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Berlin: Aufbauarbeit

Sechs Monate vor der Einschulung: ein Kinder-Deutschkurs in Neukölln

Die Lehrerin ist froh, dass die einzigen beiden, die überhaupt zum Unterricht kommen, brav sind. Sie schreien nicht nach Mama und haben ihre Sachen dabei: Tuschkasten, Pinsel, Schere, Klebestift. Die beiden sind Serife und Adla, ein Junge, ein Mädchen, beide fünf Jahre alt, beide aus arabischstämmigen Familien, beide sollen im Sommer eingeschult werden und beide können kaum Deutsch.

Das soll sich jetzt ändern, darum sitzen Serife und Adla in Raum 107 der Rixdorfer Grundschule in Neukölln und sprechen ihrer Lehrerin Ingrid Arnold nach: Das ist ein Tuschkasten. Und das ist ein Pinsel. Was ist das? „Pinsel.“ „Im ganzen Satz: Das ist ein Pinsel“ – „Ein Pinsel.“ Serife lächelt ein Engelslächeln, ganz stolz sieht er aus und ein bisschen verschämt, schließlich wird er beobachtet.

Zehn Stunden Deutsch pro Woche bis zum Schulbeginn – etwa 600 Kindern will man so noch schnell die Sprache beibringen, in der sie ab dem Sommer unterrichtet werden sollen; Kindern, die weder in Kitas noch Vorklassen gehen. „Hauskinder“ werden sie genannt, weil sie ihre Tage zu Hause verbringen – meistens mit der Mutter oder den Großeltern. Die Deutschkurse sind kein Angebot, sie sind verbindlich: Kinder, die bald zur Schule kommen sollen und ungenügend Deutsch sprechen, müssen da hingehen. „Das ist eine vorgezogene Schulpflicht“, heißt es in der Bildungsverwaltung. Verstöße werden geahndet.

Trotzdem sitzen in Raum 107 nur zwei Kinder. Einem wird hinterhergeforscht, eines war nur irrtümlich gemeldet, zwei kommen noch dazu. Lehrerin Arnold sagt, sie müsse den Kleinen erst mal Begriffe beibringen. Wenn die Kinder – sie sagt „Mäuschen“ zu ihnen – bei der Einschulung ein paar Sätze können, dann sei das schon gut. Ingrid Arnold ist 51 Jahre und seit 1975 Lehrerin. Sie sagt, dass sie jedes Jahr weiter unten anfange. Früher habe sie Regelklassen gehabt, dann Förderklassen – „da musste ich auch jeden Satz verbessern“ –, und nun dies. Die Schulleiterin der Rixdorfer Grundschule ist froh, dass Ingrid Arnold die Kurse macht: eine richtige Deutschlehrerin.

Die richtige Deutschlehrerin sitzt mit ihren beiden Schülern um einen Kindertisch. Die beiden bauen mit Bauklötzen Türme und Häuser, Adla baut in die Breite, Serife in die Höhe. „Hast du zu Hause auch Bauklötze?“ Adla schüttelt den Kopf. „Wer soll in deiner Stadt denn wohnen?“ „Ich“, flüstert Adla. „Und deine Mama?“, fragt Ingrid Arnold. Adla nickt. In Serifes Stadt wohnen er, seine Mama, der Papa, der Bruder und die Schwester. Schwester sagen fällt ihm schwer. Tuschkasten war auch nicht einfach. „Ein Sprachfehler“, sagt Ingrid Arnold. Das habe sie vorhin schon gehört.

Pro Klasse dürfe für 100 Euro Material angeschafft werden, sagt Ingrid Arnold. Papier, Stifte, ein bisschen was zum Basteln. Was bekommt man schon für 100 Euro? Die Schaumgummiwürfel mit Bildern drauf, mit denen Kinder toben und dabei etwas lernen können, jedenfalls nicht. Adla und Serife haben jetzt alle Klötzchen verbaut. „Na, det ist ja super“, sagt Ingrid Arnold. Es ist ihre sechste Stunde, sie kommt jeden Morgen aus Zossen angereist. Sie ist erschöpft. Wen wundert’s? Dann macht sie mit den beiden Kindern einen Rundgang durch das Schulgebäude. Es ist groß. 700 Grundschüler lernen hier. Ingrid Arnold zeigt Adla und Serife, was man in einer Turnhalle treibt. „Die haben so was ja noch nie gesehen“, sagt die Lehrerin. In der Halle rennen Kinder hin und her, ihre Schuhe quietschen auf dem Linoleumboden. Adla erschrickt. Nun will sie doch zu ihrer Mama.

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