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Poller in Wohngebieten sollen den Durchgangsverkehr reduzieren. Manche Autofahrer regt das auf.

© IMAGO/Emmanuele Contini

Berlin ist nicht Pollerbü: Hört auf mit der Diskriminierung von Autofahrern

Die Zukunft der Mobilität in der nach Fläche drittgrößten Großstadt Europas ist ohne das Auto nicht denkbar. Die Frontstellung gegen Pkw-Fahrer bringt uns nicht voran. Ein Kommentar.

Stephan Wiehler
Ein Essay von Stephan Wiehler

Stand:

Die Debatte um die Zukunft der Mobilität in dieser Stadt ist getrübt von falscher Moral. Sie wird geprägt vom Konflikt zwischen den Verkehrsteilnehmern. Auf der einen Seite stehen die Guten: Es sind die Nichtmotorisierten, also Fußgänger, Radfahrende und Fahrgäste öffentlicher Verkehrsmittel. Das Böse wälzt sich als Blechschlange über die Straßen. Sie fahren tendenziell zu schnell, neigen zu Aggression und scheren sich nicht um die Umwelt. Autofahrer, überholt von der Zeit.

Die Politik macht es nicht viel besser. Im Gegenteil. Sie verschärft die ideologische Frontstellung, egal in welcher Couleur. Die einen treten in die Pedale, verpollern die Kieze und verringern die Parkplätze, die nächsten beschleunigen von Tempo 30 auf 50, drücken auf die Pausentaste beim Ausbau von Radwegen, schwadronieren vom Kampf gegen das Verbrenner-Aus und bringen trotzdem nicht mehr Busse und Bahnen in die Spur.

So kommen wir nicht voran. Manchen Innenstadtbewohnern, die ihre kurzen Wege ausschließlich zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen, muss man offenbar in Erinnerung rufen, dass Mobilität eine individuelle und anlassbezogene Entscheidung ist. Es gibt Menschen, die regelmäßig aufs Auto angewiesen sind. Zumal in Berlin. Die deutsche Hauptstadt ist nach Fläche die drittgrößte Stadt Europas. Hier lässt sich der Alltag nicht allein mit dem Lastenrad bewältigen.

Mobile Poller mit rot-weißer Markierung sind als Absperrung zur Fanzone am Brandenburger Tor bzw. auf der Straße des 17. Juni in der Ebertstraße aufgestellt.

© dpa/Soeren Stache

Außerhalb des Wahrnehmungshorizonts von Pollerbü ist bekannt, dass Autofahrer ihre Blechrüstung zuweilen ablegen und selbst als Fußgänger, Radfahrer oder Fahrgast in der S-Bahn unterwegs sind. Die eingefahrenen Rollenmodelle taugen nichts.

Berlin hat breite Straßen, warum sollten wir sie nicht befahren?

Stephan Wiehler, Leiter des Berlin-Ressorts

Deshalb muss Schluss sein mit der Diskriminierung von Autofahrern! Nicht alle Berlinerinnen und Berliner haben das Privileg, in der Innenstadt zu wohnen und zu arbeiten. Wer als Pendler im Berufsverkehr an der Haltestelle wartet, weil der dritte Bus in Folge ausfällt, oder wochenlang zum Schienenersatzverkehr genötigt ist, steigt lieber in den Pkw, damit er pünktlich zum Dienst erscheint. Berlin hat breite Straßen, warum sollten wir sie nicht befahren? So viel zur Weisheit aus den Vororten.

Eine Gerechtigkeitsdebatte, die nervt

Und was wirklich nervt, ist die Gerechtigkeitsdebatte im Verkehr. Steht der Autofahrer im Stau, ist er eine Umweltsau, steht sein Auto am Straßenrand, parkt er zu billig und kostet zu viel Raum. Die Vorstellung, dass das Konzept einer autogerechten Stadt unvereinbar mit den berechtigten Ansprüchen von Radfahrern und Fußgängern sei, trägt nichts zur Lösung der Verkehrsprobleme bei. Sie vergrößert nur die Konflikte. Berlin hat ausreichend breite Straßen und Wege, um einem veränderten Mobilitätsverhalten Rechnung zu tragen. Was fehlt, ist eine nachhaltige Verkehrspolitik.

Wir brauchen weniger Aggression im Straßenverkehr – und weniger ideologischen Eifer in der Mobilitätsdebatte. Dass Menschen mit verschiedenen Fortbewegungsmitteln miteinander voran- und unfallfrei aneinander vorbeikommen, ist das Ziel einer intelligenten Regelung des Verkehrs. Das soll mit gegenseitiger Rücksicht und Vorsicht geschehen, so gebietet es Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung. Und trotz der Raser und Regelbrecher, die Menschenleben gefährden, trotz mangelnder Kontrollen und zu wenig konsequenter Ahndung von Verstößen: Im Großen und Ganzen funktioniert dieses Regelsystem, weil sich die meisten doch an die Regeln halten. Das ist tröstlich.

Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass auch Berliner Autofahrer lernfähig und neuen Mobilitätskonzepten gegenüber aufgeschlossen sind. Sie nutzen ihre Fahrzeuge inzwischen seltener als in der Vergangenheit, einige sind schon auf E-Autos umgestiegen, obwohl die Ladeinfrastruktur in der Stadt zu wünschen übriglässt. Andere haben ihr Auto abgeschafft, wählen Bus und Bahn als Alternative, im mutigen Vertrauen darauf, dass irgendwann neue Züge kommen und sie sich auf Fahrpläne wieder verlassen können.

Es gibt also Hoffnung, dass sich der Großstadtverkehr verändert. Vielleicht verändert sich damit auch die Haltung gegenüber Autofahrern. Und es entspannt sich das Verhältnis zwischen allen Verkehrsteilnehmern. Das könnte zum gegenseitigen Verständnis beitragen. Entspannt euch! Alles fließt. Frieden ist möglich – auch mit der Verlängerung der A100.

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