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Kolumne „Babylon Aline“: Jedes Land hat die Promis, die es verdient
In Paris kann man für einen Kaffee so viel Geld ausgeben, wie in Berlin für ein Essen. Savoir-vivre nennen sie das. Deutschland ist bescheiden. Das zeigt sich auch daran, wen wir bewundern.
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Dieser Text entstand bei einer Tasse Kaffee für neun Euro. Keiner dieser parfümierten Sorten im großen Longdrinkglas in Berlin-Mitte. Sondern eine simple Tasse Kaffee, denn ich bin in Paris.
Wer im „Café de Flore“ sitzt, ist entweder Touristin, wie die Autorin. Oder Stammgast, der die Preise mit der gleichen Contenance wie den Anblick der Instagramer erträgt, die für ein Selfie gerade frierend bei neun Grad fotogen auf einem der Bistrostühle vor dem Café Platz genommen haben. 15 Minuten Promi-Ruhm to go. Französisch ist von denen natürlich keiner. Für rund 50 Cent pro Schluck erhoffen sie, etwas von dem Glanz echter Stars wie Simone de Beauvoir und Romy Schneider abzubekommen.
Durchschnittlichkeit ist hier ein Beleg für Authentizität
60 Jahre Elysée-Vertrag - aber der französische Glamour ist unerreicht. Touristen, die sich in Berlin vor Konnopke’s Imbiss fotografieren lassen, um sich einmal wie Brigitte Mira zu fühlen? Habe ich noch nicht gesehen.
Wo die Franzosen Theatralik erwarten und honorieren, feiern die Deutschen Ehrlichkeit. Durchschnittlichkeit ist bei uns ein Beleg für Authentizität. In Frankreich ist es eine Beleidigung
Sie nennen es savoir-vivre. Die Arroganz, für den Moment zu leben. So viel Geld für einen Kaffee auszugeben wie in Berlin für ein komplettes Mittagessen. Es ist aber auch die Frage, wie man sich nach außen verkauft.
Dass Deutschland gerade ernsthaft darüber diskutiert, ob ein junger Moderator einer der bekanntesten Polit-Sendungen und die landesweit bekannteste Klima-Aktivistin „ein Paar sein dürfen“ versteht hier niemand. Pardon, es ist ja nicht mal Ehebruch!
Houellebecq in Frankreich, Friedrich Merz in Deutschland
Houellebecq hat einen Porno gedreht? In Paris behandelt man das mit der gleichen Nonchalance, wie bei uns einen Friedrich Merz, wenn er wieder dummes Zeug redet. Dessen Privat-Flugzeug uns dagegen etwas egaler sein könnte. Gibt es doch genug anderes, worüber man sich bei ihm viel mehr aufregen könnte.
Und Gregor Gysi lädt einen 80-jährigen Hemden-Fabrikanten in seine Schwarzweiß-Sendung und bietet ihm nicht Paroli, als der sich zum Affen macht?
Jedes Land hat die Promis, die es verdient. In Deutschland ist das zum Beispiel der Trigema-Chef. Wie erklärt man das einer Pariserin? Wolfgang Grupp ist ja nicht mal Modedesigner, denen man Dummschwätzerei schneller verzeiht.
Schönheit ist keine Sünde. Die unschöne Baustelle vor dem Louvre wird in Paris unter einem verspiegelten Würfel versteckt. Das wäre doch auch eine hübsche Idee für den Berliner Gendarmenmarkt, der gerade komplett renoviert wird.
Politischen Baustellen verdienen selbstverständlich Transparenz. Aber zu Stars werden Prominente nur, wenn wir bereit sind, sie zu lieben. Wie beim Geldausgeben sollten wir klug wählen, wem wir unsere Zeit schenken. Und dann verschwenderisch mit dieser Liebe umgehen.
Berlin sollte mehr Paris wagen. Nur die Kaffeepreise müssen bitte berlinesk bleiben.
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