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In Berliner Gefängnissen herrschen beengte Zustände. Mehrere Häftlinge haben das Land deshalb auf Schadenersatz verklagt.

© dpa

Wegen Haftbedingungen: Berlin droht Klagewelle von Häftlingen

Dem Land Berlin drohen Tausende Entschädigungsklagen wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen. Die Schadenersatzforderungen betragen in Einzelfällen mehrere Zehntausend Euro.

Wie der Tagesspiegel aus Justizkreisen erfuhr, bereiten Dutzende ehemaliger und noch einsitzender Häftlinge solche Anträge vor – teilweise mit Aussicht auf mehrere 10 000 Euro Entschädigung. Bislang sind schon Urteile in erster Instanz gefällt worden, bei denen Ex-Häftlingen bis zu 4000 Euro zugesprochen wurden.

In einem aktuellen Fall steht im April eine Entscheidung an. Dem dazugehörigen Antrag auf Prozesskostenhilfe durch den Kläger hat das Landgericht stattgegeben. Prozesskostenhilfe wird nur bei hinreichender Erfolgsaussicht gewährt. Die Richter gehen von einer aussichtsreichen Klage auf 38 400 Euro Entschädigung für den Ex-Häftling aus. Die Summe stünde ihm womöglich deshalb zu, weil er 1182 Tage in der Justizvollzugsanstalt Tegel unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert war: So war der Mann unter anderem 354 Tage im Haus I der Anstalt untergebracht. Allein für diese Zeit, erklärte das Gericht, dürften „50 Euro je Tag gerechtfertigt“ sein. Hintergrund ist ein Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs von 2009, wonach Zellen in Haus I von 5,25 Quadratmeter Größe gegen die Menschenwürde verstoßen. Der Mann wird von dem Anwalt Bernd Brunn vertreten, der weitere 270 Mandanten in ähnlichen Fällen betreut.

„Das ist ein Thema, was uns beschäftigt“, sagte der neue Berliner Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) am Dienstag. Er werde für menschenwürdige Haftbedingungen sorgen. Heilmann wies auch darauf hin, dass noch kein Urteil rechtskräftig sei. In dem aktuellen Fall sprechen die Richter von einer „vorsätzlichen weiteren Benutzung der Zellen durch den Antragsgegner trotz der Entscheidung des Verfassungsgerichtshof“, was eine Entschädigung nach sich ziehen dürfte. Schon kurz nach dem Urteil 2009 hatte die frühere Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) gesagt, die Entscheidung mache „erhebliche praktische Schwierigkeiten“. Berliner Gefängnisse sind seit Jahren überfüllt. Zwar wird das Haus I kaum noch belegt. Umfassend umgebaut worden ist es aber nicht. Noch sind dort 22 Männer untergebracht. Derzeit wird im brandenburgischen Großbeeren eine neue Anstalt gebaut. Dort sollen 650 Gefangene untergebracht und Haus I in Tegel geschlossen werden.

Allerdings ist auch das Haus III in der Justizvollzugsanstalt Tegel umstritten, wo 311 Männer einsitzen. Hier könnten für viele Kläger 25 Euro Entschädigung pro Tag anfallen. Die Ansprüche dürften Anwälten zufolge erst nach drei Jahren verloren gehen. Zahlreiche Anwälte sagten, dass sie für ihre Mandanten ähnliche Klagen vorbereiteten. „Die Aussichten sind gut“, sagte Rechtsanwältin Diana Blum. Nicht ausgeschlossen sei, dass man für viele Mandanten mehrere 10 000 Euro einfordere, erklärte Sebastian Scharmer, Ex-Sachverständiger im Rechtsausschuss des Bundestages. Der Anwalt vertritt auch Berliner Sicherungsverwahrte, die nach einem aufsehenerregenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2011 freigelassen werden müssen oder deutlich bessere Unterbringungen zu bekommen haben: „Auch dabei stehen Entschädigungen an.“ Dies sei das „gute Recht“ der Häftlinge, sagte Benedikt Lux, Rechtsexperte der Berliner Grünen. „Es war lange bekannt, dass sich Berlin durch die Zustände haftbar macht.“ Wer Entschädigungen beansprucht, muss Juristen zufolge aber nicht nur unter Platzmangel, sondern etwa auch unter langen Verschlusszeiten gelitten haben.

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