Alter Berlin 2019“. Aus dem Inhalt: Welche Sportarten für Senioren gut sind – Interview mit einem Sexualmediziner über Erotik im Alter – Ratgeber Brillen und Kontaktlinsen – Was man beim Rollator-Kauf beachten sollte – Harninkontinenz – Medikamentenabhängigkeit im Alter – Reportage aus einer Demenz-Wohngemeinschaft. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im tagesspiegel-Shop, www.tagesspiegel.de/shop, Tel. 29021-520 sowie im Zeitschriftenhandel.]

Und später auf Station?

Auf unserer alterstraumatologischen Station bemüht sich ein ganzes Behandlungsteam darum, das individuelle medizinische Risikoprofil des einzelnen Patienten zu erfassen. Zum Team gehören neben den Ärzten und Pflegenden auch Physio- und Ergotherapeuten, Sozialarbeiter, Neuropsychologen und Logopäden. Unsere Station ist so eingerichtet, dass die Patienten sich leicht orientieren und bewegen können: So sind etwa die Zimmer mit verschiedenen Blumen und Farben markiert, es gibt barrierefreie Bäder und überall Haltegriffe. In unserem großen Trainingsraum sieht es fast aus wie im Fitnessstudio. Hier stärken die Patienten an modernen medizinischen Sportgeräten ihre Muskulatur und ihren Gleichgewichtssinn.

Was ist in der Nachbehandlung wichtig?

Natürlich ist jeder Fall individuell, aber in der Regel bleiben Betroffene nach einem Sturz für etwa drei Wochen im Krankenhaus. Unsere Behandlung zielt darauf ab, den einzelnen Patienten zumindest in dem Gesundheitszustand nach Hause zu entlassen, in dem er sich vor dem Sturz befand. Und das ist auch bei dem Großteil der Fall: Etwa 85 Prozent der Patienten können nach dem Krankenhaus wieder in ihre alte Umgebung zurückkehren. Brauchen die alten Menschen zusätzlich Unterstützung von einem ambulanten Krankenpflegedienst oder sollen sie sich bei einer Anschlussheilbehandlung (Reha) weiter erholen, kümmern sich unsere Kolleginnen vom Sozialdienst noch während der Zeit im Krankenhaus darum. Sollten die Patienten auch nach drei oder vier Wochen in stationärer Behandlung noch nicht so weit sein, dass sie alleine zurechtkommen, gibt es andere Hilfsmöglichkeiten, etwa Tageskliniken oder eine Kurzzeitpflege. Leider können wir für etwa 15 Prozent der gestürzten Hochbetagten nicht verhindern, dass sie in ein Pflegeheim umziehen müssen.

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