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Anklage im Clanmilieu in Berlin.

© dpa

„Atypische Konstellation im Verfahren“: Warum der „Patron“ trotz Haftstrafe noch immer nicht hinter Gittern ist

27 Mal wurde die Duldung von Ahmad A. erneuert. Das Clanmitglied ist zweifach verurteilt – und frei. Weil er angibt, Syrer zu sein, wird er nicht abgeschoben.

Im November 2017 trat Ahmad A. eine Tür ein und schlug mit einem Holzknüppel eine Frau nieder, ihr Sohn musste alles mit ansehen. Im Prozess wegen der Tat vor dem Amtsgericht Tiergarten warnte die Anwältin des Opfers dann A. eindringlich, sich dem Opfer noch mal zu nähern. Der vielfach vorbestrafte A., Mitglied des berüchtigten Miri-Clans, wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Das war am 28. Januar 2020.

Fast ein Jahr später hat Ahmad A. unverändert die Möglichkeit, der misshandelten Mutter zu begegnen. Er hat nicht bloß seine 27. Duldung erhalten, weil er erklärt, Syrer zu sein, er ist auch nach wie vor frei. Und das, obwohl das Urteil seit September 2020 rechtskräftig ist.

Martin Steltner, der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft, sagt: „Bis er in eine Zelle kommt, könnte es noch länger dauern.“ Denn Ahmad A., der sich in der Öffentlichkeit „Patron“ nennt, profitiere von einer „atypischen Konstellation in seinem Verfahren“, sagt Steltner.

Gegen A. gibt es zwei Urteile. Am 29. August 2019 hatte das Amtsgericht Tiergarten den Mann zu einer Strafe von einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Vorwurf: Fahren ohne Fahrerlaubnis in elf Fällen. Gegen dieses Urteil legte die Berliner Staatsanwaltschaft Berufung ein.

Am 28. Januar 2020 das nächste Urteil, der brutale Angriff auf die Frau. Zwei Jahre, drei Monate Gefängnis wegen zwei Fällen von gefährlicher Körperverletzung, in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung sowie wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz. Diesmal legte A. Berufung ein.

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Da es keinen Grund zu weiterer Untersuchungshaft gab – der Haftbefehl war wegen Verdunklungsgefahr ausgestellt worden –, konnte A. das Gerichtsgebäude nach dem Urteil erst mal verlassen. Das Urteil war ja noch nicht rechtskräftig. Das Urteil vom August 2019 auch noch nicht.

Die Berufungen aus beiden Verfahren wurden von einer Kammer des Landgerichts zusammengezogen. Sie hätte nun ein Gesamturteil fällen müssen. „Dass eine Kammer zwei Berufungen zusammenführt“, sagt Martin Steltner „ist zumindest atypisch“.

Zwei rechtskräftige Urteile gegen A.

Das Landgericht fällte aber kein Urteil, weil beide Berufungen vor einem Prozesstermin zurückgezogen worden waren. So gibt es jetzt zwei rechtskräftige Urteile gegen A.

Sobald die Akten der beiden Verfahren bei der Vollstreckungs-Hauptabteilung der Staatsanwaltschaft vorliegen, wird sie beim Amtsgericht Tiergarten nachträglich eine Gesamtfreiheitsstrafe beantragen. Die liegt dann zwischen der höchsten Einzelstrafe und der Summe der Einzelstrafen.

Die höchste Einzelstrafe beträgt ein Jahr und neun Monate Haft. „Aber bis das alles abgeschlossen ist, dauert es noch“, sagt Steltner.

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Auch der Ausländerbehörde Berlin geht die Arbeit mit A. nicht aus. Sein Geburtsland? A.s Aussagen variierten. Mal die Türkei, mal der Libanon, zuletzt: Syrien.

„Durch die Person wurde ein syrischer Pass vorgelegt, an dessen Echtheit keine Zweifel bestanden“, sagt ein Sprecher der Innenverwaltung. Das ist praktisch, weil nach Syrien nicht abgeschoben wird.

Über A.s Geburtsland und Geburtsjahr gibt es verschiedene Angaben

„Die Person wird geduldet aufgrund eines bestehenden Abschiebeverbots. Die Senats-Innenverwaltung geht von einer syrischen Staatsbürgerschaft aus“, sagt der Sprecher. A. hatte zwei Asylanträge gestellt, beide sind abgelehnt worden. Er kam 1989 mit seinen Eltern aus dem Libanon nach Deutschland. Auch über sein Geburtsjahr gibt es verschiedene Angaben. Mal 1980, dann 1982, dann wieder 1984.

Und wie geht es jetzt weiter? Ahmad A. habe keine Aufenthaltserlaubnis mehr für Deutschland, teilt die Senats-Innenverwaltung mit. Daran werde sich wegen der Straftaten auch nichts ändern. In der Praxis ist A. aber unverändert im Land, weil er als Syrer nicht abgeschoben werden darf. Aber er bleibt unter Beobachtung, nicht bloß irgendwann im Gefängnis.

„Neue Prüfungen zur Nationalität erfolgen“, sagt der Sprecher der Innenverwaltung, „wenn Zweifel an der Staatsangehörigkeit bestehen.“

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