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Berlin: Bedenken gegen Gedenken

Stolpersteine erinnern in Hauseingängen an ehemalige jüdische Nachbarn, die von den Nazis deportiert und ermordet wurden. Im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf werden keine mehr verlegt. Man könnte darauf ausrutschen

Dass man sich in Gefahr befindet und davon gar nichts ahnt, ist derzeit besonders oft im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf der Fall. Dort ist in vielen Straßen schon der bloße Spaziergang eine riskante Sache, über alles mögliche könnte man stolpern und sich den Hals brechen. Im vergangenen Sommer waren das kleine Zäunchen, die um begrünte Baumscheiben aufgestellt wurden und wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit wieder abmontiert werden mussten. In diesem Winter sind es die Stolpersteine, die an deportierte jüdische Bewohner von Berliner Häusern erinnern sollen; kleine goldig schimmernde Plaketten, die in Gehwege eingelassen werden.

Aber damit ist jetzt Schluss.

Die Stolpersteine seien zu glatt, Menschen könnten ausrutschen, sich verletzen und den Bezirk verklagen, so sieht man es im Haus von Bezirksbaustadtrat Klaus-Dieter Gröhler (CDU). Man schrieb vor, dass die Steine höchstens 40 Zentimeter von der Hauswand entfernt liegen dürfen. Das hatte der Künstler, der sich die Stolpersteine ausgedacht hat, anfangs akzeptiert, nun aber hat der seine Meinung geändert. Die 40 Zentimeter, das sei der „Hundepissbereich“, da sehe man die Steine kaum, außerdem sollten die Leute ja gerade über die Steine laufen, sie blank polieren mit den Absätzen.

Die zehn mal zehn Zentimeter großen Stolpersteine sind eine Idee des Kölner Künstlers Günter Demnig. Hunderte liegen inzwischen in ganz Deutschland, viele auch in Berlin, in Mitte sieht man sie, Kreuzberg, Friedrichshain, Tempelhof, mehr als 20 in Charlottenburg-Wilmersdorf. „Hier wohnte“ steht auf den Steinen, dann der Name des Verschleppten, die Daten von Deportation und Ermordung. Als im Abgeordnetenhaus der 60. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz gefeiert wurde, bekam Demnig den „German Jewish History Award“ für die Idee verliehen. Die Rede hielt Parlamentspräsident Walter Momper.

Und nun also Rutschgefahr? „Jedes Blatt im Herbst ist gefährlicher“, teilt Demnig mit, und dass er „keinen Stein mehr in Charlottenburg verlegen“ werde.

Man muss sie wirklich suchen, die Charlottenburger Stolpersteine. In der Wilmersdorfer Straße 32 hat früher Ludwig Hornung gewohnt. Jetzt ist hier, Ecke Spielhagener Straße, ein Bewag-Center. Zur Wand hin, wo das Pflaster immer dunkler wird, da liegt der kleine Stein. Es ist hässlich und schmutzig drumherum.

Rutschgefahr? Wenn er sich manche Gehwege im Bezirk ansehe, müssten die Bürger doch „kompanieweise hinfallen“, sagt Wolfgang Knoll. Knoll ist Rentner und ehrenamtlicher Ansprechpartner für alle, die in Charlottenburg-Wilmersdorf einen Stolperstein verlegen wollen. Er fragt, was er den Angehörigen der Deportierten sagen solle. Dass die deutsche Bürokratie, die zur Ermordung der Juden geführt hat, nun verhindert, dass ein Gedenkstein verlegt wird? Knoll sagt, er habe das auch den Bezirksstadtrat gefragt.

Der hat ihm einen Rahmenvertragsentwurf vorgelegt, nach dem Knoll selbst für jeden Stolperstein eine Haftpflichtversicherung abschließen sollte, um Ausrutschopfer abzusichern. Knoll hat das abgelehnt. Das gehe nun wirklich zu weit.

„Knoll hat das ja abgelehnt“, sagt Gröhler. Mit der Versicherung wäre alles kein Problem gewesen. Aber ohne würde der Bezirk haften, der Tiefbauamtsleiter oder er, Gröhler selbst, als Vorgesetzter. Gröhler hat sich jetzt an die Stadtentwicklungsbehörde gewandt. Die solle dafür sorgen, dass es eine berlinweite Verordnung bezüglich der Stolpersteine gebe. Der Antrag ist angekommen, heißt es dort und: „Wir nehmen das ernst und prüfen das.“

Zwei Charlottenburger, die in ihrer Straße einen Stolperstein für eine deportierte jüdische Mieterin verlegen möchten, müssen warten. Vielleicht seien die Steine ja politisch unerwünscht, mutmaßen sie und würden sich gerne vom Gegenteil überzeugen lassen.

Mehr Infos unter

www.stolpersteine.com

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