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Kinder der Gruppe 10 der Köpenicker Integrations-Kita "Hand in Hand" beim Singen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Zu Besuch in einer Integrations-Kita: Behindert? Ganz normal!

Die Integrations-Kita "Hand in Hand" in Köpenick war erst eine sonderpädagogische Einrichtung. Später hat sie sich für alle Kinder geöffnet. Dass diese sich gegenseitig helfen, ist selbstverständlich.

Wenn Andrea Voss das Stichwort Inklusion hört, legt sie gleich los: Jede der acht Gruppen in ihrer Integrations-Kita „Hand in Hand“ in der Köpenicker Salvador-Allende-Straße ist altersgemischt von null bis sieben Jahre; in jeder der Gruppen haben vier von 15 Kindern körperliche oder geistige Behinderungen. Es gibt Kinder aus Regenbogenfamilien und Pflegekinder, sagt Voss und ergänzt, beinahe entschuldigend: „Kinder mit Migrationshintergrund haben wir fast noch keine.“ Das werde sich aber bald ändern, wenn in der Nachbarschaft des Allende-Viertels Flüchtlingsunterkünfte gebaut werden. Voss wirkt, als sie das sagt, weder erschöpft noch überfordert. Sie sagt es, als ob sich da endlich eine Lücke schließt.

Während in Berlin gerade viele Kitas und Schulen damit kämpfen, sich trotz mangelhaft ausgestatteter Gebäude und sinkender Betreuungsschlüssel für Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen zu öffnen, hat sich die Kita „Hand in Hand“ in Köpenick schon früh aus der anderen Richtung auf den Weg gemacht.

1990 bereits erste Integrationsgruppen

1973 als sonderpädagogische Einrichtung eröffnet, hat sie 1990 in den ersten Integrationsgruppen Kinder mit und ohne Behinderungen zusammengebracht. Seit 1993 sind alle acht Gruppen Integrationsgruppen, insgesamt 125 Kinder. Seit 2001 ist das Haus, nach Jahren der Behelfslösungen, komplett barrierefrei. Zwei von drei Erziehern pro Gruppe sind Facherzieher für Integration. Menschen mit Behinderungen gehören auch zum Team: zum Beispiel als Azubis in der Küche oder im technischen Bereich.

„Uns haut das nicht vom Hocker, wenn ein Kind sein Glasauge herausnimmt oder eine Prothese abnimmt“, sagt Andrea Voss, die seit 25 Jahren im Haus arbeitet. Auch wenn ein Kind gewickelt werden muss, ist das hier – anders als an manchen Schulen – nichts Außergewöhnliches. Im Laufe einer Kita-Karriere werden alle Kinder mal gewickelt.

Dass eine Kita immer wieder neu auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern reagieren muss, ist für Voss normal. Wenn ein autistisches Kind Angstattacken bekommt, weil es durch die Wand das Bürotelefon läuten hört und dadurch an seinen Inkubator erinnert wird, dann legt Voss auch mal die Gruppenräume im Haus um. Oder das Tagesprogramm einer Gruppe wird etwas verschoben, damit ein Kind, das jeden Morgen vor der Kita zur Therapie muss, bei der Hauptaktivität mit den anderen dabei sein kann.

Den Anbieter der Kita-Abschlussfahrt mit Übernachtung hat man kürzlich gewechselt, als er meinte, eine Übernachtung allein lohne sich nicht mehr für ihn. Bei zwei Nächten wären die autistischen Kinder aus der Kita, für die Ortswechsel sehr anstrengend sind, nicht mehr dabei gewesen, erklärt Voss. „Uns ist wichtig, dass alle mitkommen“, sagt sie.

Auf die Einzelbedürfnisse eingehen

Als besondere Behandlung will Voss das alles nicht verstanden wissen. Auch ein Kind, das im Turnsaal Angst hat, wird gefragt, was nötig ist, damit es beim Sport mitmacht: Liegt es am Raum oder an etwas, was früher mal passiert ist? Soll während der Übung jemand direkt neben dir stehen? Die Herausforderung, sagt Voss, besteht darin, auf die wichtigen Einzelbedürfnisse einzugehen und gleichzeitig die Gruppe zusammenzuhalten.

In der Kita hat jede Gruppe zwei feste Räume, so dass phasenweise getrennt gespielt und gelernt werden kann. Manchmal, um eine ruhigere Atmosphäre zu schaffen und Reize zu reduzieren; manchmal, um Aufgaben in unterschiedlichen Anforderungsstufen zu bearbeiten. In Mathe gibt es dann zum Beispiel eine Gruppe, die die Zahlen 1 bis 10 macht, eine Gruppe, die die Zahlen 1 bis 4 lernt, und eine Gruppe, die Material nach Farben und geometrischen Formen sortiert und zu zählen beginnt. Mathematik und Naturwissenschaften sind Förderschwerpunkte der Kita.

Die Kinder müssen eine Aufgabe nicht alle im gleichen Tempo abschließen: Wenn sie eine Buchseite basteln, können sie gemeinsam mit den anderen mit dem Aufkleben beginnen. Ist das weitere Falten aber noch zu schwer, kann das Blatt in einem Projektordner warten, bis das Kind feinmotorisch so weit ist. Die Aufgabe wird ein paar Wochen oder manchmal auch ein halbes Jahr später fertiggestellt.

Kinder können nicht alles gemeinsam machen

Während die Kinder warten, bis das Mittagessen aus der hauseigenen Küche geliefert wird, singen die Gruppen häufig Lieder – mit Gebärden, die die Liedinhalte unterstützen. Ein gehörgeschädigtes Mädchen mit Cochlea-Implantat singt so auch mit. Während des Singens selbst ist sie manchmal mit dem Einsatz einen Tick zurück, weil sie sich an den Gebärden der anderen orientiert. In der Ruhepause nach dem Essen liegt das Mädchen häufig auf dem Rücken und wiederholt für sich, mit den Armen in der Luft, das Lied.

Nicht jedes der Kinder kann wirklich bei allen Übungen mitmachen, sagt auch Voss offen. Manchmal liege ein mehrfachbehindertes Kind bei einer Sportübung einfach dabei. Dann höre oder schaue es zu, je nach Möglichkeit – die Erzieher würden aber darauf achten, dass es nicht alleine ist. Dass immer wieder mal ein anderes Kind zu ihm geht, ihm etwas sagt oder bringt.

Gegenseitige Hilfe und Verantwortung

Die Kinder lernen in der Kita früh, sich gegenseitig zu helfen und Verantwortung füreinander zu übernehmen. Ein Mädchen hilft einem Jungen ohne Aufforderung bei den Klettverschlüssen der Schuhe. Eines der größeren Kinder, das gehörlos ist, passt darauf auf, dass ein jüngeres Kind seine Hände mit Seife wäscht.

Wenn auf dem kita-eigenen Spielplatz Fußball gespielt wird, läuft ein Junge, der sich mit den Armen auf zwei Gehböckchen stützt, wie selbstverständlich mit. Auf dem Weg hin und zurück wird er manchmal von einer Freundin im Rollstuhl geschoben. „Der beschwert sich am meisten, wenn nicht nach den Regeln gespielt wird“, sagt Kita-Leiterin Voss. In seiner Freizeit spielt er nämlich in einem Verein.

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