zum Hauptinhalt
Herr Gerstmann führt seit Jahren einen Prozess gegen den Zwangsabriss seines Hauses.

© Kitty Kleist-Heinrich

Stadtrat spricht von „Schwarzbauten“: Anwohner in Wilmersdorf fürchten Abriss ihrer Häuser

In Wilmersdorf kämpfen Genossenschaftler um ihre Eigenheime. Das Bezirksamt will sie abreißen lassen. Sie sollen größeren Neubauten weichen.

Die Holzpaneele aus sibirischer Lärche hat er gemeinsam mit einem Kleinunternehmer zusammengebaut. Gegen die Kälte schützte Physiotherapeut Horst Gerstmann sein Haus mit einer dicken Schicht Dämmstoff. Es gibt bodentiefe Fenster zum Garten und vom Kinderzimmer unterm Dachgiebel blickt man auf die neungeschossigen Neubauten, die auf den plattgewälzten Kleingärten der Kolonie „Oeynhausen“ entstanden sind.

Vor sieben Jahren bezog Gerstmann mit Frau und Tochter sein Haus in der „Kleingarten- und Heimstättengenossenschaft Mannheim“. Die liegt an der Mecklenburgischen Straße in Wilmersdorf. Nun können jederzeit Bagger anrollen und das Haus wieder abreißen. Bis zum 28. November sollte Gerstmann das Haus beseitigen. Das setzte der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf gegen den Hauseigentümer vor Gericht durch und kann nun ein Abrissunternehmen beauftragen.

Gerstmann ist kein Einzelfall. Gegen weitere neun Mitglieder der Genossenschaft Mannheim geht der Bezirk außerdem vor. „Wir haben kürzlich die Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts bekommen, die illegalen Bauten müssen abgerissen werden“, sagt der zuständige Baustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne). 13 Verfahren gegen Eigentümer in der Siedlung liefen.

Von einer „Squatter-Siedlung“ mit Schwarzbauten spricht der Baustadtrat. „Das kann ich nicht ignorieren, sonst entsteht Chaos“.

Nach Chaos sieht es so gar nicht aus in dem Gebiet, das auf ersten Blick kaum zu unterscheiden ist von der benachbarten Kleingartenkolonie. Die zum Abriss freigegebenen Häuser ducken sich hinter hohen Hecken. Die Wege sind akkurat geharkt. Ein Dorf mitten in der Stadt.

Ämter betreiben Abriss der Eigenheime

Das soll diese „Heimstätte“ laut Satzung auch sein: „Wohnraum für Minderbemittelte“ soll sie bieten, das war bei ihrer Gründung genauso wichtig wie heute – denn auch damals herrschte Wohnungsnot. Deshalb „wohnen“ 121 Mitglieder auf der 70.000 Quadratmeter großen Baulandfläche. Familienmitglieder hinzugezählt sind es an die 300 Menschen. Seit fast 100 Jahren ist das so. Und lange hat es niemanden gestört.

Aber seit der Bezirk entdeckt hat, dass dieses Bauland enger und dichter mit Mehrfamilienhäusern bebaut werden soll, betreiben die Ämter den Abriss der Eigenheime. Dabei stehen diese auf privatem Bauland, denn das ist Eigentum der Genossenschaft. Und die will die Grundstücke gar nicht bebauen – aber eben auch nicht als freies Feld der Natur überlassen.

Gerstmann ist ratlos. Er hatte seine Baupläne mit der Genossenschaft abgestimmt, die das wiederum für rechtmäßig hielt. Auch die Sachbearbeiter im Bezirk sahen das lange Zeit so. Sie erteilten in einigen Fällen widerrufliche Baugenehmigungen mit Befreiungen vom geltenden Bebauungsplan oder gaben die Auskunft, es seien keine Baugenehmigungen erforderlich, sagt Gerstmanns Anwalt Uwe Schuster.

„Mannheim“ galt für sie als Kleingartenkolonie. Eine Fehleinschätzung: Als „Heimstätte“ gegründet, sei dort schon immer „Kleinsiedlungsbau nach Kleinsiedlungsrecht“ geplant worden, also der Bau kleiner Wohnhäuser mit Nutzgärten, so wie das von Gerstmann.

Dem Urteil liegt ein Bebauungsplan von 1958 zu Grunde

Dass die Richter nun anders urteilten, liegt im Wesentlichen an einem Bebauungsplan von 1958. Ohne Beteiligung der Bürger und der Genossenschaft widmete der Bezirk die Fläche um in ein „allgemeines Wohngebiet“, das mehr, höhere und dichtere Bauten vorsieht. Deshalb muss das trutzige Dorf in eine Stadt umgewandelt werden: mit Häuserzeilen an den Straßenrändern, drei Geschosse hoch. Oder grüne Brache werden.

„Unfassbar, wie hier Werte vernichtet werden ohne tieferen Sinn“, sagt Ulf Mätzig, Rechtsanwalt beim Verband Deutscher Grundstücksnutzer. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zugunsten des Bezirks sei zwar nachvollziehbar. Andererseits habe sogar der Richter die Bezirks-Justiziare zu einem Kompromiss bewegen wollen – „aber das scheitert an der sturen Haltung des Bezirks“, sagt Mätzig.

Einfamilienhäuser – keine Option in der Innenstadt

Schruoffeneger widerspricht: „Die Bezirksverordnetenversammlung hat die Umwidmung zu einer Kleinsiedlung eindeutig abgelehnt.“ Einfamilienhäuser seien keine Option in der Innenstadt. Der Bezirk habe der Genossenschaft angeboten, alles so zu lassen für 15 Jahre, wenn das Bauland danach entwickelt wird, beispielsweise mit Reihenhäusern im Inneren des Areals und dreigeschossigen Häuserzeilen an den Straßen.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Mehrheiten dafür gibt es in der Genossenschaft nicht. Und Verbandsanwalt Mätzig sagt, dass in ähnlichen Fällen in Berlin Kleinsiedlungen genehmigt würden: Die „Parkkolonie“ Steglitz-Zehlendorf hätten Nutzer vom Bund abgekauft, der Bezirk habe dort eine Kleinsiedlung genehmigt. Auch dort stünden Eigenheim-ähnliche Häuser. Und stadtplanerisch sei die Umgestaltung von „Mannheim“ zur Kleinsiedlung ein idealer Übergang von der östlich gelegenen Kleingartenkolonie zu den Hochhäusern auf dem ehemaligen Kleingarten Oeynhausen.

Verkaufen wollen die Landeigentümer ihre Scholle nicht, eher bleibe die Baufläche grün. In ihrer Verzweiflung schrieben sie sogar an Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke). Für die Planung sei ihr Haus nicht zuständig, antwortete die Senatorin, aber sie wolle dazu „ermutigen, weiter das Gespräch mit dem Bezirk zu suchen“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false