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Immer wieder zeigten Teilnehmer von Corona-Demos einen Judenstern mit der Aufschrift "Ungeimpft".

© Christophe Gateau/dpa

Beleidigungen, Drohungen, Attacken: Jeden Tag 13 rechte, rassistische und antisemitische Vorfälle in Berlin

Berliner Meldestellen berichten von einem massiven Anstieg diskriminierender Vorfälle – zum Teil auch wegen der anhaltenden Pandemie.

Die Berliner Registerstellen haben im Jahr 2021 einen Höchststand rechter, rassistischer und antisemitischer Vorfälle verzeichnet. Das geht aus einem Bericht hervor, den die Dokumentationsstelle am Dienstag vorstellte. Demnach wurden im Berichtsjahr 4841 Vorfälle erfasst – das sind rund 13 Fälle pro Tag und fast 1000 mehr als im Vorjahr, da waren es 3822 Vorfälle.

„Der Anstieg der Vorfälle spiegelt das gesellschaftliche Klima des vergangenen Jahres wider und zeigt außerdem, dass das Netzwerk derjenigen wächst, die sich am Entstehen der Dokumentation beteiligen“, sagte Kati Becker, die Koordinatorin der Berliner Registerstellen. Die Zunahme habe sich besonders bei antisemitischen Vorfällen, rassistischen Diskriminierungen und Propaganda-Delikten bemerkbar gemacht.

Die Registerstellen führen die gestiegenen Zahlen zum einen auf die anhaltende Pandemie und den damit verbundenen Protesten gegen die Corona-Maßnahmen zurück. Teilnehmer von Querdenken-Demonstrationen hätten immer wieder Holocaust-Vergleiche oder NS-Symbolik genutzt. Zum anderen habe auch der Wahlkampf im vergangenen Herbst zu einem Anstieg von Propaganda-Vorfällen geführt.

Bei der Zunahme antisemitischer Vorfälle habe auch die Eskalation im palästinensisch-israelischen Konflikt im Mai 2021 eine Rolle gespielt. Julia Kopp von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) sagte am Dienstag, dass die militärische Auseinandersetzung zu antisemitischen Reaktionen geführt habe, „die in vielen Fällen unmittelbar gegen Jüdinnen und Juden in Berlin gerichtet waren“.

Kopp berichtete von einem Vorfall im Juni 2021, wenige Wochen nach der Eskalation. In Mitte sei ein Mann mit Davidstern-Kette von mehreren Männern beleidigt und bedroht worden. Er sei gefragt worden, warum er die „Illuminaten-Kette“ trage und „Kindermörder“ unterstütze. Außerdem hätten die Männer „Free Palestine“ gerufen.

[Lesen Sie weiter bei Tagesspiegel Plus: „Hakenkreuze, Angriffe, transfeindliche Sticker“ - Wie diskriminierend ist Berlin-Reinickendorf?]

61 Prozent der gemeldeten Vorfälle seien Propagandadelikte, 15 Prozent Beleidigungen und Bedrohungen. Dazu kämen Benachteiligungen (8 Prozent), Angriffe und Veranstaltungen (je 6 Prozent) sowie Sachbeschädigungen, sagte Kati Becker von der Dokumentationsstelle am Dienstag.

Knapp ein Drittel der Vorfälle (1428, 29 Prozent) seien rassistisch gewesen, 22 Prozent (1043) antisemitisch. Bei 16 Prozent der Fälle gehe es um rechtsradikale Selbstdarstellung, in 15 Prozent um eine Verharmlosung des Nationalsozialismus. 12 Prozent der Vorfälle hätten sich gegen politische Gegner gerichtet, 4 Prozent waren schwulen- oder lesbenfeindlich.

Die Registerstellen gehen davon aus, dass der Anstieg der Zahlen auch durch die Arbeit von Beratungsstellen für Betroffene und vereinfachte Meldewege zustande kommt. Auf diese Weise werde das Dunkelfeld an Diskriminierungen heller.

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Die Berliner Grünen zeigten sich erschüttert über die Auswertung. Landesvorsitzender Philmon Ghirmai sagte am Dienstag: „13 rassistische oder antisemitische Vorfälle, die durchschnittlich pro Tag in Berlin dokumentiert worden sind, sind inakzeptabel.“ Die Koalition habe sich darauf verständigt, im Laufe der Wahlperiode eine Enquete-Kommission gegen Rassismus und Diskriminierung einzusetzen.

Die Berliner Register dokumentieren seit 2005 neben gewalttätigen Angriffen und massiven Bedrohungen auch andere Vorfälle wie zum Beispiel Propaganda-Delikte unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Ziel sei es, alltägliche Formen von Diskriminierung sichtbar zu machen. (mit dpa)

Jonas Fedders

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