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Berlin: Arthur Walb (Geb. 1920)

Als die Grenzer gingen, kam der Künstler.

Von David Ensikat

Der Vater war kein Künstler, dafür Hotelier in Amerika, Offizier im deutschen Generalstab, Flugzeugpilot. Ob er ein guter Vater war – wer weiß. Jedenfalls war er von großem Tatendrang und hob sich ab von der ihn umgebenden Masse Mensch.

Gleiches galt für den Herrn Sohn. Zwei Mal schrieb der „Spiegel“ über Arthur Walb, der Künstler war, und sich Arturo nannte. Im ersten Text, 1976, geht es um sein Engagement für das Berliner Eisen. Eisentüren, Eisentore, Eisenzäune, kunstvoll geschnörkelt, waren längst nicht mehr en vogue, sie rosteten dahin, wurden ersetzt durch nüchtern-moderne Zweckdienlichkeiten. Arturo Walb, der in Tirol Grabkreuze und in Köln Karnevalsorden geschmiedet hatte, verfasste eine Streitschrift „Rettet das Eisen!“ und rettete selbst so viel wie möglich. Er besetzte ein abrissreifes Fabrikgebäude am Klausenerplatz, Charlottenburg. Da passte viel von dem Zeug rein, das als Schrott galt damals, doch er sammelte es nicht allein, um es zu retten, sondern ebenso als Werkstoff für seine großen, schweren Skulpturen.

Das Atelierhaus gibt es heute noch, doch er zog weiter. Arturo Walb blieb nie sehr lange irgendwo.

Im zweiten Artikel ging es eigentlich gar nicht um ihn, sondern ums Adlon. Es war das Jahr 1997, das Hotel stand kurz vor der Eröffnung. Und es hatte einen einzigen Nachbarn am Pariser Platz: Arturo Walb. Kurz nachdem die Mauer gefallen war, hatte er sich in dem alten Gebäude der Akademie der Künste einquartiert – logisch: Er war Künstler und die Grenztruppen waren aus dem Haus am Mauerstreifen ausgezogen. Das also war sein Atelier, und so sehr ihn der Lärm der Adlon-Baustelle gestört hatte, so sehr genoss er nun die neue Nachbarschaft. Denn hin und wieder kamen Kellner in schwarzweißer Livree, seine „Pinguine“, zu ihm herüber und servierten erlesene Reste. An dem Tag, als der „Spiegel“ bei ihm war, gab es in seinem kleinen Gärtchen zwischen Adlon und Akademie auf weiß gedecktem Campingtisch Hummer und Perlhuhnessenz mit Pfifferlingsstrudel nebst 95er Oberbergener Baßgeige.

So mochte er es: standesgemäßes Tafeln – vorausgesetzt, man bemisst den Stand nicht am Einkommen. Das Geld war meistens knapp, seit er seine Kunstschlosserei in Köln aufgegeben hatte, aber Arturo Walb war in finanziellen Dingen von großer Zuversicht: Ob in der Türkei, auf Gran Canaria oder Kreta, ein paar Bilder lassen sich überall verkaufen. Und da er mit Strohhut, aufrechter Haltung und jeder Menge stets verfügbarer Geschichten sein Künstlersein der Welt deutlich zur Kenntnis gab, fanden sich immer wieder Leute mit Geld, die sich gerne damit schmückten, so jemanden zu unterstützen.

Ungefähr seit der Zeit, als er das Atelier am ehemaligen Grenzstreifen besetzt hatte, bewohnte er ein Appartement ganz in der Nähe. Unter den Linden, über dem Restaurant „Dressler“. Von dort aus hatte er einen guten Blick auf all die Menschen, die dort spazierten, die große Masse, bestehend aus lauter kleinen Teilen, die sich ihrer Teil-, also Massenhaftigkeit gar nicht bewusst sind. Das war sein großes Thema, darüber las er, sprach er, das hielt er in den letzten Jahren immer wieder auf den Bildern fest.

Er beschwerte sich über den Lärm, den die Masse machte, wenn sie sich vor seinem Fenster in Demonstrationen auf und ab bewegte. Seine Ohren wurden schlecht; so hörte er den Lärm immer weniger – ein schwacher Trost für einen Mann, der einst schwere Skulpturen zusammengeschweißt und den Titel „Eisenpapst“ getragen hatte und nun seine Kräfte schwinden sah. In seinen Aufzeichnungen steht es so: „Und wenn ich mir den Typ morgens im Spiegel ansehe, irre ich mich da, bin ich das? Der Typ da gibt mir keine Antwort. Na, dann eben nicht, niente, nada, nix. Olle Töle!“ David Ensikat

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